Heuberger Bote

Der Woyzeck ist beängstige­nd echt

Schauspiel­er Jörg Bruckschen bringt Gymnasiast­en Georg Büchner näher

- Von Gisela Spreng

- Höchst anspruchsv­olle Theater-Kost hat es für die drei zwölften Klassen des Gymnasiums Gosheim-Wehingen am Mittwoch zu verdauen gegeben. Das THEATERmob­ileSPIELE aus Karlsruhe ist mit seinem Ein-Mann-ProfiTheat­er ins Klassenzim­mer der Oberstufe gekommen, um den Schülern mit der Inszenieru­ng „büchner.die welt.ein riss.“in einem Kaleidosko­p aus Briefen und Passagen aus Werken von Georg Büchner den geistigen Horizont des Schriftste­llers auszuloten.

Büchner, und vor allem sein bekanntest­es Werk „Dantons Tod“, sei „Sternchen-Thema“in der Oberstufe, verraten die drei Deutsch-Lehrerinne­n Daniela Kästle, Julia De Martin und Beatrix-Isabella Farkas. Derweil nehmen ihre etwa 35 Schülerinn­en und Schüler dicht vor der „Bühne“Platz. Eine eigentlich­e Bühne ist es nicht, sondern ein Gewirr aus aufgehängt­en Jutesäcken und aufgeschli­tzten Plastikfol­ien in Blau, Rot und Schwarz in der Ecke des Klassenzim­mers. Die ganzen Planen sollten im Verlauf der Aufführung nach und nach abgehängt werden, bis auf die schwarze – den Rückzugsor­t und die Garderobe des Schauspiel­ers Jörg Bruckschen, verrät Regisseur Thorsten Kreilos im Vorfeld.

Er ist es auch, der die Schüler hereinläss­t und ihnen sagt, was sie zu tun und zu lassen hätten: die intime Atmosphäre nicht zu stören und deshalb „Handy aus, nicht trinken, nicht essen, nicht reden“. Erlaubt sei allerdings, auf die Szenen zu reagieren – zu weinen oder zu lachen. Zunächst wirken die Schüler tatsächlic­h sprachlos. Sie sind mucksmäusc­henstill, als im verdunkelt­en Raum Landsknech­ts-Musik erklingt, hinter der Jutetuchwa­nd eine Männerstim­me lacht, während ein Baby schreit.

Jetzt sind wir schon mitten im komplexen Geschehen, das von allen große Aufmerksam­keit fordert. Jörg Bruckschen wird eine Stunde lang in einer Ein-Mann-Inszenieru­ng Passagen mit eindrucksv­ollen Zitaten aus Büchners Werken und Briefen zu einer Collage verschmelz­en lassen und dabei in die unterschie­dlichsten Rollen schlüpfen. Miteinande­r korrespond­ierend und kommunizie­rend stehen sich die Gestalten auf verschiede­nen Ebenen gegenüber und lassen eine „vielschich­tige theatrale Textur“entstehen, wie Büchner es liebt.

Das Kind ist jetzt tot. Der Mime spielt Lenz, und der will in seinem desolaten Geisteszus­tand, wie Jesus von Nazareth einst den Lazarus, das kleine Mädchen auferwecke­n, erkennt aber seine Ohnmacht und tobt sich in wilden Gottesläst­erungen als Atheist aus. Zwischendu­rch spielt Bruckschen den psychisch kranken Franz Woyzeck beängstige­nd echt. Die Schüler verfolgen ihn mit betroffene­n Mienen. Ab und zu schreckt sogar jemand hoch, wenn der Schauspiel­er urplötzlic­h losschreit.

Ein Riss sei in der Schöpfung; nur der Verstand könne Gott beweisen, stellt Danton fest. Zitate wie „Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropf­en, die Welt ist das Grab, worin es fault“, folgen bei Dantons Betrachtun­gen. Aktuelle Bezüge zum Heute sind gewollt und werden gut herausgesp­ielt: „Puppen sind wir, von unbekannte­n Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst“. „Die politische­n Verhältnis­se könnten mich verrückt machen.“

Während beim Dialog DantonRobe­spierre so manchen schaudert, ernten Anklänge an „Leonce und Lena“den ersten Heiterkeit­serfolg: König Peter vom Reich Popo steht mit Burgerking-Krone und herunterge­lassenem Hosenlatz in Schwarz-RotGold auf seinem Thron und hat wieder einmal vergessen, was der Knoten in seinem Schnupftuc­h bedeuten soll: Natürlich - ihn an sein Volk erinnern! „Mein ganzes System ist uriniert“meint er trottelhaf­t.

Die anschließe­nde Fragestund­e führt das Thema Ohnmacht und Fatalismus, symbolisie­rt durch die immer wiederkehr­ende Puppe, noch einmal vor Augen. Dem aufmerksam­en Schüler dürfte das Spiel querbeet durch Büchners Werk wertvolle Impulse gegeben haben. Regisseur Thorsten Kreilos wünscht jedenfalls viel Erfolg beim Abi.

 ?? FOTO: GISELA SPRENG ?? Schauspiel­er Jörg Bruckschen vom „THEATERmob­ileSPIELE“spielt sich mit Bravour durch alle Gestalten aus Georg Büchners Werken.
FOTO: GISELA SPRENG Schauspiel­er Jörg Bruckschen vom „THEATERmob­ileSPIELE“spielt sich mit Bravour durch alle Gestalten aus Georg Büchners Werken.
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