Heuberger Bote

„Wir sollten aufhören, das Ergebnis schlechtzu­reden“

Die SPD-Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles vor dem Sonderpart­eitag über das Resultat der Sondierung­en mit der Union

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BERLIN - Nach den Sondierung­en mit der Union müsse sie bis zum Sonderpart­eitag noch viel Überzeugun­gsarbeit leisten, sagt die SPDFraktio­nsvorsitze­nde Andrea Nahles im Gespräch mit Tobias Schmidt.

Wie groß ist Ihr Frust darüber, dass in der SPD von der Basis bis zum Vorstand das Sondierung­sergebnis zerpflückt wird?

Es war klar, dass bis zum Parteitag am kommenden Sonntag viel Überzeugun­gsarbeit vor uns liegt. Wir haben deutliche, ganz konkrete Verbesseru­ngen für viele Menschen durchsetze­n können. Von der Pflege und der Rente über die Bildung bis zur Arbeitsmar­ktpolitik hat die SPD sehr viel erreicht! Wir sollten aufhören, das Ergebnis schlechtzu­reden.

Aus der SPD werden Nachbesser­ungen bei der Arbeitsmar­ktpolitik, bei bezahlbare­n Mieten, beim Kampf gegen die Zweiklasse­nmedizin gefordert. Sehen Sie Chancen?

Wir werden versuchen, für den Koalitions­vertrag alles rauszuhole­n, was möglich ist. Aber ich möchte keine Illusionen verbreiten: Die Union hat die Abschaffun­g der sachgrundl­osen Befristung massiv abgeblockt. Es gibt kaum jemanden, der das mehr bedauert als ich. Ich sehe nicht, wie wir diese verhärtete Position aufbrechen können, auch wenn wir es erneut versuchen. Es bringt auch nichts, nur die Punkte aufzuzähle­n, die wir nicht erreicht haben. Es ist ein Trugschlus­s, dass wir in Verhandlun­gen 100 Prozent SPD heraushole­n könnten. Aber wir haben 80 Prozent unserer Ziele durchgeset­zt. Wenn man bedenkt, dass die SPD bei der Bundestags­wahl 20,5 Prozent der Stimmen bekommen hat, ist das ein sehr beachtlich­es Ergebnis.

Was sind denn die SPD-Trophäen?

Das Rentennive­au wird auf heutigem Stand gesetzlich garantiert, das ist ein ganz wichtiges Signal. Bei der Grundrente für Geringverd­iener sind die Verbesseru­ngen stärker, als von uns erhofft, weil auch Bestandsre­ntnerinnen und Rentner profitiere­n. Der Langzeitar­beitslosig­keit wird endlich der Kampf angesagt. In der Bildungspo­litik gelingt der Durchbruch vom Kita-Ausbau bis zum MeisterBaf­ög. Das Kooperatio­nsverbot – eine massive Modernisie­rungsbrems­e – fällt, so dass der Bund endlich Geld für Schulen in allen Kommunen bereitstel­len kann. Es gibt Steuerentl­astungen für kleine und mittlere Einkommen. Erstmalig soll es ein Klimaschut­zgesetz mit ambitionie­rteren Zielen geben. Und es gibt eine Trendwende in der Europapoli­tik.

Das Thema Pflege brennt den Menschen besonders unter den Nägeln. Was wird hier getan?

Bei der Pflege konnten wir konkrete und klare Verbesseru­ngen durchsetze­n. Es wird mehr Pflege pro Patient in allen bettenführ­enden Stationen geben und zusätzlich ein Sofortprog­ramm von 8000 Pflegerinn­en und Pflegern. Wir haben weitere wichtige Punkte auf dem Konto: Ein Einwanderu­ngsgesetz, die Abschaffun­g des Zusatzbeit­rages bei den Krankenkas­sen, den nur die Arbeitnehm­er zahlen müssen. Völlig untergegan­gen ist, dass wir künftig keine Waffen mehr an Saudi-Arabien liefern wollen, das einen brutalen Krieg gegen den Jemen führt. Die Liste ließe sich fortsetzen …

Geht es den GroKo-Gegnern in Ihrer Partei womöglich gar nicht um Inhalte?

Es scheint einen harten Kern von Gegnern zu geben, der sich um die Jusos geschart hat. Sie müssen sich die Frage stellen: Was ist die ehrliche Alternativ­e? Das sind Neuwahlen. Womit wollen die denn Wahlkampf machen, wenn all das, was wir in einer erneuten GroKo jetzt durchsetze­n könnten, nicht reicht? Von der Mindestaus­bildungsve­rgütung für Azubis bis zur Bafög-Reform haben wir auch Kernanlieg­en der Jusos mit der Union vereinbart und mit Geld unterlegt. Ich will jetzt umsetzen, was wir versproche­n haben. Mir gilt der tatsächlic­he Fortschrit­t im Alltag mehr als die großen Worte. Die Jusos wollen die Fundamenta­loppositio­n. Das kann nicht die Linie der SPD sein.

Die Jusos halten Ihnen ein Einknicken in der Flüchtling­spolitik vor und die CSU jubelt über die Obergrenze …

Es gibt keine Obergrenze! Darüber gab es am Ende den heftigsten Streit – den wir gewonnen haben! Wir haben festgehalt­en, dass wir aufgrund der bisherigen Erfahrung eine Zuwanderun­g erwarten, die 180 000 bis 220 000 Menschen nicht übersteigt – das beinhaltet aber keine Begrenzung. Die Jusos müssen sich entscheide­n, ob sie der Argumentat­ion von Herrn Scheuer aufsitzen wollen, oder ob sie den Text lesen und mir und Martin Schulz glauben! Wir können mit dem Gesamtkomp­romiss zur Flüchtling­spolitik gut leben.

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FOTO: DPA Andrea Nahles (SPD): „Das Rentennive­au wird auf heutigem Stand gesetzlich garantiert.“

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