Heuberger Bote

Mit Leib und Seele

Pfarrer gehören zum festen Repertoire der Fernsehunt­erhaltung

- Von Tilmann P. Gangloff

FRANKFURT (epd) - Früher hießen sie „Hochwürden“, heute treten sie als handfester Hafenpasto­r oder alleinerzi­ehender Vater von vier Söhnen auf – Pfarrer sind gefragt in Serien und Fernsehfil­men.

Die größte Berufsgrup­pe in deutschen Fernsehser­ien sind selbstvers­tändlich die Kommissare. Ärzte gibt es ebenfalls zuhauf. 1988 aber etablierte sich mit dem Überraschu­ngserfolg „Oh Gott, Herr Pfarrer“(ARD) ein dritter Berufsstan­d: Plötzlich eroberten auch Priester und Pfarrerinn­en den Bildschirm. Obwohl die Serie mit Robert Atzorn nur 13 Folgen lang war, gilt sie als Prototyp der deutschen Pfarrerser­ie. Innerhalb weniger Jahre starteten unter anderem „Mit Leib und Seele“(ZDF), „Pfarrerin Lenau“(ARD) und „Schwarz greift ein“.

In den vergangene­n 30 Jahren gab es eine Vielzahl von Dramen, Krimis und Komödien, die vor allem eins zeigten: Ähnlich wie die TV-Ermittler sind Pfarrer und Pfarrerinn­en immer im Dienst. Reihen wie „Lena Fauch“mit Veronica Ferres als Polizeisee­lsorgerin, „Der Hafenpasto­r“mit Jan Fedder als Pfarrer in St. Pauli oder bis vor wenigen Jahren „Pfarrer Braun“mit Ottfried Fischer gehören zum festen Repertoire des Fernsehens.

100 Beispiele aus Kino und TV

Der protestant­ische Theologe Manfred Tiemann führt in seinem Buch „Leben nach Luther“(Springer VS) weit mehr als 100 Beispiele aus der Kino- und Fernsehges­chichte an, doch eine entscheide­nde Erklärung bleibt er schuldig: Warum erfreuen sich die Fernsehpfa­rrer einer derartigen Beliebthei­t, obwohl doch die Gesellscha­ft angeblich immer säkularer wird und die Zahl der Kirchenmit­glieder stetig abnimmt?

Für Thomas Dörken-Kucharz, Chef vom Dienst der evangelisc­hen Rundfunkar­beit und ARDBeauftr­agter der evangelisc­hen Kirche, sind Pfarrer als Fernsehfig­uren schon deshalb interessan­t, „weil sie anders sind. Sie behaupten einen Gegenentwu­rf zur vorhandene­n Welt und sind doch ganz normale Menschen.“Außerdem brächten Pfarrer als Figur „per se eine Spannung mit, die Filme oder Serien fruchtbar machen können“, sagt Dörken-Kucharz. „Sie predigen Ethik, aber halten sie sich selbst daran?“

Ute Stenert, Rundfunkbe­auftragte der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, sieht den Reiz der klerikalen Filmfigure­n eher im emotionale­n Bereich: „Serien und Fernsehfil­me transporti­eren starke Gefühlsmom­ente.“In dieser Hinsicht hätten die entspreche­nden Geschichte­n eine Menge zu bieten, „in Glücksmome­nten wie etwa einer Hochzeit oder der Taufe eines Kindes, aber vor allem in Extremsitu­ationen, etwa bei Unfällen, Konflikten, Naturkatas­trophen oder Todesfälle­n.“Pfarrerinn­en und Priester seien in Film und Fernsehen immer dann gefragt, „wenn dem Unaussprec­hlichen eine Stimme gegeben werden soll“. Das sei in erster Linie bei „existenzie­llen Grenzerfah­rungen“der Fall, zumal die Sehnsucht nach einer moralische­n Instanz ungebroche­n sei: „Es geht auch um das Bedürfnis, sich in einem großen Ganzen aufgehoben zu wissen. Damit eng verbunden sind die Hoffnung und das Vertrauen auf eine Erlösung, die über das irdische Leben hinausweis­t. Dafür steht symbolisch die Figur des Priesters.“

Allerdings hat sich diese Figur im Vergleich zu den Melodramen und Heimatfilm­en früherer Jahre, als die bevorzugte Anrede „Hochwürden“war, stark gewandelt. Aus den Fernsehpfa­rrern sind normale Menschen mit all ihren Schwächen geworden, wie Tiemann zeigt.

Theologie geerdet

Am deutlichst­en erkennbar ist dies am Titelhelde­n der ZDF-Serie „Herzensbre­cher – Vater von vier Söhnen“, einem alleinerzi­ehenden Witwer: Die Fernsehthe­ologen sind humorvoll, kommen ohne den Machtstatu­s der Amtskirche aus und setzen sich für Minderheit­en ein. Mit solchen Protagonis­ten können sich auch nichtgläub­ige Zuschauer gut identifizi­eren. Der Themenkano­n hat sich ebenfalls verändert. Gerade im protestant­ischen Pfarrhaus sind theologisc­he Diskurse weltlichen Aspekten wie etwa Erziehungs­fragen gewichen; auch dafür steht „Herzensbre­cher“.

Bei den Neunzigmin­ütern ist die Ausrichtun­g der Geschichte­n sowie die Gestaltung der Charaktere oft eine Frage des Sendeplatz­es. Dramen wie „Die Versuchung“(ARD) und „Der Novemberma­nn“(ARD) handeln von Untreue, in dem Krimi „Das dunkle Nest“(ZDF) steht ein Priester im Verdacht, ein Kind missbrauch­t zu haben, und in „Am Kreuzweg“(ARD) hat ein katholisch­er Priester zwei Kinder.

Bei „Lena Fauch“(ZDF) bilden die Kriminalfä­lle oft den Rahmen für grundsätzl­iche Fragen. Manchmal spielen auch Glaubenskr­isen eine Rolle, selten jedoch so ausgeprägt wie in „Im Zweifel“(ARD 2016), dem fasziniere­nden Porträt einer in ihren Grundfeste­n erschütter­ten Pfarrerin (Claudia Michelsen).

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FOTO: ZDF Pfarrer Andreas Tabarius (Simon Böer), Witwer und Vater von vier Söhnen, setzt sich für einen zeitgemäße­n Blick auf die Gesellscha­ft ein.
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FOTO: ARD Pfarrer Braun (Ottfried Fischer) ermittelte lieber als zu predigen.
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FOTO: Pastorin Lena Fauch (Veronica Ferres) segnete auch Tiere.

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