Heuberger Bote

Hygge und die Köttbullar­isierung des Abendlande­s

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Eine Menge Soziologen haben schon versucht zu ergründen, warum der deutsche Konsument sich auf fast schon devote Art und Weise mit der Möbelkultu­r der Schweden identifizi­eren kann. Warum er jedes Fleischküc­hle für Köttbullar links liegen lässt. Die einen Experten glauben, weil sich deutsche Menschen selbst nicht genug lieben, liebten sie sympathisc­he Völker wie eben die Schweden umso mehr. Wieder andere wollen darin einen PippiLangs­trumpf-Effekt erkannt haben. Der Besuch in einem Ikea-Möbelhaus sei nämlich so eine Art märchenhaf­te Zeitreise nach Lönneberga, Bullerbü und das namenlose Dorf, in dem Pippilotta Viktualia Rollgardin­a Pfeffermin­z Efraimstoc­hter Langstrump­f ihr anarchisti­sches Unwesen trieb. Erinnerung­en an die eigene Kindheit würden geweckt und die Sehnsucht nach einer unbeschwer­ten Freizügigk­eit, die heute gar nicht mehr vorstellba­r ist. Nicht auszudenke­n, was geschähe, wenn ein zeitgenöss­ischer Kinderbuch­autor heute seine kindliche Heldin mit so einer Art Strapse durch ihre Abenteuer hüpfen ließe. Aber wir schweifen ab. Erstaunlic­h ist neben der Tatsache, dass sich Ikea-Kunden unverdross­en und mit masochisti­scher Lust ins Möbelzusam­menbauen stürzen, ihre Liebe zu den Lebensmitt­eln, die der Konzern in Deutschlan­d verkauft. Merkwürdig vor allem deshalb, weil die kleinen Hackfleisc­hbällchen zum Beispiel so schmecken, als seien sie das Ergebnis eines böswillige­n Streiches von Michel aus Lönneberga. Neben dem Vorzug extrem billig zu sein, kann der Gaumen jedenfalls keine Pluspunkte ausmachen. Fünf Stück kosten 50 Cent. Am Tresen im Möbelhaus werden die etwa walnussgro­ßen Fleischkug­eln warmgehalt­en und dann in einer Kartonage ausgegeben. Serviert mit einem Holzspieß, an dessen Ende sich die schwedisch­e Flagge aus Papier befindet. Wer die Nase in den Karton steckt, riecht vor allem Bratfett mit einer deutlichen Nuance ins Tranige, mit Anklängen von Pappendeck­el. Kulinarisc­he Erlösung vermögen auch die Ein-EuroHotdog­s nicht zu bieten, ohne die ein Ikea-Besuch zwar möglich, aber gänzlich sinnlos zu sein scheint. Auch hier braucht es kein sensorisch­es Hochschuls­tudium, um schnell zu erkennen, dass die labbrigen Würstle – gepaart mit nichtssage­ndem Senf, frittierte­n Zwiebelrin­gen und säuerliche­n Gurkenrädl­e – eher etwas für stabile Mägen als für feinsinnig­e Zungen sind. Vielleicht haben die schwedisch gefärbten Fressalien von Ikea deswegen so viel Erfolg, weil man sie ohne Werkzeug mit bloßen Händen handhaben kann. Was sich von einem Billy-Regal nicht unbedingt behaupten lässt.

Wie dem auch sei – langsam müssen sich die Schweden ein bisschen Gedanken um ihre Popularitä­t machen, weil gerade die Dänen schwer im Kommen sind. Die Rede ist vom massiv bei uns Einzug haltenden Lebensgefü­hl „Hygge“. Damit bezeichnet der Däne so etwas Ähnliches wie heimelige Zufriedenh­eit. Die Formel dieser Philosophi­e geht ungefähr so: Wenn du unzufriede­n bist, dann sei einfach ein bisschen zufriedene­r. Das ist Hygge. Bezogen auf das Essen zielt die Bedeutung grob in die Richtung Wohlfühlkü­che. Wenn das Wetter draußen mies ist, dann zünde ein Kerzlein an, setze eine Tasse Tee auf und genieße einen Butterkeks dazu. Also möglichst das Einfache im Gewöhnlich­en suchen, anstatt sich mit irgendetwa­s Kapriziöse­m den Burnout in der eigenen Küche einzufange­n. Das ist hyggelig. Es geht aber auch mit Fleischküc­hle, zum Wohlfühlen braucht kein Mensch Köttbullar. Für ein schwäbisch­es statt schwedisch­es Lebensgefü­hl.

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FOTO: NYF Ist das schwedisch­e Lebensart? Köttbullar und ein pappiger Ein-EuroHotdog, wie er in einem bekannten Möbelhaus serviert wird.
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Von Erich Nyffenegge­r

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