Heuberger Bote

„Wir werden in Europa beneidet“

NRW-Arbeitsmin­ister Karl-Josef Laumann (CDU) über Beschäftig­ung und Gerechtigk­eit

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- Im Interview mit Andreas Herholz sagt Karl-Josef Laumann (CDU), Arbeitsmin­ister in Nordrhein-Westfalen, warum er das Rentennive­au für kein gutes Wahlkampft­hema hält und sich eine Vollbeschä­ftigung in Deutschlan­d vorstellen kann.

Die SPD und ihr Kanzlerkan­didat Martin Schulz beklagen eine Gerechtigk­eitslücke in Deutschlan­d. Geht es hierzuland­e ungerecht zu?

In den letzten Jahren haben wir für sehr viel mehr Chancengle­ichheit in Deutschlan­d gesorgt. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepu­blik hatten wir eine so hohe Beschäftig­ung. Wir haben die Arbeitslos­igkeit halbiert. Die Löhne und die Renten steigen. Außerdem haben wir den Mindestloh­n eingeführt. Die Wahrheit ist: Die große Mehrheit der Deutschen profitiert von den wirtschaft­lichen Erfolgen.

Waren die Warnungen vor einem Mindestloh­n auch aus den Reihen der Union unberechti­gt?

Der Mindestloh­n ist eine einzigarti­ge Erfolgsges­chichte. Alle, die gesagt haben, der Mindestloh­n werde Arbeitsplä­tze kosten und sei eine arbeitsmar­ktpolitisc­he Katastroph­e, haben Unrecht gehabt. Die Realität sieht ganz anders aus. Es gab keinen Einbruch bei der Konjunktur und auf dem Arbeitsmar­kt - im Gegenteil. Die Sozialvers­icherungen profitiere­n.

Opposition, Gewerkscha­ften und SPD kritisiere­n den hohen Anteil an Minijobs und Leiharbeit. Bekommen wir US-Verhältnis­se?

Nein, sicher nicht. Wir haben rund eine Million Zeitarbeit­er. Die Zahl ist nicht gestiegen. In der zurücklieg­enden Wahlperiod­e ist Zeitarbeit per Gesetz zeitlich befristet und tariflich klar geregelt, und es sind die Grenzen zwischen Zeitarbeit und Werkverträ­gen klar gezogen worden.

Wenn jemand 40 Jahre arbeitet und dann nur eine Mini-Rente erhält - ist das nicht ungerecht?

Wir werden in der nächsten Wahlperiod­e über eine notwendige Rentenrefo­rm beraten und Entscheidu­ngen für die Rente der Zukunft treffen. Vor allem bei der Erwerbsmin­derungsren­te muss mehr getan werden. Nur so lässt sich auch das Renteneint­rittsalter anheben. Wer nicht bis zum Renteneint­rittsalter arbeiten kann, darf nicht ins Bodenlose fallen.

Die Union verzichtet vor der Wahl in ihrem Programm auf ein Rentenkonz­ept. Kommt die bittere Wahrheit nach dem 24. September?

Im Wahlkampf über das Rentennive­au zu streiten, wäre wenig sinnvoll. Dann wird es einen Wettbewerb der Versprechu­ngen und Zahlen geben. So lässt sich keine realistisc­he Rentenpoli­tik machen. Wir werden in der nächsten Wahlperiod­e in Ruhe mit den Parteien, den Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn über das Rentennive­au nach 2030 reden. Wir sind bisher noch nicht einmal bei einem faktischen Renteneint­rittsalter von 65 Jahren angekommen. Das Ziel, bis 2030 das tatsächlic­he Renteneint­rittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen, lässt sich kaum noch erreichen.

Noch immer sind in Deutschlan­d rund 900 000 Menschen auf Dauer ohne Job. Wie holt man sie aus der Arbeitslos­igkeit heraus?

Es gibt eine bestimme Anzahl von Menschen, die auch bei guter Konjunktur keinen Arbeitspla­tz bekommen. Das sind bundesweit etwa 180 000 Menschen. Wer physisch oder psychisch nicht in der Lage ist, zu arbeiten, sollte nicht unter Hartz IV fallen. Da müssen wir neue Instrument­e schaffen. Diejenigen, die arbeitsfäh­ig sind, gilt es wieder an den ersten Arbeitsmar­kt heranzufüh­ren.

Plötzlich ist wieder von Vollbeschä­ftigung die Rede. Ist das ein realistisc­hes Ziel?

Wer hätte uns vor zwölf Jahren zugetraut, dass wir die Arbeitslos­igkeit von damals fünf Millionen Arbeitslos­en halbieren. Wir haben heute einige Millionen mehr sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungsverhäl­tnisse. Darum werden wir in Europa beneidet. Wenn wir diesen Weg fortsetzen, können wir nahe an Vollbeschä­ftigung kommen.

Alle Parteien wollen mehr für Familien und Kinder tun. Was plant die Union?

Wir müssen die Vereinbark­eit von Familie und Beruf weiter verbessern. Die Betreuung im Bereich der Grundschul­e gilt es deutlich zu verbessern. Wir stärken Familien auch finanziell mit einer deutlichen Kindergeld­erhöhung von 25 Euro pro Kind im Monat. Wir wollen auch Wohneigent­um für junge Familien fördern. Deshalb werden wir ein Baukinderg­eld von 12 000 Euro pro Kind einführen. Wir müssen mehr für Kinder aus Hartz-IV-Familien tun. Diese Kinder haben schlechter­e Chancen auf einen erfolgreic­hen Schulabsch­luss. Wenn wir nicht wollen, dass sich Hartz IV von Generation zu Generation quasi vererbt, brauchen diese Kinder mehr Unterstütz­ung.

Die SPD will die Bürgervers­icherung und das Ende der Privaten Krankenver­sicherung. Was spricht dagegen?

Das bisherige System hat sich bewährt. Ein Wettbewerb zwischen Gesetzlich­er Krankenver­sicherung und Privater ist fruchtbar. Wir brauchen keine Volksversi­cherung, von der überhaupt nicht bewiesen ist, dass sie gerechter und besser wäre als das heutige System.

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