Gewisse Ernüchterung hat sich breit gemacht
Zwei Jahre nach Beginn des Flüchtlingszuzugs zieht Ini Asyl eine gemischte Bilanz
- Im Sommer 2015 sind die Flüchtlingszahlen im Kreis Tuttlingen nach oben geschnellt und blieben zunächst auf hohem Niveau. Die Helferkreise waren stark gefragt. Zwei Jahre danach stellen Jens Junginger und Rose Lovrekovic von der Ini Asyl, die sich um Flüchtlinge kümmert, eine gewisse Ernüchterung fest – bei den Asylbewerbern wie auch bei dem einen oder anderen Ehrenamtlichen, sagen sie. Unsere Redakteurin Ingeborg Wagner unterhielt sich mit ihnen.
Frau Lovrekovic, Herr Junginger, Wo sehen Sie Probleme?
Junginger: Eines der Hauptprobleme für die Flüchtlinge und daher auch für uns Ehrenamtliche sind die vielen Zuständigkeiten. Mal läuft das auf der Ebene Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), mal sind der Landkreis, die Stadt oder die Regierungspräsidien zuständig. Dieser Behördendschungel ist schwierig, zumal auch wir nicht wissen, wann wir uns bei welcher Frage wohin wenden müssen und wann welche Regelung greift.
Stichwort Arbeit und Ausbildung: Wie stellt sich die Situation für Flüchtlinge und Asylbewerber in Tuttlingen dar?
Junginger: Das hohe Engagement des Handwerks und einzelner Betriebe ist erfreulich. Zugleich hat sich bei mir eine gewisse Ernüchterung breit gemacht, weil immer wieder und aus meiner Sicht auch willkürlich Arbeitserlaubnisse entzogen werden.
Und auf welcher Grundlage ?
Junginger: Der Entzug der Arbeitserlaubnis erfolgt aus meiner Sicht oft aufgrund persönlichen Ermessens. Ein Beispiel: In Tuttlingen lebt ein Familienvater, der das Bäckereihandwerk erlernt. Ihm wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, weil er den Ausweis seiner Tochter nicht fristgerecht vorgelegt hat. Lovrekovic: Das ist auch deshalb ein Problem, weil bei einer Unterbrechung der Ausbildung die Berufsschulzeiten wegfallen. Vor allem wird damit gerade denjenigen Flüchtlingen, die sich von Anfang an angestrengt haben, um die Ausbildungsreife zu erlangen, Knüppel zwischen die Beine geworfen. Das finde ich schade. Zudem schwindet dann die Bereitschaft der Arbeitgeber, Asylsuchende zu beschäftigen.
Mit welcher Begründung erfolgte in diesem Fall der Entzug der Arbeitserlaubnis?
zuständig. Die dortigen Mitarbeiter sahen das wohl als Maßnahme an, auf das Fehlen des Dokuments zu reagieren. Dabei muss man wissen, dass die Asylsuchenden durch einen Entzug der Arbeitserlaubnis Angst haben, dass sich das negativ auf ihr Bleiberecht auswirkt. Dann herrscht nackte Panik. Zum anderen füllen diese Menschen bestimmte Lücken im deutschen Arbeitsmarkt auf. Lovrekovic: Bäcker, Altenpfleger, Maurer, das sind alles Berufszweige, in denen das Handwerk sonst kaum noch Auszubildende findet. Junginger: Grundsätzlich ist es ja eine gute Sache, dass es Systeme wie „Drei plus Zwei“gibt, also drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre Weiterbeschäftigung. Aber in der Ausführung heißt das, man muss alles glatt durchlaufen, und das ist eher die Ausnahme.
Wie ist denn die Zusammenarbeit mit den zuständigen Ämtern?
Junginger: Aus unserer Sicht gibt es da wenig bis gar keinen Austausch. Je nach Status der Menschen, also ob Flüchtling oder Asylbewerber, ob anerkannt oder geduldet, sind die Zuständigkeiten andere, wie zum Beispiel Integrationsamt oder Jobcenter. Das sind zwei getrennte Behörden in einem Haus. Es gibt dort keinen Austausch. Aus datenschutzrechtlichen Gründen fangen sie dann wieder bei null an. Lovrekovic: Wenn wir schon manche Formulierungen von Behörden nicht verstehen, wie sollen das dann Menschen aus einem anderen Land mit einer anderen Sprache können? Wir beobachten im Kleinen, was im Großen bemängelt wird. Dazu gehört auch, dass einzelne Personen, die wir schon sehr lange kennen, plötzlich weg sind, weil sie abgeschoben wurden. Das ist für uns Ehrenamtliche schon sehr frustrierend. Man spürt, dass gewisse Ämter politische Vorgaben umsetzen müssen. Warum es aber gerade diese Menschen trifft, die zum Teil sehr gut integriert sind, versteht man nicht.
Welche Handhabe haben die Asylsuchenden gegen einen Abschiebebescheid?
Lovrekovic: Diese Menschen können beim Verwaltungsgericht Klage einlegen, wenn ihr Asylantrag durch das Bamf abgelehnt wurde. Junginger: Die Anzahl der Rechtsanwälte, die sich im Namen der Asylsuchenden an das Verwaltungsgericht Freiburg wenden, ist allerdings nicht breit gesät, zudem ist das Gericht überlastet.
Wie geht es den Flüchtlingen und Asylbewerbern damit?
Junginger: Sie stehen unter einer großen Anspannung. Es gibt auch eine Erwartungshaltung an sie von zu Hause, aus ihrer Heimat. Doch schon bald nach ihrer Ankunft in Deutschland merken sie, dass ihre Vorstellungen vom Leben hier, dass die Bilder, die ihnen vermittelt wurden, mit der Realität gar nicht übereinstimmen. Es ist eben höchst kompliziert, sich hier zurechtzufinden, hier dauerhaft leben zu können. Das aber ist in ihrer Heimat gar nicht vermittelbar, was eine große, innere Zerrissenheit mit sich bringt.
Etliche Flüchtlinge sind nach 24 Monaten in Deutschland nun von den Gemeinschaftsunterkünften in eigene Wohnungen gezogen. Erschwert das die Arbeit der rund 30 Ehrenamtlichen der Ini Asyl?
Lovrekovic: In der Regel gehen die Ehrenamtlichen einfach mit, das heißt, der Kontakt wird gehalten. Und wenn die Menschen in Anschlussunterkünfte in andere Gemeinden kommen, dann kommunizieren wir mit den Helfern dort.
Was würden Sie sich für die Asylsuchenden und Ihre ehrenamtliche Arbeit wünschen?
Junginger: Man wird oft von Pontius zu Pilatus geschickt, wenn es um Nachfragen bei Behörden geht. Das ist sehr ärgerlich. Im Grunde müssen wir uns im Asylrecht ebenso auskennen wie im Sozialrecht, wir sind also Allround-Manager. Daher wünschen wir uns, dass im Rahmen des Integrationspaktes endlich sogenannte Integrationsmanager eingestellt werden, wie es vom Land ja seit langem angekündigt wird. Zudem freuen wir uns, dass das Thema Integration mit dem neuen städtischen Integrationsbeauftragten, Ralf Scharbach, jetzt zügig voran gebracht wird. Gefühlt war die Stelle seit einem Jahr nicht besetzt. Nun kann ich auch als Stadt klar zeigen, dass ich es ernst meine, dass die Menschen hier nicht nur in Anschlussunterkunft sind, sondern Anschluss finden. Lovrekovic: Ich wünsche mir, dass die Mitwirkungspflicht der Asylbewerber mehr nach gesundem Menschenverstand ausgelegt wird. Wenn Asylbewerber nicht zu ihrer Anhörung erscheinen, werden die Verfahren eingestellt mit der Auswirkung, dass die Abschiebung droht. Oft können die Menschen aber gar nichts dazu. Weil sie umgezogen sind und die Post sie nicht erreicht, auch, weil die Termine oft sehr kurzfristig sind. Das Bamf greift dann plötzlich sehr hart durch. Da werden die Fehler, die es auch vonseiten der Behörden vor allem am Anfang gab und jetzt noch hin und wieder gibt, auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen.