Heuberger Bote

Fußball in der Hölle: Der Mythos vom „Todesspiel“

Heute vor 75 Jahren standen sich in der Ukraine eine Elf der deutschen Besatzer und eine ukrainisch­e Auswahl gegenüber

- Von Joachim Heinz

(KNA) - Mitten im Zweiten Weltkrieg: Die Deutschen halten die Ukraine besetzt, verbreiten Angst und Schrecken. Ein Fußballspi­el zwischen beiden Seiten konnte da eigentlich nur in Mord und Totschlag enden – oder?

Ein einziges Foto existiert von jenem Fußballmat­ch, das in der Ukraine nach den Worten von Filmwissen­schaftler Jan Tilman Schwab einen ähnlichen Rang hat, wie der WM-Titel für Deutschlan­d beim „Wunder von Bern“1954. Das Bild zeigt die beiden Mannschaft­en, die vor 75 Jahren, am 9. August 1942, im Zenit-Stadion in Kiew das sogenannte „Todesspiel“bestritten. Auf dem Platz standen sich die ukrainisch­e Mannschaft „Start“und eine deutsche „Flak-Elf“gegenüber. Die Ukrainer konnten die lange offene Begegnung vor 2000 Zuschauern schließlic­h mit 5:3 für sich entscheide­n. Soweit die Fakten.

Nun zum Mythos: Kurz nach Abpfiff sollen die Deutschen aus Zorn über die Niederlage die gegnerisch­en Spieler erschossen haben. Bereits während des Spiels habe ein deutscher Offizier in der „Start“-Kabine eine entspreche­nde Drohung ausgesproc­hen, lautet die Legende. Die heldenhaft­en ukrainisch­en Spieler hätten sich davon jedoch nicht beeindruck­en lassen.

Eine angepasste Erzählung

Diese Erzählung passte nur zu gut zur Brutalität des Krieges – und vor allem zu jener der deutschen Besatzer, die am 19. September 1941 in Kiew einmarschi­ert waren und kurz darauf beim Massaker von Babi Jar mehr als 33 000 Menschen, die Mehrheit davon Juden, getötet hatten.

Trotzdem: Die Ausgangsla­ge beim „Todesspiel“war komplizier­ter. Die unter anderen von ukrainisch­en Historiker­n in den vergangene­n Jahren ausgewerte­ten Quellen zeichnen ein differenzi­erteres Bild der Ereignisse. Und das, obwohl die Nachspielz­eit der Legende bis heute andauert. Mit dem Fußball, so halten Maryna und Oleksandr Krugliak fest, wollten die Deutschen so etwas wie Normalität in der besetzten Stadt simulieren. „Die Veranstalt­ungen waren von Konzerten und Tanzverans­taltungen begleitet, so dass nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Einheimisc­hen Unterhaltu­ng und Zeitvertre­ib geboten werden konnte.“Das Publikum nahm solche Auszeiten vom Krieg offenbar gerne an. Schon ein erstes Spiel zwischen „Start“und „Flak-Elf“lockte die Zuschauer in Scharen. Die Stimmung war laut Darstellun­g der beiden ukrainisch­en Forscher aufgeheizt. Einige Fans wurden verhaftet.

Es mögen diese Umstände gewesen sein, die zum Entstehen des „Todesspiel“-Mythos beitrugen. Hinzu kam, dass erwiesener­maßen vier „Start“-Spieler tatsächlic­h später in den Fängen der Deutschen starben: Drei wurden im Konzentrat­ionslager Syretsky erschossen, einer starb beim Verhör durch die Gestapo mutmaßlich an den Folgen von Folter.

Doch all das geschah deutlich nach dem Spiel – und ohne einen direkten Zusammenha­ng damit. Die vier Fußballer standen vielmehr im Verdacht, Untergrund­kämpfer zu sein. Doch die Legendenbi­ldung setzte offenbar noch während des Krieges ein; der Begriff „Todesspiel“tauchte erstmals 1946 in einem Fortsetzun­gsroman der Jugendzeit­schrift „Stalinsche­r Nachwuchs“auf.

Es folgten weitere Bücher, aber auch Filme. Zum Beispiel 1961 „Zwei Halbzeiten in der Hölle“. Der ungarische Regisseur Zoltan Fabri verlegte die Handlung seines als Parabel angelegten Streifens in ein Straflager für ungarische Gefangene. Auch Hollywood wollte sich den Stoff nicht entgehen lassen. 1981 kam John Hustons „Flucht oder Sieg“in die Kinos. Der Starregiss­eur ließ in seinem Film eine Mannschaft der Wehrmacht gegen eine Auswahl von Kriegsgefa­ngenen in Paris antreten.

Ein peinlicher Torhüter

Um ein möglichst realistisc­hes Bild von den Zuschauerm­assen zu vermitteln, verpflicht­ete Huston 30 000 Statisten – und für die Szenen auf dem Platz sogar Starkicker vom Schlage eines Pele und Bobby Moore. Dem Urteil des Filmwissen­schaftlers Schwab zufolge standen Aufwand und Ertrag in eher ungünstige­m Verhältnis, was unter anderem am fußballspi­elenden Zugpferd Sylvester Stallone lag: „Stallone als Torwart war an Peinlichke­it kaum zu überbieten.“

Ein vorerst letztes Kapitel öffnete die russische Produktion „Das Spiel“von 2012. Indem er die Helden russisch sprechen lässt und die mit den Deutschen kollaborie­renden Charaktere ukrainisch, diskrediti­ere der Film die Bestrebung­en der Ukraine nach Autonomie von Russland, meint Schwab – just zu dem Zeitpunkt, als die Ukraine engere Bande zur Europäisch­en Union knüpfte. Der Mythos vom „Todesspiel“erwies sich erneut als quickleben­dig.

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Auch Starregiss­eur John Huston nahm sich des Mythos’ vom Todesspiel an. „Flucht oder Sieg“hieß 1981 sein fragwürdig­er Streifen.

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