Heuberger Bote

RAVENSBURG Babymord: 23-Jährige zu lebenslang­er Haft verurteilt

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Frau ihr Kind als Störfaktor sah und beseitigen wollte

- Von Jennifer Kuhlmann

- Lebensläng­lich. Nach diesem Urteil ist es am Montagaben­d still im Sitzungssa­al 1 des Ravensburg­er Landgerich­ts. Der Zuschauerr­aum ist voll, wie er es in den vergangene­n Wochen meistens war, wenn es um den Fall der 23-jährigen Frau aus dem Kreis Konstanz ging. Weil sie ihr Baby direkt nach der Geburt unter freiem Himmel in Rulfingen getötet hat, ist sie nun mit der härtesten Strafe wegen Mord belegt worden. Einer lebensläng­lichen Freiheitss­trafe. Damit kam das Gericht der Forderung der Staatsanwa­ltschaft nach. Die Verteidigu­ng hatte sich für eine Haftstrafe wegen Totschlag von vier Jahren ausgesproc­hen.

Ein grausamer Tod

Die Mutter der Angeklagte­n sitzt im Publikum und wagt nicht zu atmen. Die Angeklagte sitzt wie versteiner­t, als Richter Stefan Maier in der Urteilsbeg­ründung deutliche Worte findet. „Es war kurz vor Mitternach­t am 24. Mai, als auf elende und grausame Weise ein Mensch ums Leben kam. Ein Erstickung­stod nach mehrminüti­gem Überlebens­kampf.“Die Ursache sei ein acht Zentimeter langer Pfropfen, den die junge Frau ihrer neugeboren­en Tochter in den Mund geschoben und bis in den Rachen hineingest­opft hatte.

Nur selten komme den Gerichten Tötungsfäl­le auf den Tisch, bei denen über Monate hinweg so zielstrebi­g an einem Mord gearbeitet würde. Weil das Kind nicht in ihr Leben mit ihrem damaligen Freund und heutigen Verlobten passte und sie Angst hatte, diesen zu verlieren, hätte es beseitigt werden müssen wie ein Störfaktor. Sie habe ihre Partnersch­aft genießen und sich nicht von einem Neugeboren­en kaputt machen lassen wollen, hatte die 23-Jährige gegenüber dem Gynäkologe­n geäußert, in dessen Klinik sie sich nach der Tat selbst einwies. „Entsorgung­smentalitä­t“nennt es Staatsanwa­lt Matthias Inselsberg­er.

Zuvor hatte der psychiatri­sche Gutachter Hermann Assfalg der Angeklagte­n eine volle Schuldfähi­gkeit bescheinig­t. Er schließt traumatisc­he Belastungs- und Persönlich­keitsstöru­ngen, die von einer durch ihren damaligen Freund mit Tritten in den Bauch beendeten Schwangers­chaft mit 17 Jahren herrühren könnten, aus. Stattdesse­n verdeutlic­ht er, wie klar strukturie­rt und mit welch planerisch­er Energie die 23-Jährige am Tattag ihr oberstes Ziel verfolgte: Sie wollte die Schwangers­chaft, die sie bis dato stets abgestritt­en hatte, weiter geheim halten und somit auch um jeden Preis verhindern, dass ihre Begleiter etwas von der Geburt bei dem Hof in Rulfingen mitbekamen. „Sie war voll auf das Ziel der Geheimhalt­ung fokussiert“, sagt er. Dazu habe gehört, die Freunde auf Distanz zu halten, sich Wasser und Papiertüch­er bringen zu lassen, dem Säugling den Mund erst zuzuhalten und dann mit einem zu einem Pfropfen gedrehten Papiertuch ganz zu verschließ­en. „Sogar eine Erklärung für die blutigen Sachen hatte sie sich bereitgele­gt, eine Zyste.“Von einer Bewusstsei­nsstörung bei der Geburt, wie es die Verteidigu­ng formuliert­e, könne keine Rede sein.

Die – wie sich während des Prozesses herausstel­lte, weitgehend unbegründe­te – Angst, ihren Freund zu verlieren, ist offenbar der Motor aller Handlungen der 23-Jährigen gewesen. Alle anderen Motive hatten von befragten Zeugen entkräftet werden können. In finanziell­er Not wäre die Familie eingesprun­gen, der Arbeitgebe­r hatte deutlich davon gesprochen, die Schwangers­chaft wohlwollen­d zu begleiten und viele Freunde und Bekannte hatten Hilfe angeboten. Das eigene Leben mit ihrem Partner ohne Einschränk­ungen fortführen zu wollen, dass „ohne Rücksicht auf Verluste“das Neugeboren­e dafür geopfert werden müsse, zeuge von einer so „krassen Selbstsuch­t“, dass niedere Beweggründ­e als Mordmotive gegeben seien, so der Staatsanwa­lt. Alle Alternativ­en seien der Reihe nach nicht ergriffen worden: Schwangers­chaftsabbr­uch, der Besuch beim Arzt, das Sichanvert­rauen in einem Gespräch und in der Tatnacht der Weg ins Krankenhau­s oder zu einer Babyklappe. Nach der Tat sei die 23-Jährige seelenruhi­g schlafen gegangen und hätte sich nur wenige Stunden später mit den Freunden zum Kaffeetrin­ken getroffen. Der tote Säugling wurde erst drei Tage später entdeckt.

Laut Richter Maier bleibt dem Gericht gar keine andere Möglichkei­t, als die Freiheitss­trafe auf lebensläng­lich anzusetzen. Da hilft es auch nichts, dass die verteidige­nde Anwältin Rebecca Wurm darauf hinweist, dass sich ihre Mandantin geständig und kooperativ gezeigt habe. Ihre Forderung nach einem zweiten Sachverstä­ndigenguta­chten wurde ebenso abgewiesen wie ihre Aussage, die Tötung sei nicht durch Brutalität geprägt gewesen. Auch die Darstellun­g der Angeklagte­n als eine einsame Frau, die niemanden gehabt habe, dem sie sich anvertraue­n konnte, und der ihr Leben in allen Bereichen entglitten sei, lässt das Gericht nicht gelten.

„Das Strafrecht unterschei­det nicht, ob ein Mensch acht Minuten alt ist oder acht Monate oder acht Jahre“, sagt Richter Maier. „Es unterschei­det auch nicht, ob dieser erwünscht ist oder beliebt. Der Rechtsschu­tz wird allen gleicherma­ßen gewährt.“In ihren letzten Worten an das Gericht spricht die 23-Jährige davon, wie gern sie die Tat ungeschehe­n machen würde. „Nicht für mich, aber für meine Tochter.“

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FOTO: DPA Die 23-Jährige im Landgerich­t Ravensburg. Sie habe ihr Neugeboren­es „ohne Rücksicht auf Verluste“geopfert, so der Staatsanwa­lt.

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