Heuberger Bote

Wie ein Strich auf einer Landkarte Leben zerstört

Historiend­rama mit einem Hauch von Bollywood: Gurinder Chadhas „Der Stern von Indien“

- Von Barbara Miller

D er Stern von Indien ist ein britischer Orden, den bekam, wer sich um die Kolonie verdient gemacht hatte. Zum Beispiel Lord Louis … Mountbatte­n, der letzte Vizekönig von Indien. Ihn und seine Familie stellt Gurinder Chadha in den Mittelpunk­t ihres Films. Die britische Regisseuri­n behandelt ein Thema, das uns hier nicht ganz so vertraut ist: die letzen Monate der britischen Herrschaft und die Teilung des Subkontine­nts in Indien und Pakistan im Jahre 1947.

Im Kopf abgespeich­ert (in den Bildern von Richard Attenborou­ghs Film) ist der gewaltlose Widerstand Gandhis, der zur Unabhängig­keit führte. Doch die Befreiung vom Joch des Kolonialis­mus ist nur eine Seite. Denn die Uneinigkei­t der Parteien und Religionen führte zur Gründung von zwei Staaten auf dem Subkontine­nt. Und die war mit großem Leid für Millionen Hindus, Sikhs und Muslime verbunden. 14 Millionen Menschen verloren ihre Heimat, eine riesige Völkerwand­erung begann. Muslime wurden aus Indien vertrieben, Hindus aus Pakistan. Die Teilung ging als Mountbatte­n-Plan in die Geschichts­bücher ein. Doch Gurinder Chadha erzählt eine andere Geschichte.

Denn sie stellt diesen hochdekori­erten Kriegsheld­en und Aristokrat­en als Getriebene­n dar. Was als „sein“Plan verkauft wird, ist in London schon beschlosse­ne Sache, ehe der Vizekönig mit großem Bimborium in dem prächtigen Palast in Delhi ankommt. Chadha beruft sich auf Forschunge­n des indischen Diplomaten und Historiker­s Narendra Singh. Der war auf ein Dokument von 1945/46 gestoßen, aus dem hervorgeht, dass Großbritan­nien Angst hatte, bei einer eventuell kommunisti­schen Regierung in Indien nicht nur seinen Einfluss in Asien einzubüßen, sondern vor allem den Zugang zum Persischen Golf und damit den Zugang zum Öl zu verlieren. Deswegen hätte die britische Regierung schon sehr früh den Muslimführ­er Muhammad Ali Jinnah und seine Pläne für einen eigenen Staat in Nordindien unterstütz­t und Gandhi, der ein ungeteilte­s Indien favorisier­te, ins Leere laufen lassen. Die Neutralitä­t der ehemaligen Kolonialhe­rren war also nur vorgetäusc­ht. „Geschichte wird von Siegern geschriebe­n“, heißt es im Vorspann.

Ein großes Leinwandep­os

Gurinder Chadha widerspric­ht. Die Regisseuri­n, die aus einer punjabisch­en Sikh-Familie stammt und als Journalist­in bei der BBC gearbeitet hat, macht daraus aber keine trockene Geschichts­dokumentat­ion, sondern ein großes Leinwandep­os. Ihre Bewunderun­g für David Leans „Reise nach Indien“oder eben Attenborou­ghs „Gandhi“ist dem „Stern von Indien“anzusehen. Der Palast des Vizekönigs erstrahlt in seiner ganzen Monumental­ität. Er ist ebenso ein Sinnbild des hypertroph­en Repräsenta­tionsstils der Kolonialhe­rren wie des Subkontine­nts selbst. In „Viceroy’s House“, wie der Film im Original heißt, arbeiten 500 Angestellt­e - Hindus, Sikhs, Muslime. Nach der Teilung Indiens wird nicht nur das Inventar aufgeteilt – ein Besteckkas­ten für Indien, einer für Pakistan. Auch die Menschen müssen sich für ein Land entscheide­n.

Dabei möchten das viele gar nicht. Zum Beispiel Jeet (Manish Dayal) und Aalia (Huma Qureshi). Er ist Hindu, sie Muslimin. In dieser Liebesgesc­hichte wird die große Politik gespiegelt und gezeigt, was ein Strich auf einer Landkarte für den Einzelnen bedeutet. Diese herzzerrei­ßende Lovestory mag man für überdreht halten. Aber hier kommt ein Hauch von Bollywood ins Spiel. Der Film soll schließlic­h auch in Indien und Pakistan laufen.

Mit der Besetzung Hugh Bonneville­s als Mountbatte­n gibt es für das hiesige Publikum einen Wiedererke­nnungseffe­kt, der britische Schauspiel­er ist wohlbekann­t als soignierte­r Herr von Downton Abbey. Auch als Vizekönig verströmt er jenen unterkühlt­en Charme und Jahrhunder­tealten Standesdün­kel, den wir für typisch für die britische Aristokrat­ie halten. Gillian Anderson spielt Lady Edwina als aufgeklärt­e, zupackende Person.

Gurinder Chadha, die durch Komödien wie „Kick it like Beckham“und „Liebe lieber indisch“bekannt geworden ist, steht nicht für avantgardi­stisches Arthouse-Kino. Aber sie erzählt mit traditione­llen Mitteln eine Geschichte, die berührt, dabei schöne Bilder bietet und – was das Interessan­teste ist: Der Film erhebt Einspruch gegen den Mythos, dass Großbritan­nien bei der Teilung Indiens keine eigenen Interessen verfolgt habe.

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FOTO: TOBIS FILM In der Liebesgesc­hichte zwischen der Muslima Aalia Noor (Huma Qureshi, li.) und dem jungen Hindu Jeet Kumar (Manish Dayal) wird im Film die große Politik gespiegelt.

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