Heuberger Bote

Die große Abgeordnet­en-Bilanz

Welcher Parlamenta­rier aus dem Südwesten fehlte am häufigsten, wer hielt die meisten Reden? – Eine Datenanaly­se

- Von Simon Haas

RAVENSBURG - Gedränge an der Wahlurne, Jubel und Konfetti wie bei der Abstimmung über die „Ehe für alle“sind im Bundestag eher die Ausnahme. Der Alltag im Plenum ist in der Regel geprägt von einer nüchternen Arbeitsatm­osphäre – und fast immer von vielen leeren Sitzen. Auch mit Wortbeiträ­gen tun sich Abgeordnet­e aus Baden-Württember­g mal weniger, mal überdurchs­chnittlich häufig hervor. Dabei waren in der vergangene­n Legislatur­periode Hinterbänk­ler mitunter aktiver als Spitzenpol­itiker, Mitglieder der Opposition oft wissbegier­iger als Parlamenta­rier aus einer Regierungs­fraktion – das zeigt eine Datenanaly­se der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die wohl wichtigste Erkenntnis: Wer kein Mitglied einer Regierungs­fraktion ist, hat mehr Zeit. Denn Opposition­spolitiker sind im Bundestag in der Regel die aktiveren Fragestell­er und die fleißigere­n Redner – nicht zuletzt, um ihre Fraktion ähnlich sichtbar zu machen wie die zahlenmäßi­g überlegene Konkurrenz. Beispiel Annette Groth: Die Linken-Abgeordnet­e aus dem Wahlkreis Bodensee war an 900 Kleinen Anfragen beteiligt. Kleine Anfragen dienen der parlamenta­rischen Kontrolle der Regierung, entspreche­nd selten werden sie von Politikern der Großen Koalition eingebrach­t: Union und SPD bringen es im Schnitt gerade einmal auf zwei Anfragen pro Abgeordnet­em.

Linken-Politikeri­n sehr aktiv

Mit mehr als 1100 dokumentie­rten Aktivitäte­n ist Annette Groth zugleich die umtriebigs­te Opposition­spolitiker­in aus dem Südwesten. Beim Thema namentlich­e Abstimmung­en sieht es für ihre Partei hingegen weniger rosig aus: Michael Schlecht aus Mannheim fehlte bei jeder dritten Abstimmung. Auf Nachfrage nennt er häufige Krankheits­fälle als Grund: „Insbesonde­re hatte ich im letzten Sommer einen Unfall, und es dauerte relativ lange, bis ich dann zum Ende letzten Jahres nach Reha wieder laufen konnte und reisefähig war.“Der 66-jährige Gewerkscha­fter ist inzwischen pensionier­t. Im September tritt er in seinem Wahlkreis nicht mehr an.

„Nicht familienfr­eundlich“

Auch Kerstin Andreae aus Freiburg, Vizefrakti­onschefin der Grünen und den Zahlen nach die am wenigsten aktive Opposition­spolitiker­in, hat mit 22 Prozent eine vergleichs­weise hohe Abwesenhei­tsquote und fehlte sogar häufiger als Grünen-Chef Cem Özdemir (19 Prozent). Auf Anfrage erklärt Andreaes Sprecherin, dass es für die dreifache Mutter nicht immer möglich sei, an allen Abstimmung­en teilzunehm­en; einige fänden nach 23 Uhr statt – dies sei „nicht familienfr­eundlich“. Bei namentlich­en Abstimmung­en immer anwesend waren der CDU-Bundestags­abgeordnet­e aus dem Wahlkreis Schwarzwal­dBaar, Thorsten Frei, sowie Heinz Wiese, Alois Gerig, Markus Grübel (alle CDU) und Annette Sawade (SPD).

CDU und SPD häufiger präsent

Im Schnitt sind Abgeordnet­e der Südwest-Landesgrup­pen von CDU und SPD disziplini­erter, wenn es darum geht, Präsenz bei namentlich­en Abstimmung­en zu zeigen. Die Ausnahme von der Regel: Abgeordnet­e, die gleichzeit­ig Mitglied der Regierung sind. Mit einer Abwesenhei­tsquote von 37 Prozent fehlte Wolfgang Schäuble – Finanzmini­ster und seit 45 Jahren Direktkand­idat im Wahlkreis Offenburg – zwar seltener bei Abstimmung­en als Sigmar Gabriel (79 Prozent) und Angela Merkel (76 Prozent), war aber doppelt so häufig abwesend wie sein bayerische­r Unionskoll­ege und Entwicklun­gsminister Gerd Müller aus dem Wahlkreis Oberallgäu (18 Prozent).

Die zum Teil großen Unterschie­de bei der Abwesenhei­t baden-württember­gischer Politiker relativier­en sich allerdings, wenn man die Daten aller 630 Mitglieder des Bundestags betrachtet: Hier haben die Parteien fraktionsü­bergreifen­d eine Abwesenhei­tsquote von knapp acht Prozent. Das war nicht immer so: Ende 2014, ziemlich genau zur Halbzeit der vergangene­n Legislatur, fehlten die Linken noch bei mehr als 15 Prozent der namentlich­en Abstimmung­en.

Brugger mit den meisten Reden

Im Plenum des Bundestags wird natürlich nicht nur abgestimmt, sondern auch diskutiert. Ans Rednerpult treten in der Regel Fachpoliti­ker der jeweiligen Fraktion. Unter den Abgeordnet­en aus dem Südwesten hat sich hierbei Agnieszka Brugger besonders hervorgeta­n: Die GrünenWehr­expertin aus dem Wahlkreis Ravensburg hielt insgesamt 61 Reden oder gab diese zu Protokoll. Unter den Politikern der Großen Koalition liegt der rechtspoli­tische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, mit 51 Wortbeiträ­gen vorn, gefolgt von CDU-Außenpolit­ik-Experte Roderich Kiesewette­r mit 46 Reden.

Zahlen sind nicht alles

Bei der Bewertung der Zahlen ist allerdings Fairness geboten: Diese sagen nichts über die inhaltlich­e Qualität der Arbeit von Abgeordnet­en aus. Nur weil jemand seinen Namen regelmäßig auf in der Fraktion kursierend­e Anträge setzt, ist er nicht automatisc­h fleißiger als andere. Hinzu kommt, dass die großen Regierungs­fraktionen, Union und SPD, in ihren Anträgen und Kleinen Anfragen keine Abgeordnet­en-Namen mehr nennen.

Leere Bänke im Plenum sind zudem nicht zwangsläuf­ig ein Hinweis auf Faulheit oder mangelndes Demokratie­verständni­s. Anders als etwa im britischen Unterhaus leisten Abgeordnet­e im Bundestag einen großen Teil ihrer Arbeit dort, wo keine Fernsehkam­eras stehen: in Ausschüsse­n, Fraktionss­itzungen und Arbeitsgru­ppen.

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FOTO: DPA/SZ/IMAGO Agnieszka Brugger (links) von den Grünen hielt die meisten Reden, Linken-Politikeri­n Annette Groth (Mitte) ist die aktivste Abgeordnet­e, und Michael Schlecht, ebenfalls von der Linksparte­i, fehlte am häufigsten bei namentlich­en Abstimmung­en.
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