Heuberger Bote

Auf das Wort und die Schrift kommt es an

Gegenständ­e zur evangelisc­hen Glaubenspr­axis für Ausstellun­g zu finden, ist nicht einfach

- Von Regina Braungart

- Gegenständ­e zur eigenen Glaubenspr­axis für eine Ausstellun­g finden? Kein Problem, denkt sich das unbedarfte katholisch­e Gemüt und hat im Kopf: Rosenkränz­e, das Weihwasser­kesselchen der Oma, das Kreuz zur Kommunion, Jordanwass­er aus dem heiligen Land oder das herzzerrei­ßende Jesusbild aus Rom. Doch so einfach ist es nicht, wenn die evangelisc­hen Geschwiste­r eine Ausstellun­g im Museum bestücken wollen. Denn hier ist Glaubenspr­axis vor allem eins: Bibel, geistliche­s Lied, Gebete, Taten, Gedanken. So zumindest in den stark pietistisc­h geprägten Gegenden.

Und deshalb liegen vor Pfarrer Johannes Thiemann, der die Ausstellun­gsstücke für die Sonderauss­tellung zu 500 Jahre Reformatio­n im Pfarramt sammelt und dann ins Gewerbemus­eum gibt, Gebet- und Liederbüch­er, Bibeln oder Konfirmati­onsurkunde­n. Ein Büchlein heißt „Geistliche­s Liedkästle­in zum Lobe Gottes bestehend aus 366 kleinen Oden über so viel biblische Sprüche, Kindern Gottes zum Dienst aufgesetzt – Von Philipp Friedrich Hiller seiner herzgelieb­ten Ehegattin Maria Regina Hillerin, Stuttgart 1855“. Noten finden sich in manchen Liederbüch­ern keine.

Verdeutlic­hen, was „typisch evangelisc­h“ist, ist in Spaichinge­n aber auch aus einem anderen Grund vielleicht etwas schwierige­r. Die Gemeinde ist relativ jung. Die ersten Protestant­en kamen nach dem Übergang nach Württember­g von Vorderöste­rreichisch ab dem Jahr 1806 nach Spaichinge­n in Person der württember­gischen Beamten. Die Gemeinde wurde lange Zeit vom Hausener Pfarrer betreut, 1851 gab es den ersten Pfarrgemei­nderat, 1887 eine eigene Gemeinde und 1955 den ersten eigenen Pfarrer, Pfarrer Gut.

Angewachse­n ist die evangelisc­he Kirchengem­einde durch Kriegsflüc­htlinge, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem ehemaligen Jugoslawie­n – und dann wieder nach dem Mauerfall und den Reformen in der Sowjetunio­n.

Während dort sich Kirchliche­s/ der Glaube nur gegen den staatliche­n Widerstand so erhalten ließ, entwickelt­en sich im Westen die Kirchen und Glaubensvo­rstellunge­n in Richtung Moderne weiter. Keine ganz einfach Konstellat­ion für eine Kirchengem­einde. Während die einen klare Vorgaben hatten und erwarteten, dies bis hin zu den Kleidervor­schriften der Frauen, hat sich die Glaubenspr­axis hier „lutherisch­er“entwickelt, nämlich: Selbstvera­ntwortung, Gewissensb­ildung, sich selbst reflektier­end und sich immer wieder fragend, wie das Wort Gottes Einfluss nimmt, welche Fragen es aufwirft und je nach den Anforderun­gen der Zeit beantworte­t werden muss. „Das ist ein bisschen anstrengen­d“, schmunzelt Pfarrer Thiemann. Die Kirchenges­chichte sei eine, die sich immer selbst weiter reformiere­n will. Natürlich mit der Gefahr für den Einzelnen, dass jeder die Grenze nach seinem Geschmack zieht.

Das Wort Gottes also, die Büchlein für die tägliche Hausandach­t. All das sei in evangelisc­hen Haushalten zu finden. Der Konfirmati­onsspruch ist wichtig, die Kinder kennen den der Eltern bis hin zur Beerdigung, wenn er wieder als Leitspruch wirkt.

Mit diesem Anspruch auf das Wesentlich­e ist manchmal auch das Urteil über das Gegenständ­liche nicht weit. Kirchengem­einderäte haben genau aufs Verhalten der anderen geachtet und das auch angeprange­rt. Wenn einer ein Alkoholpro­blem hatte, erfuhr man das auch mit erhobenem Zeigefinde­r. Über die Mitchriste­n, die am Stammtisch schmutzige Witze rissen und dann zur Beichte gingen, runzelte man die Stirn. Und auf den direkten Draht zu Gott – ohne Heilige oder Maria dazwischen – war man stolz.

Es gab auch Verletzung­en: Gemischte Trauungen, obschon katholisch, wurden verweigert. Die Äbte in Beuron waren barmherzig­er. Oder als Abweichler und „Wüstgläubi­ge“oder gar „Heiden“beschimpft zu werden, das hat Wunden hinterlass­en.

Heute organisier­t der Ökumeneaus­schuss in Spaichinge­n die Angebote zu 500 Jahre Reformatio­n. Das ist nun „typisch was“?

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FOTO: REGINA BRAUNGART Pfarrer Johannes Thiemann mit ein paar Ausstellun­gsstücken.

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