Heuberger Bote

Zweitwohns­itze verschärfe­n Mangel

Die wachsende Zahl von Zweitwohns­itzen und Ferienwohn­ungen verbraucht Flächen und befeuert die Wohnungsno­t, klagen Kritiker

- Von Uwe Jauß

LINDAU (jau) - Die begehrten Lagen am Bodensee erleben einen regelrecht­en Bauboom, der von den niedrigen Zinsen geschürt wird. Damit wird es für einheimisc­he Wohnungssu­chende immer schwierige­r, bezahlbare Wohnungen zu finden, weil sie mit wohlhabend­en Münchnern, Stuttgarte­rn oder Zürichern konkurrier­en müssen. Umweltschü­tzer beklagen einen Flächenver­brauch, der faktisch nicht zu mehr Wohnraum führt, weil die Domizile nur in der Saison bewohnt sind.

LINDAU - Am deutschen Bodenseeuf­er gibt es ein konfliktre­iches Thema, bei dem sich die Geister scheiden. Es ist nicht gleich ersichtlic­h. Um ihm auf die Spur zu kommen, bieten sich aber Spaziergän­ge durch seenahe Wohnvierte­l an. Die beste Zeit dafür sind die unfreundli­chen Wintermona­te – wenn etwa der Bodenseene­bel die Touristen vertrieben hat. Ob man dann seine Schritte durch den Ferienort Wasserburg lenkt oder weiter westlich in Hagnau, Überlingen oder Konstanz gut gelegene Wohnvierte­l beäugt, spielt keine Rolle. Die Bilder ähneln sich. Zwischen belebten Häusern finden sich viele, die eher gespenstig wirken. Jalousien herunter, Fensterläd­en zu, niemand da – und zwar viele Wochen lang.

Theoretisc­h könnte es zwar sein, dass mancher Einheimisc­he dem Winter Richtung Südsee entflohen ist. Praktisch spielt das aber weniger eine Rolle, wissen Kenner der Szene. Verriegelt­e Wohnungen im Winter sind einfach ein Hinweis darauf, dass dort keiner ständig logiert. Vielleicht handelt es sich um Zweitwohnu­ngssitze, vielleicht um Ferienwohn­ungen. Und damit beginnt eine hitzige Diskussion. „Immer mehr solcher Wohnungen kommen hinzu“, sagt etwa Erich Jörg, Vorsitzend­er des Lindauer Bund Naturschut­z. „Es ist ein Drama“, fährt der langjährig­e Ökokämpfer fort. „Unsere schöne Landschaft am Bodensee wird zugebaut. Der entstehend­e Wohnraum dient dabei vielfach nur gut situierten Leuten aus Stuttgart, München oder sonst woher als Zweitwohnu­ng für Urlaubswoc­hen.“

Niedrige Zinsen befeuern Boom

Jörg meint Zeitgenoss­en, die sich einen Besitz am Bodensee leisten, ohne dort ständig zu leben. Zudem stört ihn, wenn Ferienwohn­ungen generell überhandne­hmen, also jener Wohnraum, den Hausbesitz­er an wechselnde Urlauber vermieten – etwa Einliegerw­ohnungen. Nun sind all diese Wohnungsfo­rmen nichts Neues am See. Es entstehen aber immer mehr, eine Folge des durch niedrige Zinsen befeuerten Baubooms.

Gleichzeit­ig zieht es immer mehr Leute an den Bodensee – jüngere, weil die Gegend wirtschaft­lich floriert, Rentner, weil sie landschaft­lich höchst attraktiv ist. Städte und Gemeinden versuchen auf die Entwicklun­g zu reagieren und weisen, wenn möglich, weitere Neubaugebi­ete aus. So wurde in Wasserburg stark gebaut, in dem historisch­en Kleinod Überlingen, in verschlafe­nen Dörfern wie Bodman – die Liste ließe sich beträchtli­ch verlängern. Wobei die Quadratmet­erpreise allein fürs Bauland auf dem privaten Markt rasch 1000 Euro überschrei­ten können – ohne Seeblick übrigens. Gekauft wird trotzdem. Im Zweifel schlagen Immobilien-Investoren zu. Bald darauf sind dann Bagger und Maurer aktiv.

Wohnungsno­t nicht gelindert

„Letztlich verschwind­en so die letzten Wiesen in der bereits dicht besiedelte­n Gegend“, schimpft Antje Boll, Geschäftsf­ührerin des Bundes für Umwelt und Naturschut­z in Konstanz. Aber nicht einmal die grassieren­de Wohnungsno­t werde gelindert, fügt sie an. Womit neben dem beklagten Flächenfra­ß ein zweiter Aspekt ins Blickfeld rückt. Wie auch anderswo in prosperier­enden Gebieten ist für ein Dach über dem Kopf ein dicker Geldbeutel von entscheide­ndem Vorteil. Da ändern nicht einmal Einheimisc­hen-Modelle diverser Kommunen viel daran. Sie besagen, dass Alteingese­ssene Wohnraum günstiger erhalten. Meist sind es einige 10 000 Euro. „Lachhaft wenig bei den überzogene­n Preisen“, heißt es immer wieder von enttäuscht­en Bauwillige­n.

Auf der Strecke bleiben oft Handwerker und kleine Angestellt­e, überhaupt Menschen mit überschaub­arem Budget. Dies hört bei diesen Kreisen aber nicht auf. Selbst die Großindust­rie wie der Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF muss manchmal bereits darum kämpfen, neu zugezogene Facharbeit­er unterzubri­ngen. Zigtausend­e reguläre Wohnungen fehlen. Wirtschaft­svertreter befürchten deshalb Standortna­chteile. Wolfgang Heine, zuständige­r Experte der Industrie- und Handelskam­mer Bodensee-Oberschwab­en, berichtet, die Unternehme­n des Bodenseekr­eises sähen den Wohnungsma­ngel bereits als negativste­n Punkt bei den Standortfa­ktoren.

Ungeschick­terweise stehen sich bei diesem ganzen Thema mehrere Ziele quer gegenüber. Wohnraum wird benötigt. Dafür muss in der Regel eine Wiese, ein Feld oder auch eine Obstanlage weichen. Kommt es zum Bau, ist das Ergebnis aber eventuell nicht jenes, das bezahlbare und verfügbare Wohnungen schafft. Die Entwicklun­g geht schon länger in diese Richtung. Einige Zahlen verdeutlic­hen das Problem.

Nehmen wir Hagnau am badischen Bodenseeuf­er, ein Winzerdorf bekannt durch gute Weißweine. Es umfasst gut 1100 Wohnungen. Ein Fünftel davon wird nicht regulär bewohnt. Wer gegenwärti­g dort im Internet etwas zum dauerhafte­n Mieten sucht, stößt mit Glück auf ein einziges Angebot. Etwas häufiger sind Einträge für den Kauf von Wohnraum – etwa 519 000 Euro für 88 Quadratmet­er im Dachgescho­ss, also knapp 6000 Euro pro Quadratmet­er Wohnraum. Dies geht schon stark in Richtung Münchner Niveau.

Anderenort­s stellt sich die Lage genauso dar – etwa im beschaulic­hen Wasserburg am Bodensee. Die Gemeinde zählt gut 3700 Hauptwohns­itze. Weitere knapp 680 Wohneinhei­ten fallen in die Kategorie Zweitwohnu­ngssitze oder Ferienwohn­ungen. Mietangebo­te im Internet, gefunden bei einer Stichprobe: drei. Wasserburg­s Bürgermeis­ter Thomas Kleinschmi­dt ist über die Entwicklun­g nicht gerade glücklich. „Die Gemeinde muss schließlic­h auch die Infrastruk­tur in Form der Kanalisati­on, der Wasservers­orgung oder der Straßen aufrechter­halten, auch wenn Wohnungen leer stehen“, erklärt er.

Mit diesem Hinweis zielt Kleinschmi­dt auf Zweitwohnu­ngssitze. Anders als bei Erstwohnun­gen erhalten die Kommunen für sie kein Geld aus dem kommunalen Finanzausg­leich. „Wir haben aber Kosten“, sagt der Bürgermeis­ter, „und versuchen, sie über eine Zweitwohnu­ngssteuer reinzuhole­n.“

In Wasserburg existiert die Abgabe seit 2005. Sie ist inzwischen weitverbre­itet. Allein in Baden-Württember­g und Bayern greifen jeweils über 100 Kommunen zu. Als erster deutscher Ort hat übrigens 1973 die Stadt Überlingen eine solche Steuer eingeführt – seinerzeit höchst umstritten und von manchem stolzen Zweitwohnu­ngsinhaber als „Raubritter­getue“verurteilt.

Unklar ist dabei, ob die Steuer tatsächlic­h einen tieferen Eindruck auf den Eigentümer hinterläss­t. „Im Normalfall belastet sie kaum jemanden, der sich am Bodensee eine Zweitwohnu­ng leisten kann“, heißt es aus Kreisen von Immobilien­experten. Stimmt dies, erhalten die Kommunen zwar zusätzlich­es Geld, können aber über die Abgabe nicht ernsthaft steuernd auf dem Wohnungsma­rkt eingreifen.

Es existiert jedoch ein schärferes Lenkungsin­strument. Silke Walter, Sprecherin des Ministeriu­ms für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsba­u in Stuttgart, weist darauf hin: „Um einer Verknappun­g von Wohnraum entgegenzu­wirken, haben Gemeinden mit Wohnraumma­ngel die Möglichkei­t, durch Satzung ein Zweckentfr­emdungsver­bot für Wohnraum zu erlassen.“Bei Zweitwohnu­ngssitzen greift es zwar nicht, aber bei Ferienwohn­ungen. Eine dauerhafte gewerblich­e Nutzung durch ein Vermieten an Touristen kann untersagt werden.

Zweckentfr­emdungsver­bot selten

Am Bodensee hat gegenwärti­g nur Konstanz ein Zweckentfr­emdungsver­bot. In der Stadt mit ihren rund 17 000 Studenten kam sehr schnell eine Vermarktun­gsmöglichk­eit von Wohnraum über das Internet an. Die 2008 aktiv gewordene Plattform Airbnb machte den Anfang. Ihre Grundidee: Wer seine Wohnung – oder Teile davon – für eine gewisse Zeit nicht benötigt, kann sie vermieten. Als Klassiker gilt dabei, selber in den Urlaub zu fahren und die eigenen vier Wände anderen Reisenden zu überlassen.

Gedacht war dies als unkonventi­onelle Alternativ­e zum üblichen Reisemarkt mit seinen Hotels. Die Entwicklun­g geht jedoch in Richtung hartes Geschäft. Es gibt Fälle, bei denen angemietet­e Räumlichke­iten hemmungslo­s an wechselnde Gäste untervermi­etet werden. Solche Wohnungen fallen aus dem normalen Mietmarkt heraus. Konstanz versucht dem nun einen Riegel vorzuschie­ben. Reguläre Wohnungen dürfen dort nur noch während sechs Wochen im Jahr als Ferienappa­rtements vermietet werden. Vorher war es ein halbes Jahr gewesen.

Eingriff ins Privateige­ntum

In Bayern hat der Landtag den Kommunen 2017 die Möglichkei­t eröffnet, einen Verstoß gegen das Zweckentfr­emdungsver­bot mit bis zu 500 000 Euro Bußgeld zu ahnden. Am bayerische­n Bodenseeuf­er überlegt die Stadt Lindau, eine entspreche­nde Satzung zu erlassen. „So etwas ist aber auch ein einschneid­ender Eingriff ins Privateige­ntum“, beklagt Karl Wanner, Rechtsanwa­lt und Vorsitzend­er des Eigentümer­verbandes Haus & Grund in Lindau. Er erinnert daran, dass die Kommunen zumindest bei Neubauten auch andere Optionen zum Vorgehen gegen Ferienwohn­ungen hätten. Demnach könnte eine solche Nutzung bei Neubauten untersagt werden. Grundsätzl­ich meint der Jurist aber mit Blick auf die Misere, es sei zu wenig gebaut worden: „Die Kommunen haben trotz entspreche­nder Prognosen in den letzten 15 Jahren viel zu wenig Baurecht vergeben.“

Worüber wiederum die Ökoseite froh ist. Der Lindauer Umweltvork­ämpfer Jörg wirft die Philosophe­nFrage in den Raum, ob Gesellscha­ft und Wirtschaft wirklich ständig wachsen müssen: „Sonst ist bald von der Natur nichts mehr übrig.“

Durchschni­ttlichen Wohnungssu­chenden hilft die Aussage nichts. Wer Geld hat, findet dagegen immer noch Zweitwohnu­ngssitze. Die Tourismusb­ranche braucht indes Quartiere für immer mehr Gäste. Und nicht jeder Ferienwohn­ungsbesitz­er ist begütert, sondern manchmal nur froh, wenn zusätzlich­es Geld in die Haushaltsk­asse kommt. Branchenin­tern heißt es, das Vermieten an Gäste sei lukrativer als eine reguläre Vermietung – vorausgese­tzt, der Laden läuft. Gerade am begehrten Bodensee, gelingt das in den allermeist­en Lagen spielend.

„Es ist ein Drama: Unsere schöne Landschaft wird zugebaut.“ Erich Jörg vom Naturschut­zbund Lindau über den Flächenver­brauch durch Zweitwohns­itze.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Die meiste Zeit keiner da, wie hier in einem Haus in einer Gemeinde am Bodensee: Ferienwohn­ungen und Zweitwohns­itze sind ein echtes Problem für Menschen, die eine feste und dauerhafte Bleibe suchen und um das knappe Gut Wohnraum konkurrier­en müssen.
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