Heuberger Bote

Astfiguren entwickeln ein Eigenleben

Das Einmann-Adventsstü­ck „Hänsel und Gretel“feiert Premiere im Theaterbah­nhof Mühlheim

- Von Kornelia Hörburger

- Die kleinen Zuschauer verfolgen gebannt Martin Bachmanns Spiel, während Cécile Legrands Bühnenauss­tattung die Erwachsene­n ein ums andere Mal in Staunen versetzt: „Hänsel und Gretel“hat am Wochenende im Mühlheimer Theaterbah­nhof Premiere gefeiert.

Alle Jahre wieder bezaubern die Adventsstü­cke im Mühlheimer Theaterbah­nhof Groß und Klein.

Martin Bachmann sitzt vor einer Kiste voller Äste. Er beginnt, das Grimmsche Märchen von Hänsel und Gretel zu erzählen. Die Holzstücke, die er dabei mit Bedacht aus der Kiste hochhebt, entpuppen sich als seine Co-Darsteller. Schließlic­h geht es in der Geschichte um die Familie eines Holzhacker­s.

Jeder einzelne Ast hat, ganz unbearbeit­et, schon ein Eigenleben: Gretels Bein scheint voller Dynamik zum Weglaufen anzusetzen, und der Arm der bösen Stiefmutte­r weist mit energische­r Geste bedrohlich in Richtung des Waldes. Bachmann erzählt weiter, während er die Figuren mit Stoff-Köpfen komplettie­rt. Seine Frau Cécile Legrand hat sie alle genäht und bestickt. Mit ihren riesigen Augen und mit dunklen Zierstiche­n betonten, kantigen Zügen erinnern sie an Gesichter aus expression­istischen Gemälden.

Bachmann erzählt das Märchen und führt die Zuschauer dabei durch die flexiblen Kulissenel­emente von Schauplatz zu Schauplatz. Bei jedem Innehalten lässt er seine Figuren eine Szene spielen: Daheim, in ihrer Hütte, belauschen Hänsel und Gretel ihre Eltern. Eine Etage darüber fassen Vater und Stiefmutte­r den Plan, die Kinder im Wald auszusetze­n. Im „Wald“, einer mit dürren Ästen bestückten Baumscheib­e, trösten sich die Geschwiste­r gegenseiti­g, als sie allein zurückblei­ben.

Eine Hexe mit zwei Seiten

Fast beiläufig baut Bachmann die Holzhacker-Hütte zum Pfefferkuc­henhäusche­n um. Unterm Giebel prangen nun Brezeln, und bunter Zuckerguss schmückt die Fenster. Als die Kinder daran knuspern, zeigt sich die Hexe: ambivalent auf einer Seite weich bemoost und mit einer Kehrseite ganz aus Holz, ohne Unterlass boshaft kichernd. Einige der Kinder in den vorderen Reihen ziehen nun doch sicherheit­shalber zu ihren Eltern um.

Dabei ist die Aufführung keinesfall­s auf Gruselmome­nte ausgericht­et, und Bachmann bricht die Spannung immer wieder durch Lieder, von „Brüderlein, komm tanz‘ mit mir“bis zu „Au clair de la Lune“. Immerhin steckt aber Hänsel für alle sichtbar eine ganze Weile in einem Käfig fest, bevor Gretel der Hexe den Garaus machen kann. Das wird dann auch in den Kinderreih­en mit tiefen, zufriedene­n Seufzern aufgenomme­n.

Beim Duo aus dem Theaterbah­nhof übernimmt derjenige, der nicht auf der Bühne steht, die Aufgaben eines ganzen Theatertea­ms in einer Person: Cécile Legrand führt diesmal Regie, leuchtet aus, lässt den Mond am Himmel aufgehen – und sorgt neben den hinreißend­en Figuren auch noch für ein Ideenfeuer­werk in Kulissen und Requisiten. Von ihrem Punsch und Käsekuchen ganz zu schweigen, mit dem traditione­ll die Nachmittag­svorstellu­ngen im Advent in der ehemaligen BahnhofsWa­rtehalle ausklingen.

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FOTO: KORNELIA HÖRBURGER Die Hexe hat Hänsel zwar erwischt. Aber auch im Theaterbah­nhof gilt wie im Märchen: Ende gut, alles gut.
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