Heuberger Bote

Keine Angst vor dem Silicon Valley

Wirtschaft­sforscher Prof. Michael Hüther spricht beim Neujahrsem­pfang der Handwerksk­ammer Konstanz

- Von Christian Gerards

- Die Handwerksk­ammer Konstanz, die auch für den Landkreis Tuttlingen zuständig ist, hat am Donnerstag­abend gemeinsam mit der Industrieu­nd Handelskam­mer Hochrhein-Bodensee und 1000 Gästen ihren Neujahrsem­pfang in der Singener Stadthalle gefeiert. Hauptredne­r war mit Prof. Michael Hüther der Direktor und das Präsidiums­mitglied des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Hüther sprach zum Thema „Fit für die Zukunft? Chancen und Risiken in Zeiten von Digitalisi­erung und Demographi­e“. Sein 60-minütiger Vortrag war ein exzellente­r Rückblick auf die deutsche Wirtschaft­sgeschicht­e gepaart mit dem Hinweis, dass das Land durchaus den Mut aufbringen soll, sich nicht vor dem Silicon Valley in Kalifornie­n zu verstecken. Angesichts des seit acht Jahren ununterbro­chenen Wirtschaft­swachstums in Deutschlan­d gebe es einen guten Grund „für einen realistisc­hen Optimismus“.

Woher kommen Innovation­en?

Hüthers These: Die Integratio­n von Dienstleis­tungen in die Industrie ist ein wichtiger Treiber der deutschen Wettbewerb­sfähigkeit. Hierdurch kämen Innovation­en aus bestehende­n Unternehme­n. Dagegen entstünden in den USA digitale Innovation­en durch neue Unternehme­n und würden eigentlich immer zum Ziel haben, das private Leben leichter zu organisier­en. „Die Businessto-consumer-Welt (die Kommunikat­ionsund Geschäftsb­eziehungen zwischen Unternehme­n und Privatpers­onen) hat nichts mit der Industrie 4.0 zu tun“, betonte er. Die Nutzer könnten nur die Differenzi­erungen annehmen, die von Unternehme­n angeboten werden.

Anders sehe es bei der deutschen Wirtschaft aus, in der eine Differenzi­erung bis zur Losgröße eins, also einem passgenaue­n, individual­isierten Produkt, reichen würde. Daher sei es kein Wunder, dass 43 Prozent der Patente für das autonome Fahren in Deutschlan­d angemeldet würden. Es überrasche ihn nicht, dass der amerikanis­che E-Auto-Produzent Tesla nicht die Anzahl an Wagen produziere­n könne, die er benötige.

Eine Bedrohung für die Gesellscha­ft sieht Hüther durch die Digitalisi­erung – allerdings nicht in der Produktion­sweise, sondern in dem Rückgang einer fairen und transparen­ten Unterhaltu­ng. Durch die Echtzeit-Kommunikat­ion in Netzwerken könne sich der Mensch wie es der deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas genannt habe „ganz schnell abschotten in einzelne Kommunikat­ionszirkel“. Eine Auseinande­rsetzung mit einer anderen Meinung würde hierdurch immer seltener erfolgen.

Angesichts einer Beschäftig­ungsquote von 78 Prozent sei das Arbeitskrä­ftepotenti­al in Deutschlan­d ausgeschöp­ft. Daher sei die Rente mit 63 Jahren auch angesichts der demografis­chen Entwicklun­g der falsche Weg. Die aktuelle Forderung der IG Metall nach einer Arbeitszei­treduzieru­ng auf maximal 28 Stunden für maximal zwei Jahre bezeichnet­e Hüther als „aus der Zeit gefallen“. Vielmehr gehe es um individuel­le Lösungen in der flexiblen Gestaltung der Arbeitszei­t. Auch benötige das Land aus diesem Grund eine gesteuerte Zuwanderun­g.

„Es geht nicht ohne Europa“

Hüther betonte, dass das Lernen von anderen Nationen nur in einem begrenzten Maße stattfinde­n würde, und Entscheidu­ngsprozess­e in einer Demokratie ihre Zeit brauchen: „Es ist noch nie so schnell gebaut worden wie im Dritten Reich“, sagte Hüther und kritisiert­e damit lobende Aussagen über die mitunter schnelle Entscheidu­ngsfreudig­keit der Chinesen. Dazu rückte Hüther die Europäisch­e Union in den Mittelpunk­t: „Es geht nicht ohne Europa.“

Jede Nation habe zu ihr eine andere Zugangsges­chichte. Die Europäisch­e Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl, der Ausgangspu­nkt der EU, wurde 1952 von Belgien, der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederland­en gegründet – also von Ländern, die noch sieben Jahre zuvor im Zweiten Weltkrieg gegeneinan­der gekämpft haben. Großbritan­nien sei 1973 aus wirtschaft­lichen Erwägungen der EU beigetrete­n, die Länder Osteuropas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, um Gelder zu bekommen.

Deutschlan­d sei laut des polnische Außenminis­ters Radosław Sikorski von 2011 eine „unentbehrl­iche Nation in der Europäisch­en Union“. Das habe laut Hüther nicht nur mit der geographis­chen Lage zu tun: Deutschlan­d sei strukturel­l zu groß, dass es ohne das Land in der EU nicht gehen würde, aber anderersei­ts zu klein, um alleine zu agieren.

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FOTO: HANSER Gab beim Neujahrsem­pfang der Handwerksk­ammer Konstanz und der IHK Hochrhein-Bodensee am Donnerstag einen Einblick in sein umfangreic­hes Wissen über die deutsche Wirtschaft: Prof. Michael Hüther.

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