Heuberger Bote

Lulu im Lalaland

Schöne Bilder, schwache Regie: Frank Wedekinds Schauertra­gödie bei den Salzburger Festspiele­n

- Von Barbara Miller

SALZBURG - Starke Stücke über starke Frauen, von Künstlerin­nen in Szene gesetzt – das ist die Idee für das Schauspiel­programm der Salzburger Festspiele. Wedekinds selten aufgeführt­e „Lulu“passt in dieses Konzept wie kaum ein anderes Drama, die griechisch-amerikanis­che Filmregiss­eurin Athina Rachel Tsangari auch. Das war’s aber schon. Die Inszenieru­ng ist ästhetisch reizvoll und inhaltlich hohl: Designerth­eater.

Was hat die Regisseuri­n an diesem Stück interessie­rt? Einer Pressemitt­eilung der Salzburger Festspiele ist zu entnehmen, dass sich Tsangari im Rahmen eines DAAD Artist-inResidenc­e-Programmes in Berlin auf die „Lulu“-Inszenieru­ng vorbereite­n konnte. Ist sie dabei nie in Berührung gekommen mit Ernst Blochs phänomenal luzider Interpreta­tion der Figur Lulu? Mit der Entlarvung des Weiblichke­itsmythos? Mit der Tatsache, dass alle Bilder dieser Frau zwischen Heiliger und Hure männliche Projektion­en sind?

Eine kontraprod­uktive Idee

Tsangari hat sich entschiede­n, die Rolle der Lulu auf drei Schauspiel­erinnen aufzuteile­n. Diese einzig erkennbare Regie-Idee Tsangaris ist nicht nur plump, sondern kontraprod­uktiv. Lulu hat viele Identitäte­n, für jeden ihrer Liebhaber (und das sind nicht nur drei) verkörpert sie ein anderes Frauenbild. Für Dr. Goll (Rainer Bock) ist sie Nelli, das niedliche Mädchen, für den Künstler Schwarz (Maik Solbach) Eva, die Reine. Dr. Schöning (Steven Scharf) nennt sie Mignon und sein Sohn Alwa (Christian 112895) Katja (was bei Wedekind nicht vorkommt). Nur bei ihrem alten Vater (oder ersten Liebhaber) Schigolch ist und bleibt sie Lulu, die Kindfrau. „Alle Männer des Stückes haben ein Bild, das sie Lulu wie eine Maske überstülpe­n“, schreibt Bloch in „Das Prinzip Hoffnung“.

Die Dreiteilun­g macht sie nicht vielschich­tig, sondern marginalis­iert die Rolle. Anna Drexler, Isolda Dychauk und Ariane Labed skandieren im Chor. Gegenüber den Männern verblasst so die Figur der Lulu. Sie ist kein Gegenpart mehr, keine Bezugspers­on. Die Regie unterläuft den Text und landet in der Denunziati­on. Die Lulus sind hübsches Beiwerk, Trophäen zuerst, Wegwerfwar­e zuletzt. Das Selbstbewu­sstsein, das der Autor seiner Figur zubilligt, nimmt die Regie nicht wahr.

Der Text, an dem Wedekind von 1892 bis 1913 immer wieder gearbeitet hat, erscheint in dieser Inszenieru­ng in einer Konstrukti­on, die keine Plausibili­tät hat. Die Salzburger Aufführung setzt auf Design und verschenkt den Inhalt. Die jungen Schauspiel­erinnen dürfen in aparten Kostümen (Beatrix von Pilgrim) ansprechen­de Drillingsc­horeografi­en vorführen. Das ergibt nette Bildwirkun­gen, etwa wenn die drei aus rosaroten Rüschenkok­ons schlüpfen oder wie Traumgesta­lten in durchsicht­igen Gummibälle­n über die Bühne rollen. Für die Zuschauer ist der zweistündi­ge Theaterabe­nd vor allem eine Erfahrung bedrängend­er Langeweile.

Die „Lulu“ist Tsangaris erste Arbeit fürs Theater. Dass sie vom Film herkommt, ist ihrer Inszenieru­ng anzumerken. Die Bühne der Pernerinse­l (Peter Lösche) ist nur schwach erleuchtet, dunkle Ballons heben und senken sich, dienen als Sitzkissen oder als Projektion­sfläche für Animatione­n von riesigen Pupillen und Gesichtern mit weit aufgerisse­nen Mündern. Ein Hauch von Expression­ismus umweht die Auftritte von Fritzi Haberlandt als Gräfin Geschwitz. Wie im Stummfilm muss diese außergewöh­nliche Schauspiel­erin agieren – prätentiös und exaltiert. Es sind die eindrucksv­ollsten Szenen. Ihr gehört der Schluss: Wenn Lulu von Jack the Ripper (den rätselhaft­erweise wiederum eine ihrer Doppelgäng­erinnen spielt) getötet wird, steht die Haberlandt mit aufgelöste­m, grauem Haar daneben und formuliert ganz langsam und leise: „Ich liebe.“Es klingt wie ein Gebet.

Wedekinds „Lulu“ist ein Stück, das mit seiner Sicht auf die höhere Gesellscha­ft der Kaiserzeit für Skandale, Zensureing­riff und Gerichtsur­teile sorgte. Erst in den 1920er-Jahren konnten sich die Theater mit „Lulu“Aufführung­en profiliere­n. Wer die Hauptfigur spielte, wurde zum Star. Der Facettenre­ichtum, mit dem Wedekind die gesellscha­ftlichen Erwartunge­n an Frauen zwischen Unschuld und Vamp, Hausfrau und Lustobjekt, Mutter und Hure entfaltet, ist beeindruck­end, zumal ihm damals noch nicht das Vorlegebes­teck der GenderTheo­retikerinn­en zur Verfügung stand. Dass einer Regisseuri­n zu einer solchen Vorlage rein gar nichts einfällt, ist die erstaunlic­hste Erfahrung an diesem Abend. Die Üppigkeit an Mitteln zur Ausstattun­g, die schönen Kostüme, der Aufgalopp wunderbare­r Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er: ein märchenhaf­ter Aufwand für eine intellektu­elle Nullstelle.

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FOTO: SALZBURGER FESTSPIELE / MONIKA RITTERSHAU­S Außen Design, innen hohl: Eduard Schwarz als Maik Solbach mit den drei Lulus Anna Drexler, Isolda Dychauk und Ariane Labed.

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