„Opposition ist Mist“
Fraktionssprecher im Gemeinderat interpretieren Ergebnis der Bundestagswahl – Kopfschütteln über AfD-Ergebnis
- Nach dem politischen Erdbeben der Bundestagswahl am Sonntag, mit dem die Wähler die Regierungsparteien von CDU/CSU und SPD regelrecht abgestraft haben und sich die AfD und die FDP über deutliche Stimmenzuwächse freuen durften, haben wir bei den Sprechern der Tuttlinger Gemeinderatsfraktionen um ihre Einschätzung gebeten. Die meisten von ihnen zeigen sich darüber erstaunt, dass die AfD in einer so prosperierenden Region so viele Stimmen erhalten hat.
Für Hans Roll, Sprecher der CDU-Fraktion, war der Erfolg der AfD keine Überraschung: „Damit habe ich gerechnet“, sagt er. Die Wähler hätten die Partei aus Protest gewählt, wobei nicht ganz klar sei, gegen was sie ihre Stimme erhoben hätten: „Im Grunde geht es allen gut: Die Menschen haben ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und zu trinken, es gibt keine Naturkatastrophen und keinen Krieg.“Und dennoch werde protestiert. Er verstehe nicht, wie man eine solche Partei wählen könne. Zumal AfD-Vertreter immer wieder zu einer „widerlichen Wortwahl“greifen würden. Als Beispiel nennt er die Aussage von AfDSpitzenkandidat Alexander Gauland vom Sonntag, dass die Partei Bundeskanzlerin Angela Merkel nun „jagen“würde. Roll prognostiziert, dass sich die AfD-Bundestagsfraktion schnell spalten wird, ähnlich wie es am Montag in Mecklenburg-Vorpommern der Fall war. Die Menschen hätten Ängste wegen der Flüchtlingsbewegung. Die sei zwar eine gewisse Zeit unüberschaubar gewesen, aber befinde sich nun in gelenkten Bahnen. Dass CDU-Direktkandidat Volker Kauder 14,8 Prozentpunkte weniger eingefahren hat als noch vor vier Jahren, habe nicht am Kandidaten gelegen: Er sei einer der einflussreichsten Menschen in Deutschland und dabei recht bescheiden geblieben.
Für Arbeit nicht belohnt
„Opposition ist Mist“, zitiert SPDSprecher Hellmut Dinkelaker den ehemaligen Parteichef der Sozialdemokraten, Franz Müntefering. Er hätte sich für eine weiterfühurng der Große Koalition ausgesprochen, angesichts der schlappen 20,5 Prozent tendiert er nun aber zur Opposition. Insgesamt zeigt er sich über das Abschneiden der SPD enttäuscht: „Wir haben als Teil der Regierung gute Arbeit geleistet. Das ist aber von den Wählern nicht berücksichtigt worden“, sagt er. Der Wahlkampf sei von Themen überlagert worden, die die Menschen mehr beschäftigt hätten als das gute politische Handwerk. Das gelte auch für die CDU. Im Wahlkreis hätten die Genossen einen guten Wahlkampf abgeliefert. Das zeige sich am Ergebnis für Direktkandidat Georg Sattler, der im Vergleich zu einigen Größen in der Partei in Baden-Württemberg gut abgeschnitten habe. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag könne er leben: „Ich bin da sehr gelassen. Man muss sich aber überlegen, was die Botschaft ist. Wir müssen zuhören und unsere Positionen vertreten.“
Ihr zentrales Wahlziel habe die FDP mit dem Wiedereinzug in den Bundestag erreicht, betont FDPSprecher Hans-Peter Bensch: „Es ist eine große Freude, dass er nicht knapp, sondern deutlich war.“Auch für Direktkandidat Marcel Aulila ist er voll des Lobes: „Ich bin über sein Ergebnis hocherfreut. Er liegt in der Rangfolge in Südbaden deutlich auf Platz eins“, betont er.
Einen Wermutstropfen gibt es dennoch: Den Einzug in den Bundestag hat der 26-jährige Spaichinger verpasst. Bis Listenplatz zwölf können die Liberalen ihre Kandidaten in den Bundestag entsenden – Aulila stand auf Rang 17: „Politik beginnt mit dem Erkennen der Wirklichkeit. Wir waren nicht in der Lage, ihn weiter nach vorne zu bringen“, sagt Bensch und erinnert daran, dass der ehemalige Bundestagsabgeordnete Ernst Burgbacher aus Trossingen bei seiner ersten Kandidatur für die Liberalen im Jahr 1994 ebenfalls den Einzug in den Bundestag verpasst hatte.
Petra Schmidt-Böhme, Fraktionssprecherin der LBU, freut sich, dass die Grünen bundesweit mit 8,9 Prozent deutlich besser abgeschnitten haben als es die Vorhersagen vermuten ließen. Die Partei hätte im Wahlkreis einen „tollen Wahlkampf“gemacht. Sie hatte gedacht, dass die Wähler in Tuttlingen, die wegen der Donau-Diskussion auf die grünschwarze Landesregierung sauer sind, Bündnis 90/Die Grünen einen Denkzettel verpassen: „Das ist aber nicht passiert.“Was sie traurig macht und erschüttert sei der Wahlerfolg der AfD: „Das ist für mich unverständlich, weil wir alle wissen, dass ein großer Teil von ihnen Rechtsradikale sind.“
Vor allem die Ergebnisse der AfD in den reichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg habe sie überrascht, als Beispiel nennt sie die Gemeinden Reichenbach (22,2 Prozent) und Egesheim (19,4). In der Region gebe es nicht viele Menschen, die abgehängt seien – und kaum Menschen, die in den Gemeinden Asyl suchen: „Mit dem Ergebnis habe ich daher meine Schwierigkeiten.“
Fortsetzung im Gemeinderat
Carl-Roland Henke von den Freien Wählern zeigt sich ebenfalls darüber erschrocken, wie hoch der Stimmenanteil der AfD in Bund und im Wahlkreis geworden ist: „Ich habe damit gerechnet, aber es nicht erhofft“, sagt er. Dass mehr als 80 Prozent Demokraten im neuen Bundestag sitzen werden, sei nur ein schwacher Trost. Henke befürchtet, dass sich die Tendenz auch in den Kommunen fortsetzt und die AfD auch in die Gemeinderäte einziehen wird.
Die nächste Kommunalwahl in Baden-Württemberg steht im Jahr 2019 an: „In Tuttlingen wird es bald einen Auftritt der AfD geben.“Bisher ist die Partei in der Donaustadt eigentlich kaum präsent.