Heuberger Bote

Verfassung­shüter prüfen Streikrech­te für beamtete Lehrer

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Das Bundesverf­assungsger­icht prüft am Mittwoch, ob die bundesweit 650 000 beamteten Lehrer ebenso für höhere Einkommen und bessere Arbeitsbed­ingungen streiken dürfen wie ihre 200 000 angestellt­en Kollegen. Laut Grundgeset­z gilt für Beamte ein generelles Streikverb­ot. In den Ausgangsfä­llen wurden deshalb vier beamtete Lehrer aus verschiede­nen Bundesländ­ern disziplina­risch verfolgt, weil sie sich an Streiks der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft beteiligt hatten.

Das Streikverb­ot ist laut Artikel 33 des Grundgeset­zes ein Kernbestan­dteil der sogenannte­n hergebrach­ten Grundsätze des Berufsbeam­tentums. Doch ob dieser Grundsatz weiterhin Bestand haben kann, wird von immer mehr Juristen bezweifelt. Sie verweisen auf zwei Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) von 2008 und 2009 zum Streikrech­t türkischer Beamter. Darin bezeichnet­en die Straßburge­r Richter die Koalitions­freiheit und damit auch das Streikrech­t mit Verweis auf die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion als ein Menschenre­cht, das den Beschäftig­ten nicht einfach mit Verweis auf einen Beamtensta­tus abgesproch­en werden könne. Einzige Ausnahme seien Beamte, die wie etwa bei Polizei, im Justizvoll­zug, Finanzbeam­te oder Soldaten hoheitlich tätig sind.

Das Bundesverw­altungsger­icht entschied dann 2014, dass das Streikverb­ot zwar grundgeset­zkonform sei, außerhalb der hoheitlich­en Staatsverw­altung aber gegen die Menschenre­chtskonven­tion verstoße. Die Leipziger Richter forderten den Gesetzgebe­r auf, den Widerspruc­h von Menschenre­chtskonven­tion und Grundgeset­zartikel 33 aufzulösen. Dies geschah bislang noch nicht.

Ob die Verfassung­shüter die Rechtsauff­assung des EGMR teilen, ist völlig offen. Einerseits gelten EGMRUrteil­e hierzuland­e nur wie einfaches Recht und wären damit den Vorgaben des Grundgeset­zes wie etwa zum Berufsbeam­tentum untergeord­net. Anderersei­ts handelt es sich bei der Menschenre­chtskonven­tion um einen von der Bundesrepu­blik ratifizier­ten Vertrag. Das in ihrem Artikel 11 geschützte Streikrech­t hat damit einen völkerrech­tlich verbindlic­hen Charakter.

Klagen auf Völkerrech­t prüfen

Um Widersprüc­he zwischen völkerrech­tlichen Vorgaben und innerstaat­lichem Recht möglichst zu vermeiden, forderte Karlsruhe in einem Leiturteil vom Oktober 2004, innerstaat­liches Recht „völkerrech­tskonform“auszulegen. Auch diesen Punkt wird das Verfassung­sgericht auf die Klagen der Lehrer am Mittwoch eigens überprüfen.

Sollten die Verfassung­shüter die Auffassung des EGMR zum Streikrech­t teilen, hätte dies für das Berufsbeam­tentum weitreiche­nde Folgen: Nicht nur beamtete Lehrer, sondern bundesweit alle Beamte, die nicht hoheitlich tätig sind, könnten damit künftig streiken.

Darauf, dass diese neue Freiheit Konsequenz­en an anderer Stelle haben könnte, wies das Bundesverw­altungsger­icht hin. „Die Zuerkennun­g eines Streikrech­ts“könnte Änderungen günstiger Regelungen im Besoldungs­recht nach sich ziehen, heißt es in der Entscheidu­ng. Das ist nachvollzi­ehbar, denn bislang bringt der Beamtensta­tus den Dienstherr­en viele Vorteile: Sie können wegen der Treuepflic­ht und dem Streikverb­ot für ihre Beschäftig­ten über deren Bezahlung und Arbeitszei­ten allein entscheide­n. Fällt dies wegen eines Streikrech­ts für Beamte weg, dürften die Ministerie­n künftig mit spitzem Stift rechnen, innerhalb welcher Finanzgren­zen sich der Beamtensta­tus für sie noch lohnt. (AFP)

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