Heuberger Bote

Links gehen, rechts stehen

Vor 125 Jahren ging die erste Rolltreppe der Welt in Betrieb

- Von Christophe­r Beschnitt

MÜNCHEN (KNA) - Rolltreppe­n gibt’s auch dort, wo man sie nicht vermutet: Im kalifornis­chen San Diego steht ein Fitnessstu­dio, das seinen Besuchern offenbar nicht schon vor der Türe Sport zumuten will – der erhöhte Eingang ist jedenfalls über mobile Stufen erreichbar. Eben diese Technik wird nun 125 Jahre alt: Am 16. Januar 1893 nahm in New York die erste Rolltreppe ihren Betrieb auf. Seither hat die Rolltreppe einen weltweiten Siegeszug erlebt.

Der Amerikaner Jesse Wilford Reno ließ sich 1892 einen „Endless Conveyer or Elevator“patentiere­n, also eine Art „unendliche­s Transportb­and“mit einer umlaufende­n Plattform statt Stufen, wie Andrea Mihm schreibt, die 2005 in Marburg eine Dissertati­on zu dem Thema vorgelegt hat. Erstmals eingesetzt wurde diese Fahrrampe dem Fachuntern­ehmen Schindler zufolge dann am New Yorker Bahnhof Cortlandt Station. Nicht jeder sei davon begeistert gewesen: Kritiker hätten geätzt, nun würden Menschen wie „Kisten, Kartons oder Vieh“transporti­ert.

Dennoch gelang der Rolltreppe der Durchbruch. Dazu führte anno 1900 Renos Verkauf von 100 geneigten Laufbänder­n an die New Yorker Hochbahn. Dadurch habe das Konstrukt zunehmend die urbane menschlich­e Wahrnehmun­g geprägt, notiert Andrea Mihm. Zudem fand im selben Jahr auf der Pariser Weltausste­llung eine Gesamtscha­u sämtlicher inzwischen entwickelt­er Rolltreppe­n und Laufbänder statt.

Otto Normalbürg­er musste das Stufenstei­gen ohne Muskelkraf­t jedoch erst lernen. Es gab Hilfestell­ung beim Auf- und Absteigen. Im Londoner Kaufhaus „Harrod’s“reichte das Wachperson­al laut Mihm weiblichen Passagiere­n am Ende jeder Fahrt Riechsalz. Die Fahrt habe einige Damen derart schockiert, dass man sie quasi ins Diesseits habe zurückhole­n müssen.

Der spirituell­e Aspekt dieser Himmels- oder Jakobsleit­er sollte nicht unterschät­zt werden. Passend also, dass auch der größte Wallfahrts­ort der Welt eine Rolltreppe besitzt: die Basilika von Guadalupe in Mexiko-Stadt. Auf dieser können Gläubige an einem Gnadenbild vorbeifahr­en – anders ließe sich der Andrang nicht stemmen.

Woanders dient das Konstrukt als Reklame und Rekrutieru­ngshilfe. So warb die Partei PDS 2002 mit einem Rolltreppe­nbild und dem Spruch „Links gehen, rechts stehen“. Und der einstige „Zeit“-Verleger Gerd Bucerius soll früher Redakteurs­bewerbern bis zur nächsten Rolltreppe hinterherg­eschlichen sein – angeblich wurden sie nur dann eingestell­t, wenn sie darauf nicht standen, sondern Dynamik bewiesen und gingen.

Neben netten Anekdoten bietet die Geschichte der Rolltreppe auch Tragisches. Immer wieder etwa gibt es Unfälle durch eingezogen­e Kleidung. Andrea Mihm verweist zudem auf den Brand einer Rolltreppe in der Londoner U-Bahn-Station Kings Cross 1987 mit 31 Toten. Ein in den Innenteil der Fahrtreppe geratenes Streichhol­z habe dort das explosive Gemisch aus Schmieröl und Staub entzündet, wie es sich in jeder Fahrtreppe automatisc­h ansammle.

Trotz solcher Gefahren nutzen heute täglich Hunderte Millionen Menschen Rolltreppe­n. Auch in Sankt Petersburg, wo die mit 137 Metern längste durchgängi­ge Rolltreppe der Erde steht.

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FOTO: DPA 80 Meter lang und gewölbt: Rolltreppe in der Elbphilhar­monie.

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