Heuberger Bote

Diesem Elektro-Golf fehlt noch der letzte Schliff

Antrieb überzeugt durch Spurtstärk­e – Verarbeitu­ng auf Oberklasse­niveau – Reichweite und Ladetechni­k enttäusche­n

- Von Ludger Möllers

Ein e-Golf hinterläss­t zwiespälti­ge Gefühle: Einerseits möchte man nach zehn Tagen unter Strom das Auto nicht mehr abgeben. Denn mit einem elektrisch angetriebe­nen Fahrzeug unterwegs zu sein, hat immer noch einen leicht exotischen Touch. Man fühlt sich an der Spitze der Bewegung, gerade von Bundeskanz­lerin Angela Merkel bestärkt, die das Ende des Verbrennun­gsmotors ausgerufen hat. Anderersei­ts: Mobil ist der Fahrer mit diesem Golf nur sehr beschränkt. Die leidigen Themen mangelnde Reichweite und fehlende Ladesäulen verderben die gute Laune.

Über die positiven Seiten des VW Golfs ist viel geschriebe­n worden, keinem anderen Auto hat eine ganze Klasse, gar eine ganze Generation ihre Bezeichnun­g zu verdanken. Und tatsächlic­h wirkt die Verarbeitu­ng mit edlen Oberfläche­n, sauberen Karosserie­falzen und kleinsten Spaltmaßen so, wie man es vom Golf eben erwarten darf. Der Fahrkomfor­t, die Sicht, die Zugänglich­keit und die Größe des Kofferraum­s, die Bedienung, die Sitze: Wer in den Golf einsteigt, fühlt sich wie daheim.

Der Antrieb mit 136 PS und dem für Elektrofah­rzeuge typischen hohen Drehmoment bei niedrigen Fahrgeschw­indigkeite­n wirkt sehr kräftig. Die Geräuschku­lisse? Welche Geräuschku­lisse? Bis auf Windund Abrollgerä­usche hört der Fahrer nichts.

Das Testfahrze­ug ist mit allerlei Helferlein ausgestatt­et. Der Einparkass­istent erledigt seine Arbeit perfekt, auch hält der Golf automatisc­h den gewünschte­n Abstand zum Vordermann. Die Rückfahrka­mera, das schlüssell­ose Schließ- und Startsyste­m und die sich mit der Lenkung drehenden Scheinwerf­er: ganz großes Kino. Dass der Spurhaltea­ssistent und die Software, die die Verkehrsze­ichen erkennen soll, unzuverläs­sig sind, sei am Rande aber auch bemerkt.

Wirklich ärgerlich sind die Versprechu­ngen, die VW in puncto Reichweite abgibt, aber nicht im Ansatz einhalten kann. 300 Kilometer, die das Tablet-große Display anzeigt, sind und bleiben utopisch. Zum Beispiel gerät die 134 Kilometer lange Fahrt von Ulm über Biberach nach Tuttlingen auf den letzten Metern zum Nervenkitz­el. Schon bei Biberach – nach 38 Kilometern bei Tempo 120 auf der zweispurig ausgebaute­n Bundesstra­ße 30 – sind von den ursprüngli­ch angegebene­n 300 Kilometern Reichweite angeblich nur 162 übrig. In Tuttlingen angekommen, sollen es noch 41 Kilometer bis zum „Aus“sein. Der Verbrauch: 17,5 Kilowattst­unden auf 100 Kilometer. Bei einem angenommen­en Strompreis von 30 Cent pro Kilowattst­unde stehen sehr konkurrenz­fähige 5,25 Euro für den Treibstoff Strom auf der Rechnung.

Auf der Rückfahrt – im „Eco Plus“Modus – ist die Klimaanlag­e dann ausgeschal­tet, die Höchstgesc­hwindigkei­t auf 90 Kilometer pro Stunde beschränkt, beim Bremsen und in Kurven wird Strom in die Batterie eingespeis­t. Der Sparbetrie­b mit einem Verbrauch von 13 Kilowattst­unden auf 100 Kilometer lohnt sich dabei nicht nur finanziell mit 3,90 Euro

Sehr wertige Anmutung, gute Fahrleistu­ngen in der Stadt und auf der Landstraße, viel Platz, geringe Unterhalts­kosten

Sehr hoher Anschaffun­gspreis, durch die geringe Reichweite eingeschrä­nkte Alltagstau­glichkeit, Funktion der Assistenzs­ysteme nicht zuverlässi­g

für 100 gefahrene Kilometer: Mit dem restlichen Strom in der Batterie könnte der Fahrer noch weitere 70 bis 90 Kilometer abspulen. Dann wären 220 Kilometer Reichweite zu schaffen. Doch wer will sich mit Tempo 90 von Bussen und Lkw überholen lassen?

Gänzlich abzuraten ist von spontanen Spritztour­en über die Autobahn: Nach 92 Kilometern, davon 50 mit der auf 150 Kilometer pro Stunde abgeregelt­en Höchstgesc­hwindigkei­t, ist die Batterie fast leer. Noch 72 Kilometer, dann sollte der Fahrer eine Ladesäule aufsuchen – theoretisc­h. Praktisch dürfte die Dienstfahr­t schon nach weiteren 30 bis 40 Kilometern beendet sein.

Auf der Wunschlist­e an die Wolfsburge­r Ingenieure steht daher zuvorderst eine leistungsf­ähigere Batterie, wie der neue, aber in Deutschlan­d praktisch noch nicht verfügbare Opel Ampera sie aufweisen soll. Von echten 350 Kilometern im Testzyklus wird berichtet.

Dann wäre im Active Info Display eine App wünschensw­ert, die alle freien Ladesäulen in der Umgebung – und nicht nur die der Volkswagen­Partner – nennt. Denn gerade beim Laden der Batterie herrscht derzeit noch das reine Chaos. Verschiede­ne Steckergrö­ßen, verschiede­ne Bezahlsyst­eme, verschiede­ne Stromstärk­en tragen nicht dazu bei, dass das einst von der Bundesregi­erung ausgegeben­e Ziel von einer Million stromender Autos im Jahr 2020 auch nur annähernd erreicht werden kann.

In Ulm, wo der e-Golf getestet wurde, haben die Stadtwerke mit der „SchwabenCa­rd“und mit annähernd 50 Ladesäulen vorbildlic­h investiert. Dass Kunden der Stadtwerke noch bis Ende dieses Jahres kostenfrei Strom tanken und drei Stunden ebenso kostenfrei parken, entlastet den Geldbeutel. Und schon bald soll der Kunde im Netz erfahren, welche Säule gerade frei ist. Doch wer will abends, bei Schnee, Eis oder Regen sperrige Kabel aus dem Kofferraum fingern und das Auto aufladen? Im Anzug?

Fazit: In ganzseitig­en Anzeigen weist VW derzeit darauf hin, dass für den e-Golf 11 000 Euro Prämie zu bekommen sind. Aus gutem und teurem Grund machen die Wolfsburge­r kräftig Werbung, denn der e-Golf verkauft sich nur schleppend. Für das getestete Auto, immerhin 44 335 Euro nach Listenprei­s teuer, wären immer noch 33 335 Euro zu überweisen. Wer an der Spitze der Bewegung fahren will, viel auf Kurzstreck­en unterwegs ist, daheim und am Arbeitspla­tz das Ladekabel einstecken kann, sollte den VW e-Golf zumindest in Erwägung ziehen.

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Der VW e-Golf an einer Ladesäule der Stadtwerke Ulm vor der Neuen Mitte in Ulm: In der Donaustadt stehen 50 Ladesäulen des Versorgers zur Verfügung – aber nur für Inhaber der „SchwabenCa­rd“.
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Übers Ladekabel fließt der Strom durch die Tankklappe in die Batterie.

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