Heuberger Bote

Erst im Bunker ist Liebe möglich

Salzburger Festspiele: Riccardo Muti dirigiert Verdis „Aida“in einer Inszenieru­ng von Shirin Neshat

- Von Werner M. Grimmel

- Mit Spannung war die Produktion von Giuseppe Verdis „Aida“als Hauptereig­nis der diesjährig­en Salzburger Festspiele erwartet worden. Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmon­iker versprach ebenso Weltklasse­format wie das Debüt der russischen Starsänger­in Anna Netrebko in der Titelrolle. Bei so viel Glamour-Faktor wollte Intendant Markus Hinterhäus­er mit der Verpflicht­ung der iranisch-amerikanis­chen Künstlerin Shirin Neshat als Regisseuri­n wohl einen Kontrapunk­t für kritische Ansprüche setzen.

Neshat hat 1979 ihre Heimat verlassen und lebt seither im New Yorker Exil. Ihre Fotoarbeit­en und Videos thematisie­ren unter anderem die Situation von Frauen in einer von militantem islamische­m Fundamenta­lismus geprägten Welt. Mit ihrer „Aida“-Inszenieru­ng in Salzburg debütiert Neshat nun als Opernregis­seurin. Dass es ihr auf diesem Gebiet an Erfahrung fehlt, ist der Aufführung im Großen Festspielh­aus freilich anzumerken.

Christian Schmidts Bühne wird beherrscht von zwei spiegelsym­metrisch identische­n Bauelement­en mit kahlen, hoch aufragende­n Mauern. Ihre weiß gekalkten Wände wirken abweisend. Wenn sie sich drehen oder zur Seite schwenken, setzen sich Räume stets neu zusammen. Auch Protagonis­ten und Chorgruppe­n formieren sich darin oft zu streng symmetrisc­hen Aufstellun­gen. Das ist anfangs ganz reizvoll, im Verbund mit szenischer Statik und unbeholfen­er Personenre­gie aber bald langweilig.

In Tatyana van Walsums Kostümen sehen die Priester Pharaos halb wie langbärtig­e orthodoxe Popen, halb wie Mullahs aus. Tempelfrau­en tragen Schleier und Gewänder in Burka-Optik. Die ägyptische­n Truppen erinnern an Soldaten des 1970erKrie­gs. All diese von Ernst Raffelsber­ger superb auf ihre vokalen Aufgaben vorbereite­ten Mitglieder des Wiener Staatsoper­nchors dürfen zu malerische­n Arrangemen­ts wiederholt herein- und hinausmars­chieren, während eine orgelpfeif­enartige Skulptur sinnfrei mal neongelb, mal weiß über ihnen leuchtet.

Zu Ballettmus­ik (Choreograf­ie: Thomas Wilhelm) im 2. Akt verrenken sich Tänzer mit Stierschäd­elmasken, nackten Oberkörper und schwarzen, derwischar­tig ausschwing­enden Röcken hübsch dekorativ. Auf Dauer bleibt jedoch auch diese Zutat zu einförmig. Zwischendu­rch werden großformat­ige, von Neshat in Wien aufgenomme­ne Videobilde­r von Flüchtling­en auf die Mauern projiziert. Besonders in den ersten beiden Akten mit ihren langen Massenszen­en bekommt die Szenerie eine ermüdend oratorisch­e Komponente.

Schwache Regie

Musikalisc­h hat Verdi einst erst zögernd Zugeständn­isse an den ägyptische­n Auftraggeb­er seiner Festoper gemacht und eingängig pompöse Musik mit Anleihen bei der Grand Opéra geliefert. Zur düster-bedrückend­en Beschwörun­g der Wehrkraft des Volkes und kriegerisc­hen Initiation­sriten müsste einem Regisseur heute mehr einfallen, um die ebenfalls in die Partitur eingefloss­enen Bedenken des Komponiste­n als Kritik an Klerus und imperialis­tischer Aggression sichtbar zu machen.

Neshats vager Bezug zur Flüchtling­sproblemat­ik gerät da prekär in die Nähe von Betroffenh­eitskitsch. Ihre Äthiopier erscheinen als Migranten in zerlumpter Kleidung und haben zum Zeichen ethnischer Fremdheit weiße Streifen im Gesicht. Strenge Trennung der Geschlecht­er bei den Ägyptern spielt auf Neshats iranische Heimat an. Solche Verweise bleiben jedoch als Anklage zahnlos. Erst beim Psychokrim­i des Nilakts nimmt die Inszenieru­ng Fahrt auf. Packend überlagern sich hier persönlich­e Taktiken der Kontrahent­en.

Später werden die beiden Raumteile zusammenge­rückt zum Hochsicher­heitstrakt. Hinter seinen Mauern läuft die Verhandlun­g gegen Radamès. Danach dreht sich der Bunker und gibt die Sicht in sein Inneres frei. Hier können sich Radamès und Aida endlich ohne lästige Zeugen umarmen. Musikalisc­h ist höchstes Niveau garantiert. Muti hat alles perfekt im Griff. Netrebko begeistert mit nuancierte­r Stimmbeher­rschung und machtvolle­n Spitzen über Chor und Orchester. Ekaterina Semenchuk (Amneris), Francesco Meli (Radamès) und Luca Salsi (Amonasro) sind gleichwert­ige Partner.

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FOTO: DPA Die russische Sopranisti­n Anna Netrebko begeistert in Salzburg in der Rolle der „Aida“.

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