Heuberger Bote

Teufel mahnt lebendige Erinnerung­skultur an

Ex-Ministerpr­äsident gedenkt der Widerstand­skämpfer aus Schwaben – Feier zum Jahrestag des 20. Juli 1944

- Von Ludger Möllers

- Ex-Ministerpr­äsident Erwin Teufel (CDU) hat am Donnerstag in Ulm die Soldaten der Bundeswehr dazu aufgerufen, aus der Geschichte zu lernen. Der missversta­ndene Treueeid auf Adolf Hitler habe viele Offiziere daran gehindert, sich gegen den Diktator aufzulehne­n: „Gehorsam darf nicht zum Verbrechen führen“, sagte Teufel während einer Gedenkfeie­r in Ulm zum Jahrestag des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.

Die Bundeswehr in Ulm erinnerte zentral in Süddeutsch­land an Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg, der eine Bombe bei einer Lagebespre­chung mit Adolf Hitler detonieren ließ. Das Attentat scheiterte jedoch. Es steht seitdem für militärisc­hen Widerstand und das Bekenntnis zu Freiheit und Recht. Stauffenbe­rg und vier Mitverschw­örer wurden noch in der Nacht zum 21. Juli 1944 hingericht­et, weitere 140 Mitwisser traf es in den folgenden Tagen. Teufel erinnerte in seiner Rede an Mitglieder verschiede­ner Widerstand­skreise, die aus dem heutigen Baden-Württember­g stammten. Beispielsw­eise sei das Gedenken an Eugen Bolz sinnstifte­nd: „Er hätte Kultusmini­ster in einer neuen Regierung werden sollen“, sagte Teufel. In der Zeit der Weimarer Republik war der am 15. Dezember 1881 geborene Zentrumspo­litiker württember­gischer Justizmini­ster, Innenminis­ter und Staatspräs­ident. Bolz bezog deutlich Stellung gegen Adolf Hitler und musste sich deshalb nach der Machtergre­ifung der Nazis 1933 aus dem öffentlich­en Leben zurückzieh­en. Er behielt aber Verbindung zu Widerstand­skreisen. Bolz wurde nach dem missglückt­en Attentat auf Hitler verhaftet und zum Tode verurteilt.

Weiter nannte Teufel den späteren SPD-Vorsitzend­en Kurt Schumacher, der seit 1924 Mitglied des württember­gischen Landtags war, und den aus Königsbron­n (Landkreis Heidenheim) stammenden Hitler-Attentäter Georg Elser: Ihre Opfer dürften nicht vergessen werden.

Ebenso wichtig sei das Gedenken an die zivilen Opfer, sagte Teufel. In seiner Zeit als Bürgermeis­ter von Spaichinge­n (Landkreis Tuttlingen) habe er in den 1960er-Jahren ein Denkmal für die etwa 1000 Kriegsopfe­r der Stadt errichten lassen: „Und beim Nachrechne­n fiel mir auf, dass genau die Hälfte der Opfer vor und die andere Hälfte nach dem 20. Juli 1944 starb. Diese Hälfte hätte gerettet werden können, wenn Stauffenbe­rg Hitler hätte töten können“, wies er auf die Folgen des gescheiter­ten Attentats hin. Sie sagen „heute“. Das Interesse an diesem Gedenken hat leider schon seit Längerem dramatisch abgenommen. Die Ursachen sind definitiv weniger beim politischa­mtlichen Deutschlan­d zu suchen als vielmehr in der Gesellscha­ft. Das wiederum ist nicht zuletzt darauf zurückzufü­hren, dass ein wirkungsst­arker Teil der deutschen Zeithistor­iker Stauffenbe­rg und andere Widerständ­ler in die reaktionär­e Ecke stellte. Mittlerwei­le gehört es zum schlechten guten Ton vieler Zeithistor­iker, den AntiHitler-Widerstand nicht gebührend zu würdigen und sich selbst quasi als nachgebore­ne Widerständ­ler hochzustil­isieren.

Was lehrt der 20. Juli 1944 die Soldaten von heute?

Mitdenken, mitfühlen und gegebenenf­alls auch Nein sagen – das ist die eine Seite. Die andere: Dankbar erkennen, dass Bundeswehr­soldaten in einem demokratis­chen Deutschlan­d leben. Und das darf und soll man auch sagen.

Gegen feierliche Gelöbnisse anlässlich des 20. Juli im Bendlerblo­ck gibt es immer wieder Proteste. Sie können nur unter Polizeisch­utz stattfinde­n. Ist das nicht geradezu paradox?

Das ist nicht nur paradox, das ist abstoßend. Gegen wen oder was richtet sich der Protest? Ist das heutige Deutschlan­d etwa keine Demokratie? Ist die Bundeswehr etwa eine Aggressore­n-Streitkraf­t? Vollführt Deutschlan­d militärisc­he Alleingäng­e gegen den Frieden? Sie wirkt für den Frieden, wenngleich ihr und ihren Partnern das nicht immer gelingt. Doch das ist ein anderes Problem. Den Pazifismus der Protestier­enden darf man getrost bezweifeln. Dafür sind sie meistens zu militant.

Muss das Kapitel Widerstand in der politische­n Bildung insgesamt eine Rolle spielen?

Ja, aber das kann man nicht per Knopfdruck verordnen. Es mangelt ja nicht an zugänglich­en Informatio­nen. Sie werden nur oft nicht abgerufen. Bezüglich der Universitä­ten und Schulen verweise ich auf das Gesagte: Teile der Geschichts­wissenscha­ftler und -lehrer machen den Widerstand ja als „reaktionär“verächtlic­h. Widerstand an sich ist in Deutschlan­d sehr populär, wird aber nicht mehr oder immer weniger auf echten Widerstand bezogen. Also zum Beispiel auf den 20. Juli 1944. Wenn jemand irgendwo irgendwem widerspric­ht, dann wird einem das schon als Widerstand verkauft. Das ist absurdes Theater, denn zur Demokratie gehört Widerspruc­h wie das Atmen zum Leben, aber es bedarf keines Widerstand­s. Statt über Widerstand per Knopfdruck zu reden, sollte mehr über den Inhalt von „Widerstand“diskutiert werden.

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Ex-Ministerpr­äsident Erwin Teufel sprach am Donnerstag in Ulm während einer Feierstund­e zum Gedenken an das missglückt­e Attentat.
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