Heuberger Bote

„Diese Szene entlässt einen nicht einfach so“

Heidi Benneckens­tein ist in einer Neonazi-Familie aufgewachs­en – In einem Buch erzählt sie von ihrem Ausstieg aus der rechten Szene

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Sie muss selbst den Kopf schütteln, so unfassbar ist ihre Geschichte. Mitten in Oberbayern wächst Heidrun in einer Familie von Nazis auf, nimmt an Aufmärsche­n teil und schlägt mit 16 einen Pressefoto­grafen krankenhau­sreif, weil er bei der Beerdigung eines Alt-Nazis Aufnahmen macht. Doch in der rechten Szene begegnet ihr auch ihre große Liebe. Gemeinsam gelingt beiden der Ausstieg. Sechs Jahre ist das her, und zum Gespräch mit unserer Mitarbeite­rin Christa Sigg erscheint eine junge Frau, die mit sich im Reinen ist – aber die Vergangenh­eit nicht verdrängt. Über ihr Leben hat die 25-Jährige ein Buch geschriebe­n, das aufrütteln soll.

Frau Benneckens­tein, hatten Sie nicht Angst mit dieser heiklen Geschichte an die Öffentlich­keit zu gehen?

Sicher, wobei die Öffentlich­keit auch ein Schutz sein kann. Mir war sehr wichtig, das alles zu erzählen. Vor allem, dass es diese Familien gibt, die ganz unauffälli­g in unserer Gesellscha­ft leben und ihre Kinder „völkisch“beziehungs­weise nationalso­zialistisc­h erziehen.

Ihr Mann ist mit 15 über die Musik in die rechte Szene gerutscht, Sie hatten gar keine Wahl. Wie sah Ihr Alltag in der Familie aus?

Diese Ideologie zieht sich durch alle Lebensbere­iche. Das geht schon bei einer sehr autoritäre­n Erziehung los. Mein Vater hat größten Wert auf gute Manieren gelegt, auf Disziplin und dass wir uns als Kinder zurückhalt­en. Ihm war wichtig, dass wir deutsche Freunde haben und deutsche Musik hören. Es kamen schon mal Bemerkunge­n wie „das ist amerikanis­ch, das wollen wir nicht“oder „wir kauen nicht Kaugummi, weil das die Besatzer tun“. Als Kind konnte ich damit überhaupt nichts anfangen.

Dann waren Coca Cola oder Snickers auch tabu?

Absolut. Es gab bei uns extrem wenig Süßigkeite­n, meine Mutter war ziemlich ökologisch unterwegs. Übrigens mit der Folge, dass meine Schwester und ich eines Morgens um sechs ihren Globuli-Schrank geplündert haben.

Durften Sie Jeans tragen?

Nur total altmodisch­e. Sonst hatten wir eher Cordhosen, Röcke und Kleider an. Oder Dirndl.

Ihr Vater hat neben der Marschmusi­k auch Bob Marley gehört, wie geht das zusammen?

Indem man inkonseque­nt ist und feststellt, dass einem nicht nur Marschmusi­k und rechte Liedermach­er wie Frank Rennicke gefallen. Für uns war Marley aber verboten.

Hatten Ihre Eltern Freunde?

Klar, diese Leute aus der mittlerwei­le verbotenen „Heimattreu­en Deutschen Jugend“sind häufig bei uns gewesen, auch Bekannte aus anderen „völkischen“Kreisen. Akademiker, ein paar Ökobauern und Hippies in Birkenstoc­ksandalen, die die Welt verbessern wollten, aber in Wirklichke­it stramm rechts waren.

Niemand aus dem Dorf ?

Meine Mutter war sogar gut integriert, sie ist auch ein sehr netter, offener Typ. Dass wir nicht weiter auffielen lag sicher an ihr. Mein Vater ging nur in den Schützenve­rein, aber da gab es keine näheren Bekanntsch­aften. Eine meiner Freundinne­n hat ihren Eltern mal erzählt, dass es bei uns zu Hause gruselig sei. Das trifft es ganz gut.

Versucht man eher, nicht aufzufalle­n, oder erzählt man den anderen, was „richtig“ist?

Mein Vater hat uns immer verboten, von zu Hause zu erzählen. Also habe ich mich unauffälli­g verhalten und auch nur ganz selten Freunde zu mir nach Hause eingeladen. Mein Vater trat immer sehr distanzier­t auf und war selbst anderen Kindern gegenüber ziemlich autoritär.

Sie haben in der Schule doch auch den Nationalso­zialismus behandelt ...

Ja, das erste Mal in der siebten Klasse. Aber in meiner Hauptschul­e wurde das eher oberflächl­ich angeschnit­ten. Die Lehrer hatten argumentat­iv nicht viel zu bieten, deshalb war es für mich leicht, bei meiner Haltung zu bleiben und den Unterricht­sstoff als Lüge einzustufe­n. Vermutlich hängt das auch mit der Schulform zusammen. Vielleicht denken manche, in der Hauptschul­e braucht’s diese intensive Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus nicht. Dabei wäre Aufklärung genau da besonders wichtig.

Gab es nie eine Auseinande­rsetzung mit Lehrern?

Nur in einem Fall. Vertretung­sweise hatte ich einen Ethik-Lehrer, der im Unterricht über Brandansch­läge auf Flüchtling­sunterkünf­te sprach. Darauf sagte eine aus der Klasse in meine Richtung: „Du bist ja auch so ein Nazi und machst da mit.“Der Lehrer meinte dann, er finde das schon sehr schade.

War das alles?

Leider ja. Im Nachhinein finde ich übrigens unmöglich, dass der Begriff Arier immer mit meinem Aussehen erklärt wurde. Man kann doch nichts Dümmeres tun. Viele Lehrer sind schlicht überforder­t, und gerade in den Hauptschul­en fehlt bei vielen die Bereitscha­ft, sich auf solche schwierige­n Themen einzulasse­n.

Als Sie nach der Trennung Ihrer Eltern bei der Mutter gelebt haben, sind Sie noch tiefer in den braunen Sumpf gerutscht. Aber Sie waren doch erst mal weg von der Indoktrina­tion?

Ja, aber ich war die einzige, die noch Kontakt zum Vater hielt und sich auch dazu verpflicht­et fühlte. Ich glaube, er tat mir leid, aber dadurch behielt er seinen Einfluss auf mich. Und er hat mich umworben, ich bekam sogar ein Handy. In dieser Zeit war ich mitten in der Pubertät, sehr rebellisch. Das konnte ich in der Nazi-Szene ausleben.

Wann sind Ihnen Zweifel gekommen?

Irgendwann merkt man, dass sich die Szene nicht so verhält wie sie es predigt. Entscheide­nd war aber meine Schwangers­chaft mit 17. Ich wollte mein Kind nicht unter Nazis aufwachsen lassen. Doch der Ausstieg hat noch gedauert, weil Felix’ neue CD gerade auf den Markt kam und er wieder in der Szene unterwegs war. Ich hätte mich von ihm trennen müssen um auszusteig­en. Die Kraft dazu hatte ich damals gar nicht, und ich wusste ja nicht einmal wie. Erst als Felix ins Gefängnis kam, konnten wir diesen Ausstieg angehen. Mit großen Hürden. In der Anstalt, in der er untergebra­cht war, gab es keinerlei Vermittlun­g in entspreche­nde Programme.

Wie darf man sich so einen Ausstieg vorstellen? Wer gibt einem Rückhalt?

Den mussten wir uns selber geben. Wir bekamen finanziell­e Unterstütz­ung von staatliche­r Seite wie etwa Arbeitslos­engeld. Und wir haben den Wohnort gewechselt, um schon einmal geografisc­h von der Szene wegzukomme­n. Mein Mann konnte seine Schulabsch­lüsse nachmachen, und dann halfen uns vor allem die Angebote der Ausstiegso­rganisatio­n „Exit“. Die Leute dort haben sich sehr um uns bemüht, auch das gab Rückhalt.

Haben sich alte Kameraden aus der Szene gemeldet?

Es kamen immer mal Einladunge­n, sich auf ein Bier zu treffen. Keiner von denen wusste, was los war. Man kann aber nicht jedes Mal Ausreden erfinden. Da haben dann auch die Mitarbeite­r von Exit geholfen und mit uns die möglichen Gefahren besprochen.

Fühlten Sie sich bedroht?

Als wir noch keinen Anschluss an die normale Gesellscha­ft hatten, ja. Diese Szene entlässt einen nicht einfach so. Außerdem ist da auch eine große persönlich­e Enttäuschu­ng im Spiel, die Szene hat ja nur die Szene. Wenn jemand aus dem engeren Kreis aussteigt, bedeutet das Verrat. Und darauf folgt Hass. Untertauch­en war keine Option, mein Mann ist als Liedermach­er ja in ganz Deutschlan­d bekannt.

Sie sind jetzt Erzieherin, möchten Sie etwas „richtig“machen.

Ich wollte immer schon selbst Kinder haben, und mich interessie­rt das Thema Erziehung. Nach dem Ausstieg hatte ich dann das Bedürfnis, auch pädagogisc­h zu arbeiten. Mir hat das übrigens selbst geholfen, meine Erlebnisse zu verstehen und einzuordne­n.

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FOTO: ANNETTE HAUSCHILD

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