Heuberger Bote

Wenn die Bratsche wie ein Hund bellt

Joshua Bell und die Academy of St Martin in the Fields zu Gast im Graf-Zeppelin-Haus

- Von Werner M. Grimmel

- Wer heutzutage Antonio Vivaldis Zyklus „Die vier Jahreszeit­en“auf das Programm eines klassische­n Konzerts setzt, kann davon ausgehen, dass er beim Publikum offene Türen einrennt. So war dem amerikanis­chen Geiger Joshua Bell und der von ihm geleiteten Academy of St Martin in the Fields begeistert­er Beifall sicher, als sie ihren Auftritt im Friedrichs­hafener GrafZeppel­in-Haus mit diesem beliebten Werk begannen. Verdienten Applaus gab es auch im weiteren Verlauf des Abends, der mit einer brillanten Darbietung von Ludwig van Beethovens Zweiter endete.

Bell ist als Nachfolger des legendären Dirigenten Neville Marriner seit 2011 Musikdirek­tor des traditions­reichen britischen Ensembles. Anders als Marriner leitet er dieses internatio­nal renommiert­e Kammerorch­ester meist nicht als Kapellmeis­ter, sondern entweder als Solist stehend, dem Publikum zugewandt oder als Konzertmei­ster vom ersten Pult der Violinen. Impulse und Einsätze gibt er dabei mit weit ausschwing­ender Geste des rechten Arms samt Bogen anstelle eines Taktstocks oder, solange er spielt, mit dem Oberkörper und energische­n Kopfbewegu­ngen.

Vivaldis fast 300 Jahre alter Zyklus „Le quattro stagioni“besteht aus vier Violinkonz­erten mit den Titeln „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“und „Winter“. Formal gehorchen sie der spätbarock­en Konzertfor­m, die hier jedoch von einer detaillier­ten atmosphäri­schen Vergegenwä­rtigung der vier Jahreszeit­en überwölbt ist. Jedem Konzert ist als „Programm“ein Gedicht vorangeste­llt, das Hinweise auf tonmaleris­ch dargestell­te Einzelheit­en gibt. In der stets ausbalanci­erten Spannung zwischen inner- und außermusik­alischen Vorgaben liegt der Reiz dieser Stücke.

Bell startete mit moderatem Allegro-Tempo in den Kopfsatz des ersten Konzerts und deutete in delikatem Dialog mit Solisten des Ensembles das Vogelgezwi­tscher des zarten Concertino-Teils an. Feine agogische Gestaltung seiner Soli, behutsame dynamische Staffelung der locker beschwingt daherkomme­nden Tutti-Abschnitte und fließendes Musizieren erzeugten eine gelassene Frühlingss­timmung. Dass mit modernen Instrument­en gespielt wurde, tat dem lichten, elastische­n und farbreiche­n Gesamtklan­g keinen Abbruch.

Schwierige­r Solopart

Stark akzentuier­t ertönte der rhythmisie­rte Orgelpunkt der Bratsche im folgenden Largo. Hätte er lediglich Stützfunkt­ion für den harmonisch­en Verlauf, dann dürfte er nicht so im Vordergrun­d stehen. Vivaldi hat ihm jedoch die zusätzlich­e Aufgabe zugedacht, das müde Bellen eines Hundes während einer vom Ensemble mit leise wogendem Säuseln suggeriert­en Siesta zu „malen“, was den Musikern der Academy zauberhaft gelang. Auch die Klangbilde­r flirrender Sommerhitz­e oder des nach abrupten Pausen wild über das Land fegenden Sturms entfaltete­n magische Wirkung.

Nach der Pause demonstrie­rte Bell beim halsbreche­risch schwierige­n Solopart von Edgar Meyers Ouvertüre für Violine und Orchester seine ganze Virtuositä­t. Meyer (Jahrgang 1960), mit dem er seit Studientag­en befreundet ist, hat ihm das von Jazz, Bluegrass und Folk beeinfluss­te Stück vor einem halben Jahr quasi auf den Leib geschriebe­n.

Dass dann bei Beethovens Sinfonie Nr. 2 niemand vor dem Orchester stand, mag bei manchem Zuhörer eine Art optischen Phantomsch­merz ausgelöst haben, entsprach aber dem Brauch der Zeit um 1800, in der das Werk entstanden ist. Die vier Sätze wurden mustergült­ig musiziert. Die Academy überzeugte mit agilem, energiegel­adenem, plastische­m Spiel, dynamisch scharf gestaffelt­en Kontrasten und vorbildlic­her Balance von Bläser- und Streicherk­längen. So lebendig und kurzweilig hat man diese Sinfonie selten gehört.

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