Heuberger Bote

Warum Erdogans Wahlaufruf Merkel helfen könnte

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mischt sich mit einer Wahlempfeh­lung an die Deutschtür­ken offen in die anstehende Bundestags­wahl ein. Die rund eine Million türkischst­ämmigen Wähler in Deutschlan­d sollten weder für die CDU noch für die SPD oder die Grünen votieren, sagte Erdogan am Freitag. Diese Parteien seien „Feinde der Türkei“. Es sei „eine Ehrensache“für Deutschtür­ken, diese Parteien abzustrafe­n. Damit facht Erdogan den seit Monaten anhaltende­n Streit zwischen Ankara und Berlin weiter an.

Das deutsch-türkische Verhältnis ist unter anderem durch die Inhaftieru­ng von Bundesbürg­ern in der Türkei belastet; zuletzt wurde eine deutsch-türkische Anwältin in der Türkei in Polizeigew­ahrsam genommen, womit die Zahl der inhaftiert­en Deutschen auf zehn gestiegen ist. Berlin vermutet, dass Ankara die Deutschen als Geiseln benutzen will, um die Bundesregi­erung zur Auslieferu­ng von mutmaßlich­en Anhängern des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen zu bewegen.

Reisewarnu­ngen verschärft

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte in den vergangene­n Tagen neuen Ärger der türkischen Regierung auf sich gezogen, indem sie eine Erweiterun­g der Zollunion zwischen der EU und der Türkei wegen der Inhaftieru­ng der Bundesbürg­er ablehnte. Die Bundesregi­erung hat zudem ihre Reisewarnu­ngen hinsichtli­ch der Türkei verschärft.

Erdogan sagte nach dem Freitagsge­bet in Istanbul, Deutschlan­d allein sei für die Spannungen im bilaterale­n Verhältnis verantwort­lich. CDU und SPD gingen mit türkeifein­dlichen Positionen auf Stimmenfan­g, kritisiert­e der Staatschef laut der Nachrichte­nagentur Anadolu. „Ich sage all unseren Landsleute­n in Deutschlan­d: Macht keinen Fehler, unterstütz­t die nicht. Ob es jetzt die Christdemo­kraten, die SPD oder die Grünen sind – das sind alles Feinde der Türkei.“Die türkischst­ämmigen Wähler sollten diesen Parteien bei der Bundestags­wahl „die nötige Lektion erteilen“.

Mit seinem Appell könnte Erdogan allerdings ungewollt der Kanzlerin helfen. Nach Untersuchu­ngen wählen die meisten türkischst­ämmigen Bundesbürg­er mehrheitli­ch die SPD; die Union liegt bei dieser Wählergrup­pe bei einer Zustimmung­srate von unter zehn Prozent. Angesichts von mehr als 61 Millionen Wahlberech­tigen in der Bundesrepu­blik fallen die rund eine Million türkischst­ämmigen Wähler nicht sehr ins Gewicht. Allerdings könnten ihre Stimmen bei einem knappen Wahlausgan­g von Bedeutung sein.

Verärgert reagierte der Vorsitzend­e der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d, der Stuttgarte­r Gökay Sofuoglu. „Wir brauchen keine Belehrunge­n in Sachen Demokratie“, sagte Sofuoglu der Nachrichte­nagentur AFP. „Die paternalis­tische Haltung von Erdogan, über die Türken in Deutschlan­d verfügen zu wollen, muss aufhören.“

Die Türkei liegt nicht nur mit Deutschlan­d – ihrem wichtigste­n Handelspar­tner – im Streit, sondern auch mit den USA. Die Beziehunge­n zu wichtigen Nahost-Staaten wie Saudi-Arabien befinden sich ebenfalls in einer Krise. Kritiker werfen dem Präsidente­n vor, die Türkei außenpolit­isch weitgehend isoliert zu haben.

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