Heuberger Bote

Freitags Sturz wird zum Fall

Kritik an der Wettkampff­ührung in Innsbruck – Wieder siegt Kamil Stoch

- Von Joachim Lindinger

- Um 14.55 Uhr an diesem 4. Januar 2018 war die 66. Vierschanz­entournee eine andere als zuvor. Um 14.55 Uhr an diesem 4. Januar 2018 sprang Richard Freitag von Innsbrucks Bergisel-Schanze 130 Meter, die zweitbeste Weite in Durchgang eins. Bei der Landung auf welligem Terrain aber kreuzten sich kurz beide Ski-Enden, der bisherige Tourneezwe­ite stürzte. Schrecksek­unde bei den 16 300 Zuschauern; Sanitäter und Mannschaft­sarzt spurteten in den Auslauf. Es dauerte, bis der 26-Jährige von der SG Nickelhütt­e Aue erst stand, dann winkte. Applaus von den Rängen, Abschiedsa­pplaus: Statt sich für das Finale zu präpariere­n, musste sich Richard Freitag zur genaueren Diagnose ins Krankenhau­s bringen lassen. Horst Hüttel, der Sportliche Leiter Skisprung im Deutschen Skiverband (DSV): „Er hat Schmerzen vor allem an der Hüfte. Richard dürfte – den ersten Untersuchu­ngen nach – aber nicht ernsthaft verletzt sein.“

Kamil Stoch – Tourneesie­ger 2016/ 17, Sieger von Oberstdorf und Garmisch-Partenkirc­hen, der Mann, der mit 11,8 Punkten Vorsprung angereist war – ging unmittelba­r nach Richard Freitag in die Anlaufspur. Flog ebenfalls 130 Meter, landete, unter Mühen, sauber, übernahm die Führung und brachte seinen dritten Tageserfol­g mit 128,5 Metern souverän zu Tale. Zweiter in Innsbruck: Daniel-André Tande (129,5 und 125,0 Meter). Dritter: Andreas Wellinger, der dem weitesten Satz des Wettbewerb­s (133,0 Meter) 126,0 Meter folgen ließ. Im Gesamtklas­sement der Tournee ist der Ruhpolding­er jetzt neuer Zweiter. 64,5 Punkte (!) hinter Kamil Stoch, 36 Meter fast. „Da kann er sich in Bischofsho­fen nur selber schlagen, und das wird nicht passieren.“Was passieren kann: Dass der Pole auch auf der PaulAußerl­eitner-Schanze triumphier­t. Dann wäre er, 16 Jahre nach Sven Hannawald, der zweite Skispringe­r, der die Vierschanz­entournee mit vier Etappensie­gen für sich entscheide­t. Ein großes Ding! Oder, Herr Stoch? „Jeder Rekord ist da, dass man ihn bricht. Viel wichtiger für mich ist, weiter auf die Dinge fokussiert zu sein, die ich zu tun habe.“Damit nicht passiert, was sich Sven H. bestens vorstellen kann: „Da läuft jetzt das Kopfkino so richtig an.“

Dritter Wellinger zwiegespal­ten

Spiegelbil­d des bisherigen, geschlosse­n guten Auftretens der weiteren DSV-Springer bei beiden Heimspring­en war ihr Auftritt im Tiroler Dauerregen. Markus Eisenbichl­er (Achter mit 128,5 und 117 Metern) ließ zwar, wieder einmal, einen feinen ersten Versuch unveredelt, haderte, wieder einmal, mit sich selbst. Bischofsho­fen aber sollte ihm liegen. Stephan Leyhes aufsteigen­de Tendenz hielt mit Rang neun (123,5 und 119,0 Meter) an, Karl Geiger als Zwölfter (125,5 und 118,0 Meter) sprang im Tournee-Klassement in die Top Ten. Ins Finale schaffte es der 18-jährige Constantin Schmid (26. mit 112,0 und 117,0 Meter), allein Pius Paschke (49.; 99,5 Meter) sucht nach der Form aus dem ersten Part des Winters. Andreas Wellinger hat die längst wieder: „Ich hab’ meine Sprünge abrufen können, umsetzen können, stabilisie­ren können.“Und den Sturz des Teamkolleg­en beim Aufsteigen zurück zum Schrägaufz­ug gesehen. „Da sind schon auch Emotionen im Spiel, die Sch... sind. Das ist sehr, sehr schade für ,Rich‘ und das ganze Team.“

Werner Schuster lobte dessen Auftreten und Andi Wellinger („seine besten Sprünge dieser Tournee!“), dann wandte er sich an die Adresse des Technische­n Delegierte­n, Geir Steinar Loeng aus Norwegen. Der, kritisiert­e der Bundestrai­ner, habe eine zu „offensive Wettkampff­ührung“für diese Wetterbedi­ngungen, die Aufsprung-Präparieru­ng und den Schanzenra­dius festgelegt. In Oberstdorf etwa sei die Absprunglu­ke bei ebenfalls Regen und schlechter Sicht „extrem umsichtig“gewählt worden. „Da minimiert man das Risiko und schützt die Top-Springer.“

Geschah so in Innsbruck nicht, ärgerte sich Werner Schuster. Warum keine Anlaufverk­ürzung vor den letzten drei Startern in Durchgang eins, Richard Freitag, Kamil Stoch und Qualifikat­ionssieger Junshiro Kobayashi? „Richard ist sehr gut gesprungen, ist sehr weit gesprungen. Er hat den Sprung durchgezog­en. Dann ’nen Telemark zu machen, ist notwendig, aber ist schwierig ...“Zu schwierig im Falle Freitag, fast zu schwierig im Falle Stoch. „Wenn Sie sich seine Landung anschauen, dann sehen Sie, dass die auf Messers Schneide war. Und Kamil Stoch hat gegenüber Richard Freitag Vorteile bei der Landung. Er ist einer der besten Telemark-Macher in diesem Zirkus.“

Und demnächst Wiederholu­ngstäter in Sachen Tourneesie­g. Sven-Hannawald-Einholer vielleicht zudem. Vor allem aber ein fairer Sportsmann. „Das ist sehr traurig“, sagte der 30-Jährige am Donnerstag­abend. „Ich wünsche das niemandem. Aber es ist passiert. Für ,Richie‘ alles Gute – und dass er bald zurück ist, wieder auf dem höchsten Level!“

Eine feine Geste. Nach einem Sturz, der nicht hätte sein müssen am 4. Januar 2018, 14.55 Uhr.

Qualifikat­ion am Freitag, 17.00 Uhr; Wertungssp­ringen am Samstag, 17.00 Uhr (jeweils ARD und Eurosport).

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