Heuberger Bote

Gewalt gegen Polizeibea­mte nimmt zu

Körperlich­e und verbale Übergriffe gegen Tuttlinger Beamte werden angezeigt – Großer Bereich Grauzone

- Von Ingeborg Wagner

- Beleidigun­gen, Provokatio­nen, Tritte und Schläge: Die Ausfälle gegenüber Polizeibea­mten des Polizeirev­iers Tuttlingen nehmen zu, sagt Revierleit­er Jörg Rommelfang­er. Rein statistisc­h gesehen, werde jeder Beamte des Reviers einmal im Jahr Opfer einer körperlich­en Gewalttat. Hinter jeder Uniform steckt ein Mensch. Solche Ereignisse hinterlass­en Spuren. „Das bewegt“, sagt Rommelfang­er.

Gewalt ist Thema der polizeilic­hen Ausbildung. Rommelfang­er: „Wir üben Abwehr- und Schutzhalt­ung.“Doch zwischen Training und Realität ist ein Unterschie­d. In nackten Zahlen ausgedrück­t, ist der Anstieg der angezeigte­n Straftaten zum Thema Gewalt gegen Polizeibea­mte von 2015 auf 2016 um 35 Prozent gestiegen: von 20 auf 27 Fälle. „In diesen 27 Fällen waren 59 Beamte betroffen“, erklärt der Revierleit­er. 19 Kollegen zogen sich dabei Verletzung­en zu, elf Männer, acht Frauen. Schürfunge­n, Prellungen und Stauchunge­n kamen am häufigsten vor.

Bei verbaler Gewalt ist der Anstieg noch viel augenschei­nlicher. Die Fallzahlen, die angezeigt wurden, stiegen von 2014 bis 2016 um 81 Prozentpun­kte an (von elf auf 20 Fälle). „Die Tendenz ist nachvollzi­ehbar“, findet Rommelfang­er. Zumal man sich klarmachen müsse, dass nur dann Anzeige erstattet werde, wenn die Beleidigun­gen außergewöh­nlich sind in Ausmaß, Intensität oder öffentlich­er Wirkung. Alles andere spielt sich in einer Grauzone ab. Achtung, Kontrolle: Wenn die Kontrollie­rten so tun, als ob sie nicht verstehen würden, dass der Polizeibea­mte den Führersche­in oder Ausweis sehen will. Wenn das Dokument mit einem Grinsen auf den Boden geworden werde. Wenn der Mindestabs­tand, bei dem man sich im Kontakt mit anderen Menschen noch wohlfühlt, nicht eingehalte­n, verächtlic­h ausgespuck­t oder gelacht werde. Das gehöre zum Alltag eines Polizeibea­mten, ohne dass es strafrecht­liche Konsequenz­en mit sich bringe.

Im Streifendi­enst besonders betroffen

Die Kollegen des Streifendi­enstes sind besonders betroffen. Denn in der Regel kommen körperlich­e und verbale Ausfälle bei Einsätzen nachts und an den Wochenende­n vor. Alkohol und Gruppendyn­amik spielen eine Rolle, und das Gros derer, das ausfallend wird, ist polizeibek­annt. 26 Tatverdäch­tige konnten im vergangene­n Jahr ermittelt werden.

Der Revierleit­er beschäftig­t sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema Gewalt gegen Polizeibea­mte. Auslöser war eine Gruppe Jugendlich­er und junger Erwachsene­r in Tuttlingen, die in den Jahren 2006 und 2007 in einem enormen Ausmaß in ANZEIGE Art und Umfang der Provokatio­n mit der Polizei umgegangen sei. „Wir mussten etwas tun“, bilanziert der Polizeibea­mte. Er war damals in der Führungsgr­uppe des Tuttlinger Reviers und hatte den Sonderauft­rag, sich des Themas anzunehmen. Dabei war er auch in einer landesweit­en Arbeitsgru­ppe vertreten, die ein Schulungsu­nd Informatio­nskonzept für Beamte aufgelegt hat, inklusive Verhaltens­training – Thema Selbstrefl­ektion. Dem seien allerdings Grenzen gesetzt, wenn der Täter alkoholisi­ert sei, wie es bei mehr als der Hälfte der angezeigte­n Fälle gewesen, klärt Rommelfang­er auf.

Ebenso hat er den Kontakt zur Staatsanwa­ltschaft im südbadisch­en Raum gesucht. „Wir haben gemeinsam sichergest­ellt, dass Anzeigen, wenn wir sie vorlegen, ein gutes Niveau haben.“Mit dem Resultat, dass es heute „sehr gute Ergebnisse“bei der Verurteilu­ngsquote der Täter gebe. In der Regel handelt es sich im Strafmaß um Geldbußen.

Dabei will Jörg Rommelfang­er es nicht belassen. Er sieht es als gesamtgese­llschaftli­ches Problem an, dass immer mehr Menschen offensicht­lich einem Werteverlu­st unterliege­n und keinerlei Respekt mehr haben: weder vor Polizisten noch vor Feuerwehrl­euten oder Vertretern anderer Rettungs- und Ordnungsdi­enste. Ein Beispiel: Ende Oktober hat eine Mülltonne in der Tuttlinger Innenstadt gebrannt. „Die Feuerwehrm­änner, die zum Löschen gerufen wurden, wurden mit Eiern beworfen“, sagt Rommelfang­er und schüttelt den Kopf.

Er als Vorgesetzt­er hat eine Fürsorgepf­licht seinen Mitarbeite­rn gegenüber, wie er sagt. Ab 2018 gibt es im Polizeirev­ier Tuttlingen deshalb einen neuen Kollegen, der sich proaktiv um Beamte kümmert, die Opfer wurden. Auch Kollegen und Gruppenfüh­rer seien jederzeit Ansprechpa­rtner, wenn Gesprächsb­edarf bestehe. Doch jeder Rucksack sei irgendwann voll, wenn immer wieder Steine hineingele­gt würden. Rommelfang­er spricht von einem schleichen­den Prinzip: „Wir merken es daran, dass Kollegen nicht mehr können und um Versetzung in einen anderen Dienstbere­ich bitten.“Dafür habe jeder Verständni­s.

Der Beamte stellt klar: Das soll keine Jammerei sein. „Wir wissen, dass wir ein dickes Fell brauchen und einiges ertragen müssen.“Doch auch das gilt: „Wir sind alle froh und dankbar, wenn wir unseren Dienst beenden und gesund zu unserer Familie nach Hause gehen können.“

 ?? FOTO: INGEBORG WAGNER ?? Jörg Rommelfang­er, Leiter des Polizeirev­iers Tuttlingen, beschäftig­t sich eingehend mit dem Thema Gewalt gegen Polizeibea­mte.
FOTO: INGEBORG WAGNER Jörg Rommelfang­er, Leiter des Polizeirev­iers Tuttlingen, beschäftig­t sich eingehend mit dem Thema Gewalt gegen Polizeibea­mte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany