Amerikas Wespentaille besticht
In Panama wachsen Wolkenkratzer und Regenwälder in den Himmel
ach eigenem Bekunden ist der berühmte Kinderbuchautor Janosch nie in dem zentralamerikanischen Land gewesen. Dennoch schwärmte er schon vor Jahrzehnten in einem seiner bekanntesten Bücher: „Oh, wie schön ist Panama“. Und seinen kleinen Bären lässt er zum Tiger sagen: „In Panama ist alles viel schöner, weißt du. Denn Panama riecht von oben bis unten nach Bananen.“Dass Janosch gerne schwindelt, ist hinlänglich bekannt. Nach einem Besuch in dem kleinen Land steht deshalb auch schnell fest: Überall nach Bananen riecht es hier definitiv nicht! Und ob es in Panama viel schöner ist als anderswo, können Weitgereiste zwar vermuten, aber schwerlich beweisen.
Teure Passage
Eines ist Panama auf alle Fälle: anders. Mit seiner außergewöhnlichen, schmalen Form bildet es die Wespentaille des amerikanischen Kontinents und gleichzeitig die Brücke zwischen Nord und Süd. Auch dank seines berühmten Kanals nimmt Panama in Zentralamerika eine Sonderstellung ein. Neun Millionen Dollar kassiert der Staat täglich(!) für die Durchfahrt der großen Containerschiffe, Tanker und Kreuzfahrtriesen, die dank des Kanals statt der langen Passage um Kap Hoorn lediglich 80 Kilometer ruhige Fahrt zwischen Pazifik und Atlantik hinter sich bringen müssen. Panama dürfte vor allem deswegen das reichste Land Mittelamerikas sein. Aber auch die Lockerung des Banken- und Steuergesetzes vor etlichen Jahren half kräftig mit, dass aus dem einst kleinen kolonialen Handelsplatz an der Pazifikküste eine prosperierende, quicklebendige, kosmopolitische Metropole wurde, die sich heute als eine faszinierende Mischung aus Havanna und Hongkong präsentiert – allerdings wohl deutlich mehr Briefkästen hat als andere Millionenstädte.
In Panama City wachsen nicht nur immer höhere, architektonisch spektakuläre Wolkenkratzer in den Himmel, der Geldfluss spült finanzielle Mittel auch in die Unesco-Weltkulturerbe-Altstadt Casco Viejo. Viele der alten, zwischenzeitlich verfallenen Gebäude aus der Kolonialzeit wurden renoviert und beherbergen nun trendige Clubs, Boutique-Hotels, schicke Restaurants, hübsche Ladengeschäfte oder Loftwohnungen. Von drei Seiten ist Casco Viejo von Wasser umgeben, so können Einheimische wie Touristen nicht nur durch schmale Gassen, sondern auch über breite Uferpromenaden schlendern, auf denen Angehörige des Kuno-Volkes Souvenirs und Straßenhändler kühle Drinks verkaufen. Überwältigend ist von dort die Aussicht auf die Skyline des Banken- und Finanzviertels sowie auf die Einfahrt des Kanals, wo sich am Nachmittag die Schiffe aufreihen wie eine spanische Armada – bereit, am nächsten Morgen den Kanal zu erobern, wenn sich die Miraflores-Schleusen für die Pötte vom Pazifik öffnen.
Touristen müssen nicht so lange warten. Sie können sich zu jeder Tageszeit bereits wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt auf dem Kanal und seinen Zuläufen herumschippern lassen und vom Wasser aus Palmen, Mangrovenwälder, Kapuzineräffchen und Brüllaffen, Schildkröten, Krokodile, Kolibris oder Tukane beobachten. Oder sich aber gleich in die Büsche schlagen. Denn der Regenwald beginnt direkt vor der Haustüre Panama Citys, und überhaupt ist fast die Hälfte des gesamten Landes Naturpark. Der teilt sich auf in den Regenwald – in Panama gibt es übrigens das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet Zentralamerikas – und in den Nebelbeziehungsweise Bergwald im Norden des Landes, wo Hunderte Kaffeeplantagen bewirtschaftet werden und mit dem 3475 Meter hohen Vulkan Barú der höchste Berg steht.
Oh, wie grün ist Panama!
Wer dorthin fliegt und langsam die Skyline der Hauptstadt aus dem Blick verliert, wird bei klarer Sicht vor allem eines feststellen: Panama ist grün. Von oben sind kaum Straßen oder menschliche Siedlungen auszumachen. Diese Landenge zwischen zwei Ozeanen scheint nur aus einem berühmten Kanal, viel Wasser und noch mehr Wald zu bestehen. Logisch deshalb, dass man sich im Landesinnern am besten zu Fuß auf einem der vielen Wanderwege – vorzugsweise mit Guide – fortbewegt, oder aber auf dem Wasser. Denn wie sagte schon der Tiger zum kleinen Bären während der Reise nach Panama? „Wie gut, wenn man einen Freund hat, der ein Floß bauen kann, dann braucht man sich vor nichts zu fürchten.“
Unser Floß ist in diesem Fall ein Einbaum und gehört dem Volk der Emberá. Ein junger Emberá im Lendenschurz steuert mit uns über einen ruhigen Seitenarm des GatúnSees, der zum hochfrequentierten Kanal gehört. Doch fernab von vorbeiziehenden Containerschiffen und Ozeanriesen, von Elektrizität und fließendem Wasser siedeln hier rund 25 Emberá-Familien. Ihr Lebensstil hat sich allerdings radikal geändert, als das angestammte Gebiet dieser panamaischen Ureinwohner zum Nationalpark erklärt, großflächiger Ackerbau und die Jagd verboten wurden. Heute verdienen die Emberás – eine von sieben Ethnien in Panama – ihr Geld deshalb vor allem mit dem Tourismus. In ihren Pfahlhütten empfangen sie die Besucher mit Musik und Tanz und bieten ihnen gebackenen Fisch auf Kochbananen und Kunsthandwerk an. Das leichte Unbehagen ob dieser touristisch-folkloristischen Veranstaltung verliert, wer über die Kombination von Schwimmwesten und Lendenschurz lächeln kann und sich mit dem 33-jährigen Clan-Häuptling unterhält. Joben erzählt nämlich mit Stolz, dass zur Hochsaison mindestens zwei Besuchergruppen täglich ins Dorf kommen, sein Volk von diesen Einnahmen lebt und er selbst in der Küstenstadt Colón Tourismus studiert – vermutlich dann nicht im perlenverzierten Lendenschurz, sondern in Jeans und T-Shirt, trotz der schwülen Hitze.
Zurück in die Kolonialzeit
In eine wiederum völlig andere Welt taucht ein, wer in dem Bergdorf Boquete Station macht und dort im altehrwürdigen Panamonte-Hotel vorbeischaut. Besitzerin Inga Collins ist mittlerweile 89 Jahre alt, empfängt aber als Grande Dame mit Silberstöckchen immer noch gerne selbst die Gäste. Vor allem, wenn sie Sean Connery und Ingrid Bergman hießen. Die Tochter einer schwedischen Einwandererfamilie, die in Panama zu Geld – zu viel Geld – gekommen ist, erzählt gerne aus den Zeiten, als der Kanal weltweit noch als Sensation galt, Panama ein Land der Glücksritter war, und ihre Familie nicht nur dieses Hotel, sondern auch mehrere Kaffeeplantagen und verschiedene Firmen besaß. Der Glanz vergangener Kolonialzeiten flackert dann kurz auf. Allerdings nur so lange, bis Raoul, Bergführer und Vogelliebhaber in Boquete, bei einer kleinen Wanderung im Nationalpark Volcan Barú davon berichtet, wie er als Kind in den Plantagen schuften und kiloschwere Kaffeesäcke schleppen musste. Davon hat Inga Collins nichts erzählt. Und Tiger und Bär können es schließlich nicht wissen.