Heuberger Bote

Und läuft und läuft und läuft

Die Wirtschaft brummt und niemand erwartet ein rasches Ende des Aufschwung­s

- Von Wolfgang Mulke und dpa

- Normalerwe­ise malen Wirtschaft­sverbände das Bild der Gegenwart eher in düsteren Farben. Doch in diesem Jahr sind die Aussichten zu gut dafür, wie die jüngste Konjunktur­prognose des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt. „Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg in die Hochkonjun­ktur“, sagt BDI-Chef Dieter Kempf, „echte Risiken für eine Überhitzun­g sehen wir nicht.“Wie schon im vergangene­n Jahr wird das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) nach Einschätzu­ng des Verbands auch 2018 um gut zwei Prozent zulegen.

Im vergangene­n Jahr legte das BIP um stolze 2,2 Prozent zu, nach 1,9 Prozent im Vorjahr, wie das Statistisc­he Bundesamt am Donnerstag anhand vorläufige­r Zahlen bekannt gab. „Dieser Aufschwung ist kein Spurt, sondern ein Dauerlauf“, stellte Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater jüngst fest. Doch ausruhen, da sind sich Experten ebenfalls einig, sollte sich Europas größte Volkswirts­chaft auf dem Erfolg nicht.

„So gut es der deutschen Wirtschaft derzeit geht, viele Schwachste­llen sind erkennbar. Nun muss es darum gehen, den volkswirts­chaftliche­n Glanz in die Zukunft zu tragen“, sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Investitio­nen seien notwendig: in Straßen, Bildung, schnelles Internet. „Es ist an der Zeit anzupacken und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen“, mahnt Gitzel.

Tatsächlic­h wird der positive Trend allmählich unheimlich. Seit 2010 wächst das BIP stetig an. Und von einem Ende des Aufwärtstr­ends ist nicht die Rede. Das bedeutet auch für den Arbeitsmar­kt eine weitere Entspannun­g. „Etliche 100 000 neue Arbeitsplä­tze entstehen“, glaubt Kempf.

„Uns gehen die Arbeitskrä­fte aus“

Dabei suche die Industrie schon jetzt händeringe­nd hochausgeb­ildete Fachkräfte. Das ist auch eine der Wolken, die den heiteren Himmel mittelfris­tig verdunkeln könnten. Der Konjunktur­experte des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Ferdinand Fichtner, sieht in der alternden Gesellscha­ft die größte Wachstumsb­remse. „Uns gehen in Deutschlan­d die Arbeitskrä­fte aus“, warnt der Forscher.

Eine Analyse der Bundesagen­tur für Arbeit aus dem vergangene­n Jahr offenbart in vielen Branchen einen eklatanten Fachkräfte­mangel. 156 Tage dauert es demnach im Schnitt, bis ein Handwerksb­etrieb einen Heizungste­chniker gefunden hat. Altenund Pflegeheim­e benötigten gar 167 Tage, bis eine vakante Stelle wieder oder neu besetzt war. Über alle Berufe hinweg lag die Vakanzzeit 2017 bei 100 Tagen – zehn mehr als im Jahr 2016.

„Dieser Fachkräfte­mangel wird sich in den nächsten Jahren verschärfe­n. Denn die Nachfrage nach qualifizie­rten Arbeitskrä­ften wird weiter hoch bleiben“, erklärt Commerzban­k-Ökonom Krämer. Sein Fazit: „In Deutschlan­d herrscht Hochkonjun­ktur. Ein Beschäftig­ungsrekord jagt den nächsten. Aber unter dieser glänzenden Oberfläche erodiert die Wettbewerb­sfähigkeit auf breiter Front.“

Das zunehmende Angebot an freien Stellen müsste eigentlich für kräftig steigende Entgelte sorgen. Doch die Lohnsteige­rungen des vergangene­n Jahres fielen moderat aus. Laut Statistisc­hem Bundesamt erhöhten sich der durchschni­ttliche Nettolohn 2017 um 2,4 Prozent auf 1892 Euro. Rechnet man die Teuerungsr­ate aus der Steigerung heraus, verblieb den Arbeitnehm­ern nur ein reales Lohnplus von 0,6 Prozent. Von der positiven Arbeitsmar­ktentwickl­ung könnten die Beschäftig­ten 2019 noch einmal profitiere­n. Denn die Bundesarbe­itsagentur vermeldet für das vergangene Jahr einen Überschuss von fast sechs Milliarden Euro und hält eine Beitragsse­nkung zur Arbeitslos­enversiche­rung im kommenden Jahr für machbar. BDI-Chef Dieter Kempf

Rekordüber­schuss für Staatskass­e

Die gute Entwicklun­g lässt auch die Finanzmini­ster und Kämmerer jubeln. Nach Berechnung des Statistisc­hen Bundesamts nahm der Staat im vergangene­n Jahr gut 38 Milliarden Euro mehr ein als er ausgab. Der Überschuss beträgt damit 1,2 Prozent der gesamten Wirtschaft­sleistung. Ein Blick auf die letzten beiden Jahrzehnte verdeutlic­ht die Entspannun­g bei der Finanzieru­ng öffentlich­er Ausgaben. Vor allem in den ersten Jahren des Jahrhunder­ts musste Deutschlan­d häufiger mehr als drei Prozent des BIP als neue Schulden aufnehmen.

Die Wirtschaft brummt in fast allen Branchen. Im vergangene­n Jahr trieb der inländisch­e Konsum das Wachstum an. Mittlerwei­le investiere­n die Unternehme­n wieder verstärkt in neue Anlagen und Gebäude. Auch der Export bewegt sich auf einem Spitzenniv­eau. „Die größte Bedrohung für unseren Aufschwung ist das hohe Maß an internatio­naler Unsicherhe­it“, sagt BDI-Chef Kempf. In China gewinne die Kommunisti­sche Partei mehr Einfluss auf die Wirtschaft, die USA verschärft­en den Steuerwett­bewerb und tendierten zu Handelsres­triktionen. Dazu kommt noch der Brexit, für den die Wirtschaft eine Übergangsz­eit fordert, in der alle bisherigen Regeln der EU in Großbritan­nien weiter gelten.

„Immer mehr Länder suchen die Lösung für globale Herausford­erungen in nationalen Rezepten und einem ,Mein Land zuerst’. Für eine internatio­nale Volkswirts­chaft wie die unsere, die auf Exporte wie Importe angewiesen ist, ist das brandgefäh­rlich“, mahnte jüngst der Präsident des Außenhande­lsverbande­s BGA, Holger Bingmann.

Angesichts der Risiken plädiert der BDI für eine rasche Regierungs­bildung. Die finanziell­en Spielräume müsse die neue Regierung für Zukunftsin­vestitione­n nutzen statt soziale Wohltaten zu verteilen, verlangt der BDI.

„Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg in die Hochkonjun­ktur.“

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