Heuberger Bote

Im Grenzstrei­t zwischen Slowenien und Kroatien droht eine Eskalation

Nach dem Urteil des internatio­nalen Schiedsger­ichts vom letzten Sommer drohen sogar bewaffnete Konflikte

- Von Thomas Brey

(dpa) - Im Grenzstrei­t zwischen Slowenien und Kroatien in der Bucht von Piran auf der Halbinsel Istrien an der nördlichen Adria stehen die Zeichen auf Sturm und sogar auf bewaffnete Zusammenst­öße. Von Freitag an will Slowenien ein Urteil des internatio­nalen Schiedsger­ichts vom letzten Sommer umsetzen, das dem Alpen-Adria-Land zwei Drittel der Bucht zuspricht. Die Polizei werde dann die Kontrolle über „unser Meer“übernehmen, hat Regierungs­chef Miro Cerar angekündig­t. Kroatien dürfte sich zur Wehr setzen, weil es das Schiedsurt­eil als „null und nichtig“ansieht.

Die Europäisch­e Union hatte viel Energie darauf verwendet, die beiden Streithähn­e vor acht Jahren in ein Schiedsver­fahren zu zwingen, um den seit einem Vierteljah­rhundert ausgetrage­nen Streit beizulegen. Weil Slowenien massiv gegen die Verfahrens­regeln verstoßen hat- te, war Kroatien bereits 2015 aus diesem Prozess ausgestieg­en. Trotzdem fällte das Gericht im Sommer seine Entscheidu­ng: Auf dem Meer bekam Slowenien weitgehend recht und damit einen Zugang zum offenen Meer. Bei der Ziehung der Landesgren­ze kam Kroatien dagegen besser weg.

Zagreb spricht von Schikane

„Slowenien hat die ganze EU auf seiner Seite, Kroatien ist allein“, beschrieb das kroatische Nachrichte­nportal „Index“die Lage. Und es könnte für Zagreb noch schlimmer kommen. Slowenien hat inzwischen angekündig­t, den kroatische­n Beitritt zum visafreien Schengen-Raum ebenso zu blockieren wie zur Eurozone oder zur Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit (OECD). Die ersten Folgen: An den Weihnachts­feiertagen klagten auch viele ausländisc­he Touristen über kilometerl­ange Staus vor der slowenisch-kroatische­n Grenze. Zagreb spricht von Schikanen des Nachbar- landes, um dem Tourismus zu schaden.

Dabei wird hinter vorgehalte­ner Hand eine Lösung nach dem Beispiel des jahrhunder­tealten Grenzkonfl­ikts zwischen den Niederland­en und Deutschlan­d in der Emsmündung in Norddeutsc­hland als Ausweg gehandelt. Den Haag und Berlin hatten 2014 einen Vertrag geschlosse­n, in dem die exakte Grenze in der Meeresbuch­t Dollart weiter offen bleibt. Beide Seiten kamen aber überein, alle Fragen einvernehm­lich zu lösen. So gibt es beispielsw­eise eine eigene bilaterale „Schifffahr­tsordnung Emsmündung“. Eine solche Blaupause „wäre im allerbeste­n Interesse von Kroaten und Slowenen“, schrieb „Index“in Zagreb.

Slowenien pocht auf „europäisch­es und internatio­nales Recht“und damit auf die Erfüllung des Schiedsspr­uchs. Es will jetzt in der Bucht von Piran die einige Dutzend kroatische­n Fischer hindern, „slowenisch­e Hoheitsgew­ässer“ohne Er- laubnis zu durchfahre­n. Gleichzeit­ig bietet Ljubljana einigen Dutzend Bürgern an, auf Staatskost­en umzuziehen, weil ihre Häuser und Äcker nach dem Schiedsspr­uch Kroatien zugesproch­en wurden. Sollte Kroatien nicht einlenken, will man den Nachbarn vor internatio­nalen Gerichten verklagen.

Tiefes nationales Trauma

Warum ist Kroatien so unbeweglic­h in der Grenzfrage, obwohl das Land allein auf dem Festland knapp 1800 Kilometer Küste und Slowenien lediglich 47 Kilometer besitzt? Beobachter erklären das vor allem mit einem tiefen nationalen Trauma durch den Bürgerkrie­g zwischen den Jahren 1991 und 1995. Damals hatte die serbische Minderheit, die etwa zwölf Prozent der Gesamtbevö­lkerung stellte, mehr als ein Drittel des Landes abgespalte­n. Seitdem gilt das Mantra, „kein Zentimeter kroatische­n Bodens darf aufgegeben werden“.

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FOTO: DPA Das Nachbarlan­d zum Greifen nah: vorne Häuser im slowenisch­en Piran, hinter der Bucht die kroatische Küste.

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