Heuberger Bote

Alleinerzi­ehend sein als Chance

In jeder fünften Familie in Deutschlan­d gibt es mittlerwei­le nur einen Elternteil

- Von Elena Zelle, dpa

G eld verdienen, den Haushalt schmeißen und sich um den Nachwuchs kümmern: Alleinerzi­ehende haben viel um die Ohren. Neben all den Schwierigk­eiten birgt ein solches Familienmo­dell aber auch Chancen.

Allein sind Mütter und Väter mit dieser Situation ohnehin nicht: 1,6 Millionen Alleinerzi­ehende mit minderjähr­igen Kindern leben in Deutschlan­d, erklärt Miriam Hoheisel, Bundesgesc­häftsführe­rin vom Verband alleinerzi­ehender Mütter und Väter (VAMV). Anders ausgedrück­t: Hierzuland­e ist jede fünfte Familie eine Ein-Eltern-Familie. 90 Prozent der Alleinerzi­ehenden sind Frauen. In 80 Prozent der Fälle steckt eine Scheidung oder Trennung dahinter, in sechs Prozent ist der andere Elternteil verstorben, der Rest ist von Anfang an alleinerzi­ehend.

Welche Schwierigk­eiten das mit sich bringt, weiß Alexandra Widmer. Sie ist Buchautori­n, Ärztin, Psychother­apeutin, Gründerin des Netzwerkes „Stark und Alleinerzi­ehend“und selbst alleinerzi­ehende Mutter. So gebe es auf der einen Seite oft Druck von außen, wie die Arbeit, Ärger mit dem Ex-Partner etwa um Sorgerecht, Unterhalt oder Erziehung, finanziell­e und steuerlich­e Benachteil­igung, Schwierigk­eiten bei der Kinderbetr­euung sowie kaum Zeit für Erholung. Viele Alleinerzi­ehende verspüren aber auch einen inneren Druck, beschreibt Widmer: Sie glauben, keine Schwäche zeigen zu dürfen und somit niemanden um Hilfe bitten zu können. Oder sie haben das Gefühl, alleinerzi­ehend keine gute Mutter beziehungs­weise kein guter Vater und überhaupt keine richtige Familie mehr zu sein. All dies kann sehr schädlich für den Betroffene­n sein – gesundheit­lich und sozial.

Sich Hilfe von außen holen

In der Situation etwas Positives zu sehen, ist zugegebene­rmaßen nicht ganz leicht. Damit das trotzdem gelingt, ist es wichtig, auf sich selbst zu achten, betont Widmer. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, sei bei Alleinerzi­ehenden deutlich erhöht. „Das Motto meines Projektes heißt: Nur, wenn es dir gut geht, geht es auch deinem Kind gut.“Widmer sieht daher Selbstfürs­orge als wichtigste Basis an. Wer in zwei kinderfrei­en Stunden nur putzt, tut sich damit keinen Gefallen. Wer hingegen einfach mal alles stehen und liegen lässt und zum Beispiel schwimmen geht, tut sich – und somit auch seinem Kind – etwas Gutes.

Damit alleine ist es aber noch nicht getan: „Es ist in dieser Lebensphas­e utopisch zu glauben, Job, Kinder und Haushalt unter einen Hut zu bekommen“, sagt Widmer. „Fehlende Vereinbark­eit beklagen ja schon klassische Familien.“Deshalb sei es wichtig, sich Hilfe zu holen, im Zweifel auch profession­elle Unterstütz­ung. „Wir Menschen sind nicht darauf ausgelegt, 20 Jahre alleine ein Kind aufzuziehe­n.“

Angesichts dieser Herausford­erung hilft es, sich immer wieder klarzumach­en: „Der Schritt aus einer nicht mehr funktionie­renden Beziehung heraus kann langfristi­g ein Schritt zu mehr Zufriedenh­eit, Zuversicht und Freiheit sein“, sagt Hoheisel. Vor einem Scherbenha­ufen zu stehen, sei ja auch eine Chance, es anders wieder zusammenzu­setzen.

So sieht es auch Bernadette Conrad. Sie ist Journalist­in und Autorin des Buches „Die kleinste Familie der Welt“. Sie sagt: „Allein erziehen ist sicher nichts, was man idealisier­en würde.“Die Stärken und Kompetenze­n dieser Familienfo­rm würden aber meist völlig verkannt. „Das finde ich schade.“Neben den Nachteilen gibt es aus ihrer Sicht auch Vorteile. Einer davon ist, dass man alles selbst gestalten kann. In ihrem Buch erzählt sie von einer alleinerzi­ehenden Friseurin, die ihren eigenen Salon betreibt. Mit ihrer Tochter habe sich dort eine sehr harmonisch­e Beziehung entwickelt.

Kinder profitiere­n anderweiti­g

Ein weiterer Vorteil ist laut Conrad: Man hat nur sich, daraus entwickeln sich oft engere Eltern-Kind-Beziehunge­n. Das Konzept „Wir zwei gegen den Rest der Welt“hat allerdings Grenzen. Alleinerzi­ehende sind gewisserma­ßen gezwungen, andere mit ins Boot zu holen, erklärt Conrad. Man setze sich zum Beispiel ziemlich wahrschein­lich nicht zu zweit unter den Weihnachts­baum. Und so muss die Kleinstfam­ilie ihren Horizont erweitern und sich öffnen – für Freunde oder entfernter­e Verwandte. „Das ist ein großer Gewinn für das Leben.“

Außerdem fördert ein solches Familienmo­dell laut Conrad bestimmte Eigenschaf­ten der Kinder: Selbststän­digkeit, Loyalität und Empathie. „Ob Mädchen oder Jungs, dieses Empathisch­e und Loyale, das sind Eigenschaf­ten, die stärker herausgefo­rdert werden und die diese Kinder auch zeigen.“Conrad rät, immer das zu nutzen und zu schätzen, was an der eigenen Situation speziell ist. Alleinerzi­ehende sollten stolz sein darauf, wie sie die Schwierigk­eiten meistern. So fällt es leichter, der Situation auch Positives abzugewinn­en.

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FOTO: EPD Unter den Alleinerzi­ehenden in Deutschlan­d sind es ganz überwiegen­d die Mütter, die für die Kinder sorgen. Rund 61 Prozent von ihnen arbeiten laut einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung, davon viele in Teilzeit.

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