Lila, Lila! Bitte bitte
Ein dramatisches Ultraviolett wurde zur Farbe des Jahres 2018 gekürt
Ausgerechnet Lila! Oft verspottet als der letzte Versuch. Das ist ja keine ordentliche Farbe wie Rot, Blau, Grün und Gelb, diese großen Klaren mit ihrem eindeutigen Charakter. Lila, das obskure Gemisch aus Blau und Rot, mischt auch die Gefühle. Manche schwören darauf wie der lila beleuchtete Popstar Prince mit seinem 80er-Jahre-Hit vom rätselhaften „Purple Rain“(lila Regen). Viele können es nicht ausstehen. Wassily Kandinsky (1866-1944), der Pionier der Abstraktion, fand, Lila habe „etwas Krankhaftes, Erloschenes, etwas Trauriges an sich“. Nichtsdestotrotz hat das amerikanische Farbinstitut Pantone aufgrund von Trendforschungen das „Ultra Violet 18-3838“zur Farbe des neuen Jahres 2018 erklärt.
„Warum nur?“fragt da die Süddeutsche Zeitung, das ist gemein. Denn bei Pantone hat man tief nachgedacht und nicht nur die Kleiderfarben auf den Laufstegen der Modewelt erforscht, sondern auch, wie Direktorin Leatrice Eiseman betont, gesellschaftliche Entwicklungen und Stimmungen. Und die waren nach Ansicht der Jury im letzten Jahr eher grasgrün („Greenery“), nun sind sie eben lila, beziehungsweise ultraviolett. Nicht so dumpf und düster, wie man vielleicht denken könnte. Es handelt sich laut Pantone um einen „dramatically provocative and thoughtful purple shade“, einen dramatisch provozierenden und nachdenklichen Lila-Ton.
Ein Dutzend anderer Farbkandidaten des Jahres wie das fast farblose „Almost Mauve“, das rostigbraune „Emperador“und das himmelblaue „Little Boy Blue“sind jedenfalls vor den Augen der Jury komplett verblasst. Mit der Hilfe von Lila, verspricht Eiseman, könnten „Bewusstsein und Potenzial auf ein höheres Niveau gebracht werden“. Klingt ein bisschen anstrengend.
Um den Trend zum Lila zu verstehen, wollen wir diese schwierige Farbe mal näher untersuchen. Über viele Jahrhunderte war sie den Reichen und Mächtigen vorbehalten, weil man das blaurote Leuchten nur mit Hilfe der Drüsen von Purpurschnecken gewinnen konnte. Das an sich farblose Sekret musste drei Tage in Salz eingelegt und zehn Tage gekocht werden, bevor man einen Stoff darin einlegen konnte, der sich beim Trocknen im Licht lilarot färbte. Um auch nur ein Kilo Wolle für die Tunika eines Machthabers zu färben, musste man in der Antike rund 10 000 der schleimigen Meerestiere fangen und ausquetschen – ein wahrhaft kompliziertes, ziemlich ekliges und sehr teures Unterfangen.
Kulturgeschichtlich macht es deshalb Sinn, dass Purpur bis zum heutigen Tage die kostbare Farbe der Königsund Kardinalmäntel ist – in seiner Erscheinung als bläuliches Rot. Als leuchtendes Lila tragen es die Bischöfe der katholischen Kirche. Lila ist zugleich die liturgische Farbe für Advent und Fastenzeit. Auch wurde Lila zur offiziellen, wenn auch sparsam eingesetzten Farbe der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Die christliche Neigung zum Lila hat ihren spirituellen Sinn, wissen Experten wie der Psychologe und Kulturforscher Harald Braem („Die Macht der Farben“). Das Violette verbindet Rot, das feurige Symbol des Irdischen, mit dem ruhigen Blau, das für Geist und Kosmos steht. Vom sündigen Gedanken führt es zu Buße und Umkehr. Außerdem stecken nach Ansicht von Braem noch andere Gegensätze im satten Lila: „Auch das Geschlechtliche von Rot (männlich) und Blau (weiblich) wird im Violett aufgehoben.“
So gesehen liegt es nahe, dass die nach Gleichberechtigung strebende Frauenbewegung in den 1960er- bis 80er-Jahren lila Tücher und vor allem die lila Latzhose als lustig-kämpferische Uniform wählte. Man – beziehungsweise frau – verschaffte sich Bewegungsfreiheit in der bis dahin typisch männlichen Arbeitshose – und gab durch die Farbe ein Bekenntnis zur feministischen Theorie ab. „Lila schützt vor Schwangerschaft“, höhnten die Machos im Überlebenskampf jener Zeit. Doch die Frauen ließen sich nicht beirren. „Die Farbe Lila“war auch der Titel eines 1985 von Steven Spielberg verfilmten Romans der Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker, die sich mit der Befreiung unterdrückter schwarzer Frauen im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts befasst. Lila erzeugte weltweit ein weiblich verbindendes Gefühl.
Alles, was von Natur aus lila ist, passte fabelhaft dazu und wurde neu entdeckt: Amethyst-Schmuck, Lavendelblüten, sogar das Veilchen im Moose. In den Augen der Frauen wurde das Lila endlich von der Muffigkeit befreit, die dem Mischton lange Zeit unterstellt wurde.
In meiner Kindheit hatte man eigentlich nur Witze über Lila gemacht. Kein modernes Fräulein um 1960 mochte die Farbe. Nur alte Damen tönten damals ihre grauen Haare gern violett, trugen fliederfarbene Blusen und starteten damit den oben schon erwähnten „letzten Versuch“. „Nehmse Lila, Lila hebt Ihnen!“So wurde unter Gelächter aus mir unbekannter Berliner Quelle zitiert.
Mit der Jugendrevolte gelangte Lila auch bei einigen wilderen Jungs zu neuen Ehren. „Deep Purple“(Tiefes Purpur) wurde zum Slang-Ausdruck für die bewusstseinserweiternde Modedroge LSD. Die gleichnamige, 1968 gegründete Rockband bezeichnete ihren Namen allerdings als Hommage an den Jazzmusiker Peter DeRose und seine Pianonummer „When the Deep Purple Falls“. Klingt so schön: das tiefe Purpur als romantisches Bild für die Dämmerung. Wie dem auch wirklich gewesen sein mag – Lila blieb lange der Hit und ein großes Thema für Poeten und Humoristen. Der schwäbische Liedermacher Wolle Kriwanek reüssierte 1977 mit dem Bänkellied über die schöne Tilla: „Lila war ihr Paletot, lila ihr Gewand ...“So verrückt ist Tilla nach Lila, dass sie in Seenot einen roten Rettungsring ablehnt und lieber ertrinkt und zwar zu diesem Refrain: „Nein, nicht Rot, Rot steht mir nicht! Bitte Lila, bitte Lila!“
Das ist natürlich eine ganz und gar oberflächliche Perspektive. Und genauso, ohne tiefere Bedeutung, wird die Farbe des Jahres 2018 nun munter vermarktet. Bei Ikea gibt es endlich wieder lila Sofas („Tylösand“, 1060 Euro). Wie das Klatschmagazin Bunte herausfand, sind lila Lippen bei den Stars angesagt. Sieht ein bisschen zum Fürchten aus, aber das kann ja beabsichtigt sein. Das Frauenblatt Elle hat schon die passende Mode aufgestöbert: einen Prada-Pullover für schlappe 560 Euro, einen Rock von Victoria Beckham in ähnlicher Preisklasse.
Das finde ich jetzt doch etwas teuer. Vielleicht sollten wir es mal wieder mit einer lila Latzhose probieren, selbst gefärbt natürlich. Und einen lila Schal dazu stricken. Ich habe auch noch lila Pumps und eine Tasche in leuchtendem Lila, fast wie neu. Die hole ich jetzt mal raus. Dann klappt’s ja in diesem Jahr mit dem, was uns das Ultraviolett von Pantone verspricht: „Originality, ingenuity and visionary thinking that points us towards the future“, Originalität, Einfallsreichtum und visionäres Denken, das uns den Weg in die Zukunft weist. Oder so. Bitte Lila!