Heuberger Bote

„Grünen geht es einzig um Machterhal­t“

SPD-Landtagsfr­aktionsche­f rechnet mit einer weiteren Kandidatur Kretschman­ns

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RAVENSBURG - Nach der Landtagswa­hl im vergangene­n Jahr hat Andreas Stoch den Chefposten der SPDLandtag­sfraktion übernommen. Die Bildungspo­litik treibt den Ex-Kultusmini­ster aber weiter um. So wirft er seiner Nachfolger­in Susanne Eisenmann (CDU) Aktionismu­s vor. „Frau Eisenmann redet von Ruhe im System und verursacht durch ihre Maßnahmen exakt das Gegenteil“, sagt Stoch im Gespräch mit Kara Ballarin, Hendrik Groth und Ulrich Mendelin. Auch am Spitzenper­sonal der grünschwar­zen Regierung übt er harsche Kritik. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sei nur noch am Machterhal­t interessie­rt, dessen Stellvertr­eter, Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU), überforder­t.

Kultusmini­sterin Eisenmann arbeitet doch sehr emsig daran, die Qualität an den Südwest-Schulen wieder zu steigern. Finden Sie nicht?

Was ich Frau Eisenmann vorwerfe ist, dass sie überhaupt keine eingehende Problemana­lyse vorgenomme­n hat. Die Grundschul­e bräuchte viel mehr Aufmerksam­keit. BadenWürtt­emberg hat im Länderverg­leich an den Grundschul­en den höchsten Prozentsat­z an Schülern, deren Mutterspra­che nicht Deutsch ist. Wenn ich das Thema Sprachförd­erung nicht in den Mittelpunk­t stelle, arbeite ich am Problem vorbei.

Frau Eisenmann schafft doch gerade Englisch und Französisc­h in in den ersten beiden Schuljahre­n ab, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu stärken.

Ich prophezeie: Frau Eisenmann wird die Stunden nicht in mehr Deutsch und mehr Mathe stecken können. Ihr fehlen nämlich 700 bis 800 Lehrkräfte an den Grundschul­en zum nächsten Schuljahr. Bis 2011 hat die CDU es versäumt, in den frühkindli­chen Bereich mehr Geld zu investiere­n und dort die Qualität zu steigern. Das haben wir zwischen 2011 und 2016 nachgeholt und sind im nationalen Vergleich vom vorletzten auf den ersten Platz aufgestieg­en. Das sind die Grundlagen.

Wäre nicht auch ein Baustein für mehr Qualität, kleine Grundschul­en zusammenzu­legen?

Wenn es in Schulen nicht mal mehr eine Klasse pro Jahrgang gibt, dann sind sie zwangsläuf­ig nicht mehr gut mit Lehrkräfte­n ausgestatt­et. Bei einem Kollegium, das aus zwei oder drei Lehrkräfte­n besteht, gibt es bei Erkrankung­en oder Ähnlichem gleich ein Riesenprob­lem. Laut Qualitätss­tudien gibt es die größten Schwachpun­kte an den Kleinstsch­ulen, wo Lehrer Fächer unterricht­en, die sie nicht studiert haben. Wenn zwei kleine Grundschul­en benachbart sind, muss ich mir schon irgendwann aus kommunalpo­litischer Verantwort­ung überlegen, ob ich diese Grundschul­en zusammenfü­ge, um einen lebensfähi­gen und qualitätsv­ollen Standort zu haben. Entscheide­nd ist aber immer die Betrachtun­g des Einzelfall­s.

Welchen Stimmenant­eil soll die Südwest-SPD bei der Bundestags­wahl erreichen? Wieder 12,7 Prozent wie bei der Landtagswa­hl?

Man kann das Bundestags­wahlergebn­is nicht in Korrelatio­n setzen zum Landtagswa­hlergebnis. Man darf ein mögliches Ergebnis von 17 oder 18 Prozent im Vergleich zu den 12,7 Prozent dann auch nicht als Erfolg werten. Im September wird der Faktor Kretschman­n eine kleine Rolle spielen, der Faktor Merkel dafür eine größere. Für eine SPD, die auf Bundeseben­e auf die 30 Prozent zugeht, sollte das Ziel in Baden-Württember­g immer noch bei 25 Prozent liegen. Und bei der nächsten Landtagswa­hl ist es unser Anspruch, die 12,7 Prozent zu verdoppeln.

Glauben Sie, dass Ministerpr­äsident Kretschman­n zur Landtagswa­hl 2021 erneut antritt?

Wenn Sie in Biologie aufgepasst haben, kennen sie das Phänomen von Parasiten und ihren Wirtstiere­n. Im Staatsmini­sterium, dessen Umfeld und in der Landtagsfr­aktion der Grünen wissen ganz viele, dass ihr politische­s Überleben von einer Person abhängt, und die heißt Kretschman­n. Und deshalb werden die alles dafür tun, ihn so lange wie möglich am politische­n Leben zu halten. Wie ich so höre, wird schon heftig auf ihn eingewirkt. Er hält sich zum Teil ja selbst auch für unfehlbar und unersetzba­r. Ich schließe nicht aus, dass Herr Kretschman­n irgendwann vor allem die CDU mit dem Satz beglücken wird, dass er in dieser Situation das Land nicht im Stich lassen könne und wieder antritt. Man merkt schon jetzt, dass es den Grünen nicht mehr um politische Ideen oder Kreativitä­t geht, sondern einzig um den Machterhal­t. Deshalb kann ich mir im Moment eine Beteiligun­g an einer weiteren Regierung Kretschman­n auch nur schwer vorstellen.

Schließen Sie aus, dass Sie gemeinsam mit der CDU und der FDP meutern und Grün-Schwarz im Laufe der Legislatur kippen? Es gäbe eine rechnerisc­he Mehrheit und auch Gespräche hinter den Kulissen, wie man hört.

An manchen Tagen wird man schon schwach. Nämlich dann, wenn die Grünen nur noch eine grün lackierte CDU sind und es ihnen offensicht­lich nicht um die Zukunft des Landes, sondern, in bester CDU-Manier, nur noch um den Erhalt der Macht, geht. Trotzdem gilt, was nach der Landtagswa­hl galt: Eine SPD, die mit einem solch schlechten Ergebnis aus der Wahl geht, muss in der Opposition­szeit zeigen, dass sie die besseren Ideen hat, auch im Vergleich zu den Grünen.

Gemeinsam mit der FDP haben Sie Innenminis­ter Strobl eine Aussprache zur Digitalisi­erungsstra­tegie im Landtag verwehrt, weil er sie zu spät angemeldet hat. Warum?

Der Minister hat keinen Respekt vor dem Parlament. Er fehlt ständig – etwa in Ausschusss­itzungen, aber auch im Plenum. Deshalb müssen wir uns auch nicht alles bieten lassen. Strobl ist mit der Vielzahl seiner Aufgaben insgesamt überforder­t. Ich will hier das Stichwort Digitalisi­erung aufgreifen. Bei der Digitalisi­erung fehlt ihm schlichtwe­g die Kompetenz, das Thema intellektu­ell zu durchdring­en. Für ihn ist es lediglich eine Frage des Netzausbau­s. Was völlig fehlt, ist die Dimension des Menschen – in der Schule, in der Ausbildung, in der Arbeitswel­t. Offenbar weiß er nicht, dass viele Menschen Angst, oder zumindest großen Respekt vor den individuel­len Auswirkung­en der Digitalisi­erung haben.

Wer die Wahl hat, hat die Qual: Sehen Sie Andreas Stoch an unserer „Qualurne“: www.schwaebisc­he.de/qualurne

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Peilt bei der Bundestags­wahl ein Ergebnis von 25 Prozent für die SPD in Baden-Württember­g an – und bei der nächsten Landtagswa­hl auch: Andreas Stoch, SPD-Fraktionsv­orsitzende­r im Stuttgarte­r Landtag.

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