„Die SPD ist dabei, das zu vergeigen“
Linken-Chef Bernd Riexinger im Gespräch über den Bundestagswahlkampf und mögliche Koalitionspartner
RAVENSBURG - Linken-Chef Bernd Riexinger hält einen Sieg von RotRot-Grün bei der Bundestagswahl im September für wenig wahrscheinlich und macht dafür vor allem die Sozialdemokraten verantwortlich. Die Linken wollten, dass Merkel abgewählt werde, „aber die SPD ist dabei, das zu vergeigen“. Auch die Grünen kritisierte der Bundesvorsitzende der Linken: „ Sie scheinen sich ohnehin unter Merkels Rock wohler zu fühlen.“Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagte Riexinger am Montag, „im Moment reicht es rechnerisch nicht, aber es sind noch sechs Wochen, wobei ich nicht sehe, wie die SPD aus dem Keller kommen könnte“. Es habe eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen des SPD-Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten Martin Schulz gegeben, die die Wahlchancen verringerten, „beispielsweise, indem er eine Koalition mit der FDP in Erwägungen gezogen hat“. Wer glaube, dass man mit der FDP in Fragen der sozialen Gerechtigkeit weiterkomme, glaube auch daran, „dass man Haifische zu Vegetariern erziehen kann“. Riexinger kritisierte den SPD-Spitzenkandidaten scharf. Schulz versuche sich als zweiter Macron (französischer Präsident, Anm. der Red.) zu inszenieren, aber in Deutschland „brauchen wir keinen zweiten Macron, weil Macron bei uns Merkel ist“.
Sie vertrete eine neoliberale Politik mit sozialdemokratischen Anleihen. „Solange Schulz nicht als Alternative zu Merkel erkennbar ist, hat er keine Machtoption.“Riexinger gab zu, dass seine Partei in Baden-Württemberg vor allem auf dem Land Probleme habe. In den Städten bekomme die Linke von jungen Leuten sehr viel Zulauf, „aber wir haben eine Schwäche im ländlichen Bereich. Dort ist die Partei weitaus weniger präsent als in den Großstädten“.
Dennoch wolle die Linke ein zweistelliges Ergebnis erzielen. „Dann haben wir auch die Chance, einen Teil unserer Forderungen durchzubekommen.“Kompromisslinien für eine mögliche Regierungsbeteiligung wollte Riexinger nicht nennen.
- Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, wirft den Sozialdemokraten vor, die Chance auf Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl „zu vergeigen“. Solange SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz „nicht als Alternative zu Merkel erkennbar ist“, habe er keine Machtoption, sagte Riexinger im Gespräch mit Hendrik Groth und Claudia Kling. Zugleich betonte Riexinger, der auf Platz eins der baden-württembergischen Landesliste für den Bundestag kandidiert, dass seine Partei mehr als „nur kleine Korrekturen an der neoliberalen Politik“will. Dazu gehöre auch eine Vermögensteuer.
Herr Riexinger, der Wahlkampf nimmt gerade erst Fahrt auf, und dennoch hat man den Eindruck, die Linke habe Rot-Rot-Grün bereits abgeschrieben. Stimmt das?
Nein, an uns wird Rot-Rot-Grün nicht scheitern. Wir wollen, dass Merkel abgewählt wird, denn nur wenn es einen Politikwechsel gibt, geht die soziale Schere im Land nicht noch weiter auf. Aber die SPD ist dabei, das zu vergeigen. Das kann man nicht anders sagen. Martin Schulz hat zu Beginn seiner Kandidatur mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit gezeigt, dass eine resozialdemokratisierte SPD ein zusätzliches Wählerpotential von zehn Prozent anspricht. Diese Chance hat er aber mutlos liegen lassen durch Fehlentscheidungen – beispielsweise, indem er eine Koalition mit der FDP in Erwägung gezogen hat. Wer glaubt, dass man mit der FDP in Fragen der sozialen Gerechtigkeit weiterkommt, glaubt auch daran, dass man Haifische zu Vegetariern erziehen kann. Und die Grünen scheinen sich ohnehin unter Merkels Rock wohler zu fühlen.
Das heißt also, Rot-Rot-Grün bleibt für Sie ein Zukunftsprojekt?
Im Moment reicht es rechnerisch nicht, aber es sind noch sechs Wochen, wobei ich nicht sehe, wie die SPD aus dem Keller kommen könnte. Letztlich schließen nur wir aus, Merkel wieder zur Kanzlerin zu wählen. Deshalb signalisiert eine starke Linke am deutlichsten den Wählerwillen nach einem Politikwechsel. Wir wollen ein zweistelliges Ergebnis erzielen. Dann haben wir auch die Chance, einen Teil unserer Forderungen durchzubekommen.
In der Außenpolitik, die in Zeiten von US-Präsident Donald Trump und Brexit immer wichtiger wird, bietet die Linke für Sozialdemomit kraten und Grüne keine Ansprechpartner.
Wir müssen uns SPD und Grünen auch nicht andienen, wir haben eigene ganz klare Vorstellungen zur Europapolitik. Wir wollen die soziale Spaltung in Europa überwinden. Die europäische Idee wird zerstört, wenn es Länder mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit gibt. Eine Nivellierung der europäischen Sozialstandards und einen Steuerwettbewerb nach unten muss verhindert werden. Und wir wollen keine militärische Außenpolitik in Europa, sondern eine aktive Friedenspolitik. Das Drama der Sozialdemokratie besteht doch gerade darin, dass sie mit ihrer neoliberalen Politik in Europa nur verloren hat. In den Niederlanden und in Frankreich liegt sie noch bei sechs Prozent.
Dieselskandal, Vermögensteuer, Bundeswehreinsätze im Ausland: In all diesen Themen sind Sie doch weiter von der SPD entfernt als die SPD von der CSU.
Ich finde, da tun Sie Horst Seehofer unrecht. Schulz versucht sich als zweiter Macron zu inszenieren, aber in Deutschland brauchen wir keinen zweiten Macron, weil Macron bei uns Merkel ist. Sie vertritt eine neoliberale Politik – mit sozialdemokratischen Anleihen, wenn es dem Machterhalt nutzt. Solange Schulz nicht als Alternative zu Merkel erkennbar ist, hat er keine Machtoption. Aber das ist doch für uns kein Grund, uns an eine aufgeweichte sozialdemokratische Politik mit großer Nähe zur CDU anzupassen. Wir sind das Kontrastprogramm, wir machen den Unterschied. Die SPD muss in unsere Richtung marschieren.
Aber da wedelt doch der Schwanz dem Hund, wenn die kleine Partei der größeren Vorgaben machen will.
Keine Vorgaben, sondern einfache politische Logik. Deutschland braucht keine fünfte Partei, die nur kleine Korrekturen an der neoliberalen Politik vornehmen will. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Wir stehen für eine Politik, die zu höheren Löhnen und Renten führt, zu mehr Steuergerechtigkeit und zu mehr Investitionen in Bildung, Erziehung und Gesundheit.
Die Linke hat vergangene Woche Verständnis für die Politik des venezuelanischen Präsidenten Nicolas Maduro geäußert. Zeigt das nicht, wie weit entfernt Ihre Partei von einer Regierungspartei ist?
Ich habe als Vorsitzender der Linken eine sehr differenzierte Stellungnahme zu Venezuela abgegeben. Darin kann von übertriebenem Verständnis für Maduro keine Rede sein. Natürlich muss er anerkennen, dass es eine Opposition gibt und dass er die politische Beteiligung gewählter Parlamentarier nicht einschränken kann. Wir lehnen es aber auch ab, wie die Opposition agiert. Das würde auch nach unseren Maßstäben hier niemals akzeptiert werden. Das haben die Diskussionen über die Gegendemonstrationen beim G20-Gipfel gezeigt.
Sie streben bundesweit ein zweistelliges Ergebnis an, in BadenWürttemberg ist es unsicher, ob Sie auf mehr als fünf Prozent kommen. Warum gelingt es Ihnen hier nicht, die Wähler zu überzeugen. Geht es den Menschen zu gut?
Wir wachsen in Baden-Württemberg in den Städten und bekommen sehr viel Zulauf von jungen Leuten. Aber wir haben eine Schwäche im ländlichen Bereich. Dort ist die Partei weitaus weniger präsent als in den Großstädten. Aber es ist nicht so, dass es allen in Baden-Württemberg gut geht. Auch hierzulande arbeiten 20 Prozent der Bevölkerung in prekären Arbeitsverhältnissen, es gibt einen Niedriglohnbereich und gleichzeitig schießen die Mieten in die Höhe. Viele Menschen müssen kämpfen, um sich das noch leisten zu können.
Wenn Sie Ihr Wahlprogramm, das kurz gesagt mehr Geld für alle, nur nicht für die Reichen vorsieht, in ein Regierungsprogramm umsetzen könnten, müssten Sie doch Mehreinnahmen generieren, um dies gegenfinanzieren zu können. Wie soll das funktionieren, wenn Sie gleichzeitig die Leistungsträger in der Gesellschaft vergrätzen?
Für mich sind Krankenpflegerinnen, Erzieherinnen und Verkäuferinnen Leistungsträger in der Gesellschaft. Sie müssen sich manchmal fast Rollschuhe anschnallen, um ihren Aufgaben hinterherzukommen und verdienen dennoch zu wenig. Deshalb wollen wir alle mit kleinen und mittleren Einkommen steuerlich entlasten. Wer zum Beispiel 3400 Euro im Monat hat, bekäme mit uns im Monat 100 Euro mehr raus. Damit das aufkommensneutral bleibt, müssen wir auf der anderen Seite diejenigen, die mehr als 7100 Euro im Monat bekommen, stärker belasten. Das trifft dann übrigens auch die Bundestagsabgeordneten.
Die oberen 50 Prozent der Gesellschaft zahlen doch jetzt schon 95 Prozent der Steuereinnahmen in Deutschland. Warum braucht es dann weitere Steuererhöhungen?
Da lassen Sie die Mehrwertsteuer unberücksichtigt. Die zahlen überproportional die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, weil sie ihr Geld weitgehend in den Konsum stecken müssen. Die Einkommensverhältnisse haben sich immer weiter auseinander entwickelt. Die oberen zehn Prozent haben in den vergangenen 13 Jahren einiges dazubekommen, während die unteren 40 Prozent leer ausgingen, und die untersten zehn Prozent sogar 11,7 Prozent minus gemacht haben. Dabei ist der gesellschaftliche Reichtum insgesamt um fast 40 Prozent gestiegen, und die Unternehmensgewinne sind in die Höhe geschossen. Alle reden von der Entlastung des Mittelstands, aber nur wir haben ein seriöses Konzept vorgelegt. Dazu gehört auch eine Steuer auf Vermögen von mehr als einer Million Euro, um die Investitionen in Bildung, Erziehung und Gesundheit zu finanzieren. Ohne Vermögensteuer funktioniert das nicht
Und auf welches dieser Vorhaben würden Sie verzichten, wenn Sie dann mitregieren könnten?
Als Gewerkschafter, der viele Tarifverhandlungen mitgemacht hat, kann ich Ihnen versichern, dass man nie im Leben in Verhandlungen reingeht und schon vorher sagt, wie der Kompromiss aussehen könnte. Erst einmal muss doch jede Partei für ihre eigenen Konzepte werben und danach muss man sich um die Kompromisslinien kümmern.