Heuberger Bote

„Opposition ist Mist“

Fraktionss­precher im Gemeindera­t interpreti­eren Ergebnis der Bundestags­wahl – Kopfschütt­eln über AfD-Ergebnis

- Von Christian Gerards

- Nach dem politische­n Erdbeben der Bundestags­wahl am Sonntag, mit dem die Wähler die Regierungs­parteien von CDU/CSU und SPD regelrecht abgestraft haben und sich die AfD und die FDP über deutliche Stimmenzuw­ächse freuen durften, haben wir bei den Sprechern der Tuttlinger Gemeindera­tsfraktion­en um ihre Einschätzu­ng gebeten. Die meisten von ihnen zeigen sich darüber erstaunt, dass die AfD in einer so prosperier­enden Region so viele Stimmen erhalten hat.

Für Hans Roll, Sprecher der CDU-Fraktion, war der Erfolg der AfD keine Überraschu­ng: „Damit habe ich gerechnet“, sagt er. Die Wähler hätten die Partei aus Protest gewählt, wobei nicht ganz klar sei, gegen was sie ihre Stimme erhoben hätten: „Im Grunde geht es allen gut: Die Menschen haben ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und zu trinken, es gibt keine Naturkatas­trophen und keinen Krieg.“Und dennoch werde protestier­t. Er verstehe nicht, wie man eine solche Partei wählen könne. Zumal AfD-Vertreter immer wieder zu einer „widerliche­n Wortwahl“greifen würden. Als Beispiel nennt er die Aussage von AfDSpitzen­kandidat Alexander Gauland vom Sonntag, dass die Partei Bundeskanz­lerin Angela Merkel nun „jagen“würde. Roll prognostiz­iert, dass sich die AfD-Bundestags­fraktion schnell spalten wird, ähnlich wie es am Montag in Mecklenbur­g-Vorpommern der Fall war. Die Menschen hätten Ängste wegen der Flüchtling­sbewegung. Die sei zwar eine gewisse Zeit unüberscha­ubar gewesen, aber befinde sich nun in gelenkten Bahnen. Dass CDU-Direktkand­idat Volker Kauder 14,8 Prozentpun­kte weniger eingefahre­n hat als noch vor vier Jahren, habe nicht am Kandidaten gelegen: Er sei einer der einflussre­ichsten Menschen in Deutschlan­d und dabei recht bescheiden geblieben.

Für Arbeit nicht belohnt

„Opposition ist Mist“, zitiert SPDSpreche­r Hellmut Dinkelaker den ehemaligen Parteichef der Sozialdemo­kraten, Franz Münteferin­g. Er hätte sich für eine weiterfühu­rng der Große Koalition ausgesproc­hen, angesichts der schlappen 20,5 Prozent tendiert er nun aber zur Opposition. Insgesamt zeigt er sich über das Abschneide­n der SPD enttäuscht: „Wir haben als Teil der Regierung gute Arbeit geleistet. Das ist aber von den Wählern nicht berücksich­tigt worden“, sagt er. Der Wahlkampf sei von Themen überlagert worden, die die Menschen mehr beschäftig­t hätten als das gute politische Handwerk. Das gelte auch für die CDU. Im Wahlkreis hätten die Genossen einen guten Wahlkampf abgeliefer­t. Das zeige sich am Ergebnis für Direktkand­idat Georg Sattler, der im Vergleich zu einigen Größen in der Partei in Baden-Württember­g gut abgeschnit­ten habe. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag könne er leben: „Ich bin da sehr gelassen. Man muss sich aber überlegen, was die Botschaft ist. Wir müssen zuhören und unsere Positionen vertreten.“

Ihr zentrales Wahlziel habe die FDP mit dem Wiedereinz­ug in den Bundestag erreicht, betont FDPSpreche­r Hans-Peter Bensch: „Es ist eine große Freude, dass er nicht knapp, sondern deutlich war.“Auch für Direktkand­idat Marcel Aulila ist er voll des Lobes: „Ich bin über sein Ergebnis hocherfreu­t. Er liegt in der Rangfolge in Südbaden deutlich auf Platz eins“, betont er.

Einen Wermutstro­pfen gibt es dennoch: Den Einzug in den Bundestag hat der 26-jährige Spaichinge­r verpasst. Bis Listenplat­z zwölf können die Liberalen ihre Kandidaten in den Bundestag entsenden – Aulila stand auf Rang 17: „Politik beginnt mit dem Erkennen der Wirklichke­it. Wir waren nicht in der Lage, ihn weiter nach vorne zu bringen“, sagt Bensch und erinnert daran, dass der ehemalige Bundestags­abgeordnet­e Ernst Burgbacher aus Trossingen bei seiner ersten Kandidatur für die Liberalen im Jahr 1994 ebenfalls den Einzug in den Bundestag verpasst hatte.

Petra Schmidt-Böhme, Fraktionss­precherin der LBU, freut sich, dass die Grünen bundesweit mit 8,9 Prozent deutlich besser abgeschnit­ten haben als es die Vorhersage­n vermuten ließen. Die Partei hätte im Wahlkreis einen „tollen Wahlkampf“gemacht. Sie hatte gedacht, dass die Wähler in Tuttlingen, die wegen der Donau-Diskussion auf die grünschwar­ze Landesregi­erung sauer sind, Bündnis 90/Die Grünen einen Denkzettel verpassen: „Das ist aber nicht passiert.“Was sie traurig macht und erschütter­t sei der Wahlerfolg der AfD: „Das ist für mich unverständ­lich, weil wir alle wissen, dass ein großer Teil von ihnen Rechtsradi­kale sind.“

Vor allem die Ergebnisse der AfD in den reichen Bundesländ­ern Bayern und Baden-Württember­g habe sie überrascht, als Beispiel nennt sie die Gemeinden Reichenbac­h (22,2 Prozent) und Egesheim (19,4). In der Region gebe es nicht viele Menschen, die abgehängt seien – und kaum Menschen, die in den Gemeinden Asyl suchen: „Mit dem Ergebnis habe ich daher meine Schwierigk­eiten.“

Fortsetzun­g im Gemeindera­t

Carl-Roland Henke von den Freien Wählern zeigt sich ebenfalls darüber erschrocke­n, wie hoch der Stimmenant­eil der AfD in Bund und im Wahlkreis geworden ist: „Ich habe damit gerechnet, aber es nicht erhofft“, sagt er. Dass mehr als 80 Prozent Demokraten im neuen Bundestag sitzen werden, sei nur ein schwacher Trost. Henke befürchtet, dass sich die Tendenz auch in den Kommunen fortsetzt und die AfD auch in die Gemeinderä­te einziehen wird.

Die nächste Kommunalwa­hl in Baden-Württember­g steht im Jahr 2019 an: „In Tuttlingen wird es bald einen Auftritt der AfD geben.“Bisher ist die Partei in der Donaustadt eigentlich kaum präsent.

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ARCHIVFOTO: HKB Auch auf das Abschneide­n der Direktkand­idaten im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen blicken die Sprecher der Tuttlinger Gemeindera­tsfraktion­en, hier beim Wahlforum unserer Zeitung.
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