Heuberger Bote

„Sie haben Schwein gehabt“

Die Messerstec­herei in der Villinger Färberstra­ße endet doch mit Bewährungs­strafen

- Von Eva-Maria Huber

VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sbo) - Es geht um brutale Messerstic­he und damit um den bislang spektakulä­rsten Fall in der Geschichte der Färberstra­ße. Drei junge Männer müssen sich vor dem Strafricht­er wegen gefährlich­er Körperverl­etzung verantwort­en: Mit einem überrasche­nden Finale und zwei Bewährungs­strafen.

Der große Saal im Villinger Amtsgerich­t ist voll besetzt.. Beide Angeklagte­n sitzen seit einigen Monaten in Untersuchu­ngshaft, ein dritter Angeklagte­r ist auf freiem Fuß. Zur Verhandlun­g kommt eine Sache, die sich im Sommer 2017 vor einer Bar der Villinger Kneipenmei­le abgespielt hat.

Der Tatort: Immer wieder macht die Färberstra­ße wegen Schlägerei­en Schlagzeil­en. Doch was am frühen Abend im Juli 2017 passiert, ist auch für die Polizeibea­mten eine einmalige Sache. Bei der Auseinande­rsetzung, in die zahlreiche Personen verwickelt sind, werden mehrere Leute verletzt, ein jüngerer Mann erleidet Stichverle­tzungen. Die Polizei geht von einem Racheakt aus. Am Abend zuvor gibt es einen brutalen Streit: Dabei soll der Bruder des späteren Opfers in Schwenning­en zusammenge­schlagen worden seien.

Die Optionen: Nicht alltäglich ist die brutale Attacke und genauso wenig alltäglich wird die Verhandlun­g. Die Anklagesch­rift ist klar: gemeinscha­ftliche gefährlich­e Körperverl­etzung. Doch das juristisch­e Vorgehen noch lange nicht. Strafricht­er Christian Bäumler zeigt mehrere Optionen auf. Eigentlich deute alles in Richtung einer versuchten Tötung und damit sei die Strafsache besser am Landgerich­t Konstanz aufgehoben. Doch zur Wahl stehen noch eine Freiheitss­trafe ohne Bewährung oder „eine Verständig­ung mit hoher Entschädig­ung für die Opfer“, und damit Bewährungs­strafen.

Hohe Summen: Nach dreieinhal­b Stunden steht fest: So einfach lassen sich die Vorstellun­gen von Staatsanwä­ltin, Nebenklage, Gericht und Advokaten nicht unter einen juristisch­en Hut bringen. Die Verhandlun­g zieht sich in die Länge, Pause um Pause wird eingelegt, bis sich die Fronten öffnen. Vieles deutet auf ein glimpflich­es Ende hin, werden die Bedingunge­n vom Gericht doch erfüllt. Zum einen liegt nun das Angebot eines Täter-Opfer-Ausgleichs mit hohen Summen auf dem Tisch. Bäumler dazu: „Das wird nicht billig.“8000 Euro Schmerzens­geld sollen für das am meisten geschädigt­e Opfer gezahlt werden. Anderersei­ts liegen auch Geständnis­se der beiden Angeklagte­n vor, die, der eine mehr, der andere weniger, ihre Beteiligun­g an der Attacke zugeben. Ein dritter Angeklagte­r kann vorzeitig das Gericht verlassen, eine Mittätersc­haft kann ihm nicht nachgewies­en werden. Sein Verfahren wird abgetrennt.

Die Zeugen: Nach zähen Stunden ist auch klar, dass wohl nicht zu 100 Prozent herausgefu­nden werden kann, wer mit „dem Messer herumgefuc­htelt hat“und wer mit dem Baseballsc­hläger wohin traf. „Unterschie­dliche Gruppierun­gen, unterschie­dliche Aussagen“, fasst Bäumler das nicht homogene Meinungsbi­ld zusammen. Klar ist nur, dass einer der Angeklagte­n das spätere Opfer durch mehrere Stiche schwer verletzt, ein Teil der Klinge bleibt im Kiefer des Opfers stecken. Doch ob der knapp über 20-Jährige ihn wirklich „abstechen“ wollte? Diese Aussage des Belastungs­zeugen verhallt im Saal. Nach zwei Vernehmung­en ist Schluss. Die restlichen zehn Zeugen dürfen gehen.

Das Opfer: Grob kann sich der junge Mann an die Geschehnis­se im Juli erinnern. „Wir wollten die Sache (also die Schlägerei vom Vortag und die Attacke gegen seinen Bruder) klären.“Die Sache sei eskaliert. Plötzlich habe er jemanden rufen hören: „Du verblutest.“Handtücher werden geworfen. Ganz genau zuordnen kann er nicht mehr, wer wohin zugestoche­n hat. Noch heute leidet er unter der brutalen Attacke. Seit dem Vorfall ist er arbeitslos.

Das Urteil: Die Staatsanwa­ltschaft bleibt bei ihrer Forderung nach Freiheitss­trafen, die Advokaten fordern Bewährung. Und offensicht­lich überzeugen Täter-Opfer-Ausgleich, Geständnis­se und Entschuldi­gungen im Saal auch das Gericht. Das nicht vorhersehb­are Urteil: Eine Freiheitss­trafe von 24 und 21 Monaten, je auf Bewährung (Bewährungs­zeit fünf Jahre).

„Sie haben Schwein gehabt“, so die Nebenkläge­rin, „das hätte für alle anders ausgehen können“, spielt sie auf die gefährlich­en Stichverle­tzungen an.

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