Was heißt Heimat auf Deutsch?
Um die 400 Menschen im Kreis büffeln derzeit Deutsch als Fremdsprache
- Die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber ist in diesem Jahr stark zurückgegangen, vor allem durch die Schließung der BalkanRoute. Dennoch brummen die Sprach- und Integrationskurse in Deutsch, die die Volkshochschule (VHS) im Landkreis Tuttlingen anbieten, unvermindert weiter. Rund 400 Teilnehmer gibt es momentan. „Jetzt kommen auch die Frauen in die Kurse“, sagt Katerina Macova, Fachbereichsleiterin Integrationskurse der VHS.
Katerina Macova ist sich sicher: „Wenn wir die Frauen und Mütter bekommen, dann erreichen wir auch die nächste Generation.“Von Anfang an hätten sie und andere Mitarbeiter der Volkshochschule genau dafür gekämpft – teilweise auch gegen den Widerstand mancher Männer. Kam ein Mann zur Anmeldung, der das Deutschlernen für seine Frau nicht als notwendig ansah, wurde ihm gesagt: „Entweder kommt Ihre Frau auch in einen Kurs oder Sie werden abgelehnt.“
Mittlerweile sei das gar kein Thema mehr. Macova freut besonders, dass viele Frauen die große Chance erkannt hätten, die ihnen der Spracherwerb biete: eine berufliche Perspektive, Unabhängigkeit.
Die Zahl der Flüchtlinge, die neu in den Landkreis Tuttlingen kommen, ist im Vergleich zu vor zwei Jahren stark zurückgegangen: Die Zuteilungsquote lag im November bei 14 Menschen, seit Januar sind es durchschnittlich 20 Menschen pro Monat, so Nadja Seibert, Sprecherin des Landratsamtes Tuttlingen.
Dennoch sind immer noch rund 400 Menschen in den Sprach- und Integrationskursen der VHS. Immer wieder bringen politische Entscheidungen das gut funktionierende Gefüge durcheinander. So dürfen neuerdings auch Afghanen die Kurse besuchen, die bislang nur Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und dem Iran, Eritrea und Somalia vorbehalten waren. Dadurch gab es Verschiebungen innerhalb der Kurse. Aber: Berufsbezogene Sprachkurse wiederum sind für Afghanen nur bis 31. Dezember dieses Jahres bewilligt. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt die Bereichsleiterin. Auch der bürokratische Aufwand sei enorm.
Das Konstrukt ist ohnehin megakompliziert. Zum einen gibt es BAMF-Sprachkurse (Integrationskurse genannt) für bleibeberechtigte Flüchtlinge. Darunter fallen auch sogenannte Alphabetisierungskurse, die das Sprachniveau B1 oder B2 über 18 statt zwölf Monate vermitteln. Hier geht es um den Erwerb des lateinischen Alphabets. „Viele der Kursteilnehmer haben zehn bis zwölf Jahre Schulbildung hinter sich, aber sind nur arabisch alphabetisiert“, klärt Macova auf. In der Tat gebe es auch Teilnehmer, die keine oder nur bis zu fünf Jahren die Schule besucht hätten. Das seien aber eher wenige.
Zudem gibt es sogenannte ESFKurse, die berufsbezogen angelegt sind, und der Landkreis Tuttlingen finanziert auf eigene Kosten Basissprachkurse für Teilnehmer aus BLändern mit geringen Bleibechancen. Seit Anfang des Jahres 2016 seien dafür rund 300 000 Euro ausgegeben worden, so Seibert.
Man kennt sich
Von den 400 Menschen, die derzeit Deutsch als Fremdsprache büffeln, kennen Macova und ihr Team alle persönlich. Mehr noch: „Es ist tatsächlich so, dass uns in den meisten Fällen auch die Geschichte der Menschen bekannt ist.“Furchtbare Schicksale von Krieg, Flucht und Vertreibung, Tod und Trauer haben sie mitbekommen. Sie fiebern mit, wenn Partner oder Verwandte ihrer Schüler sich mit ungewissem Schicksal auf die Flucht begeben haben. Im gleichen Maße bekommen sie Unterstützung zurück. Vor wenigen Wochen ist der Bereich Sprache und Integration von der Hauptstelle der VHS in die Donaustraße umgezogen. „Wir haben sehr viele Angebote für Hilfe beim Umzug bekommen“, sagen die VHS-Mitarbeiterinnen.
Über die Räume in der Donaustraße, im Erdgeschoss des ehemaligen Boarding-Houses, in denen neben dem Büro auch Schulungsräume untergebracht sind, sind sie dankbar. Dennoch reicht der Platz nicht aus, Sprach- und Integrationskurse sind in ganz Tuttlingen verteilt: In den Räumen der DLRG, in den evangelischen und katholischen Gemeindehäusern, In Wöhrden 6 und neuerdings auch in der Balinger Straße, der neuen Unterkunft des türkischen Kulturvereins Feza.
Gleichzeitig steigt die Zahl der Türken, die in Deutschland um Asyl bitten: Laut Landratsamt leben derzeit 15 Türken mit einer Gestattung (Asylverfahren läuft), zwei Türken mit einer Duldung und zwei Türken mit einer Aufenthaltserlaubnis, die einen Abschiebeschutz beinhaltet, im Kreis. Auch sie kommen in die Sprachkurse.
Katerina Macova findet die Durchmischung in den Kursen gut. „Wir hatten kürzlich eine Prüfung in einem B1-Kurs mit 15 verschiedenen Nationalitäten. Die müssen einfach miteinander klar kommen.“
Und jetzt noch eine Erfolgsgeschichte: Am 15. Januar geht ein Intensiv-Sprachkurs in C1-Nivau mit 21 Teilnehmern zu Ende, die Hälfte davon sind Flüchtlinge. Nach den 400 Stunden Unterricht könnten die Schüler Deutsch nahe am Muttersprachniveau sprechen, eine gute Ausbildung beginnen oder studieren.