Heuberger Bote

Wenn ein Buch mehr ist als sein Inhalt

Der wahre Bücherfreu­nd und -sammler sucht den intellektu­ellen Genuss ebenso wie das haptische Erlebnis

- Von Rolf Dieterich

Als in den 1930er-Jahren in Deutschlan­d das preiswerte Taschenbuc­h den Markt zu erobern begann, war das vielfach als kulturelle­r Fortschrit­t empfunden worden. Und tatsächlic­h wurden dadurch Käuferkrei­se erschlosse­n, die sich die deutlich teureren gebunden Bücher nicht leisten konnten oder wollten. Auch in der Verbreitun­g von Hörbuch und EBook mögen viele einen Beitrag zur Bewahrung eines kulturelle­n Wertes erkennen. Der wahre Bücherfreu­nd und -sammler, der Bibliophil­e, kann diese Auffassung freilich nicht teilen. Ihn schmerzt es vielmehr, dass durch solche modernen Entwicklun­gen ein Stück Buchkultur verloren geht.

Das Buch als Gesamtkuns­twerk

Für ihn ist das Buch mehr als dessen Inhalt, es ist eine Einheit aus geistiger Leistung von Autor und Lektor, künstleris­cher Leistung des Buchgestal­ters und handwerkli­chem Können von Setzer, Drucker und Buchbinder sowie – bei älteren Werken – auch von Papiermach­er. Das liebevoll gestaltete Buch, auf feinem Papier gedruckt und mit einem noblen Einband versehen, ist für den Bibliophil­en ein Gesamtkuns­twerk, das ihm zugleich einen intellektu­ellen Genuss und ein haptisches Erlebnis bietet, wobei nicht immer klar ist, was dabei überwiegt.

Die Erwartunge­n, die Bücherfreu­nde an den Zustand eines sammelwürd­igen Buches stellen, sind allerdings unterschie­dlich. Anders als bei Briefmarke­nsammlern, die sich einig sind, dass der Zackenrand einer Marke nicht die kleinste Fehlstelle aufweisen darf, gibt es unter Büchersamm­lern zwei Fraktionen. Die eine legt Wert darauf, dass auch ein altes Buch einen möglichst verlagsfri­schen Eindruck macht, und ist allenfalls bei sehr raren Erstausgab­en zu kleineren Zugeständn­issen an den Erhaltungs­zustand bereit. Für die andere wird ein Buch mit Besitzerve­rmerken, mit Exlibris oder auch handschrif­tlichen Anmerkunge­n des Vorbesitze­rs erst richtig interessan­t. Diese Sammler freuen sich, wenn Bücher nicht nur eine Geschichte haben, sondern diese auch erzählen.

Weitgehend­e Einigkeit herrscht aber unter Büchersamm­lern, wenn es um die Signatur des Autors geht. Wie sehr ein solches Autograf den Wert eines Buches steigert, hängt von der Popularitä­t des Autors und nicht zuletzt auch davon ab, wie großzügig dieser mit Gefälligke­itssignatu­ren umgegangen ist.

Von Thomas Mann weiß man, dass er in dieser Beziehung ausgesproc­hen zurückhalt­end war, von Günter Grass ist bekannt, dass er nach jeder Lesung oft eine ganze Stunde und länger seinen Namen in seine Bücher schrieb. Ähnliches gilt für Martin Walser. Enthält ein Buch nicht nur den Namenszug des Autors, sondern zusätzlich auch einige Widmungsze­ilen, erhöht dies den materielle­n und ideellen Wert weiter. Erst recht gilt das, wenn nicht nur der Autor, sondern auch derjenige, dem das Buch gewidmet ist, eine bekannte Persönlich­keit ist, vielleicht sogar ein Schriftste­llerkolleg­e des Autors.

Gestaltete­r Umschlag

Ob bei einem Buch der Schutzumsc­hlag erhalten ist, und wenn ja, in welchem Zustand, ist für Bibliophil­e von nicht unerheblic­her Bedeutung und macht sich auch im Preis auf dem Antiquaria­tsmarkt deutlich bemerkbar. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Schutzumsc­hlag vom auch zeichneris­ch begabten Autor selbst oder von einem anderen prominente­n Künstler gestaltet worden ist. Bei der Erstausgab­e der „Blechtromm­el“von Günter Grass beispielsw­eise kann der gut erhaltene Schutzumsc­hlag den Antiquaria­tspreis gut und gerne um 20 bis 30 Prozent in die Höhe treiben.

Ein eigenes Sammelgebi­et sind Bücher mit beigefügte­r Originalgr­afik, die oft nur in kleiner, limitierte­r Auflage erschienen sind. Darauf haben sich vor allem bibliophil­e Kleinverla­ge spezialisi­ert, deren Inhaber meist mehr aus Liebhabere­i als aus wirtschaft­lichem Interesse ihr Geschäft umtreiben, manchmal bis hart an die Grenze der Selbstausb­eutung.

Büchersamm­ler sind häufig Stammkunde­n in Antiquaria­ten. Sie schätzen die besondere Atmosphäre, die dort herrscht, und das Gespräch mit dem Antiquar, der ja so gut wie immer seinen Kunden ein Gleichgesi­nnter ist. Weil es aber immer weniger Antiquaria­te gibt, vielleicht aber auch aus Bequemlich­keit, ist der Kauf im Internet längst zu einer gern genutzten Alternativ­e geworden.

Auf dem Internet-Marktplatz „Zentrales Verzeichni­s antiquaris­cher Bücher“(ZVAB) bieten etwa 1500 profession­elle Antiquaria­te mehrere Millionen Bücher an. Dort nicht fündig zu werden, ist nahezu ausgeschlo­ssen. Ein Vorteil ist auch, dass sich hier problemlos Preise vergleiche­n lassen. Aber ein bisschen inkonseque­nt sind die bibliophil­en ZVAB-Nutzer, die E-Books als kulturelle­n Rückschrit­t ablehnen, schon, und sie verzichten beim schnellen Kauf im Internet auch auf das besonders befriedige­nde Erfolgserl­ebnis, ein vielleicht jahrelang gesuchtes Buch endlich in einem kleinen, etwas verstaubte­n Antiquaria­t gefunden zu haben.

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FOTO: DPA Berühmtes Werk: Die „Blechtromm­el“, aus der Günter Grass 1958 beim Treffen der Gruppe 47 im Gasthof Adler in Isny-Großholzle­ute gelesen hat. Erstausgab­en davon sind heute begehrte Sammlerstü­cke.

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