Links gehen, rechts stehen
Vor 125 Jahren ging die erste Rolltreppe der Welt in Betrieb
MÜNCHEN (KNA) - Rolltreppen gibt’s auch dort, wo man sie nicht vermutet: Im kalifornischen San Diego steht ein Fitnessstudio, das seinen Besuchern offenbar nicht schon vor der Türe Sport zumuten will – der erhöhte Eingang ist jedenfalls über mobile Stufen erreichbar. Eben diese Technik wird nun 125 Jahre alt: Am 16. Januar 1893 nahm in New York die erste Rolltreppe ihren Betrieb auf. Seither hat die Rolltreppe einen weltweiten Siegeszug erlebt.
Der Amerikaner Jesse Wilford Reno ließ sich 1892 einen „Endless Conveyer or Elevator“patentieren, also eine Art „unendliches Transportband“mit einer umlaufenden Plattform statt Stufen, wie Andrea Mihm schreibt, die 2005 in Marburg eine Dissertation zu dem Thema vorgelegt hat. Erstmals eingesetzt wurde diese Fahrrampe dem Fachunternehmen Schindler zufolge dann am New Yorker Bahnhof Cortlandt Station. Nicht jeder sei davon begeistert gewesen: Kritiker hätten geätzt, nun würden Menschen wie „Kisten, Kartons oder Vieh“transportiert.
Dennoch gelang der Rolltreppe der Durchbruch. Dazu führte anno 1900 Renos Verkauf von 100 geneigten Laufbändern an die New Yorker Hochbahn. Dadurch habe das Konstrukt zunehmend die urbane menschliche Wahrnehmung geprägt, notiert Andrea Mihm. Zudem fand im selben Jahr auf der Pariser Weltausstellung eine Gesamtschau sämtlicher inzwischen entwickelter Rolltreppen und Laufbänder statt.
Otto Normalbürger musste das Stufensteigen ohne Muskelkraft jedoch erst lernen. Es gab Hilfestellung beim Auf- und Absteigen. Im Londoner Kaufhaus „Harrod’s“reichte das Wachpersonal laut Mihm weiblichen Passagieren am Ende jeder Fahrt Riechsalz. Die Fahrt habe einige Damen derart schockiert, dass man sie quasi ins Diesseits habe zurückholen müssen.
Der spirituelle Aspekt dieser Himmels- oder Jakobsleiter sollte nicht unterschätzt werden. Passend also, dass auch der größte Wallfahrtsort der Welt eine Rolltreppe besitzt: die Basilika von Guadalupe in Mexiko-Stadt. Auf dieser können Gläubige an einem Gnadenbild vorbeifahren – anders ließe sich der Andrang nicht stemmen.
Woanders dient das Konstrukt als Reklame und Rekrutierungshilfe. So warb die Partei PDS 2002 mit einem Rolltreppenbild und dem Spruch „Links gehen, rechts stehen“. Und der einstige „Zeit“-Verleger Gerd Bucerius soll früher Redakteursbewerbern bis zur nächsten Rolltreppe hinterhergeschlichen sein – angeblich wurden sie nur dann eingestellt, wenn sie darauf nicht standen, sondern Dynamik bewiesen und gingen.
Neben netten Anekdoten bietet die Geschichte der Rolltreppe auch Tragisches. Immer wieder etwa gibt es Unfälle durch eingezogene Kleidung. Andrea Mihm verweist zudem auf den Brand einer Rolltreppe in der Londoner U-Bahn-Station Kings Cross 1987 mit 31 Toten. Ein in den Innenteil der Fahrtreppe geratenes Streichholz habe dort das explosive Gemisch aus Schmieröl und Staub entzündet, wie es sich in jeder Fahrtreppe automatisch ansammle.
Trotz solcher Gefahren nutzen heute täglich Hunderte Millionen Menschen Rolltreppen. Auch in Sankt Petersburg, wo die mit 137 Metern längste durchgängige Rolltreppe der Erde steht.