Familienzoff endet fast tödlich
Familienzwist eskaliert – Anklage wegen versuchten Totschlags vor Gericht
Vor Gericht widersprechen sich Zeugen über Auslöser einer Attacke.
ROTTWEIL/SPAICHINGEN - Ein Streit unter Nachbarn mit schlimmen Folgen: Am Mittwoch war Auftakt eines Prozesses vor dem Rottweiler Schwurgericht unter Leitung des Vorsitzenden Richters am Landgericht, Karlheinz Münzer, gegen einen 28-Jährigen Familienvater wegen versuchten Totschlags. Zum Vorfall im Juli vergangenen Jahres im Spaichinger Flüchtlingsheim wurden der Angeklagte, das Opfer – ein Landsmann – die Ehefrauen und weitere Zeugen gehört.
Dass er im Streit vor Wut mit einer Grillgabel mit sieben Zentimeter langen Zinken auf den Kopf seines ehemaligen Freundes eingestochen hat, gab der Mann zu. Doch er sei außer sich gewesen wegen Alkohols und weil er gesehen habe, dass im Verlauf einer Auseinandersetzung sein 51-jähriger Kontrahent seine Frau mit der Faust geschlagen habe.
Dieser widersprach später bei seiner Vernehmung klar: Er habe die Frau nicht geschlagen, doch habe es wegen deren heftiger Beleidigungen schon öfter Ärger zwischen den Familien gegeben.
Die Staatsanwältin verlas in der Anklage, dass das Opfer mehrere Wunden davon getragen habe und vor allem eine, bei der eine Arterie verletzt worden war, akut lebensbedrohlich gewesen sei. Ohne Bluttransfusion wäre der Mann gestorben.
Der 28-Jährige berichtete mit Hilfe von Übersetzern seine eigene Geschichte: Er sei, nachdem sein Vater – ein Kommandeur auf Seiten des Taliban-Gegners Masud – von Taliban in Afghanistan umgebracht worden sei, zusammen mit seiner Mutter und den Schwestern zunächst in den Iran geflohen. Von dort sei er - später mit seiner ebenfalls afghanischen Frau drei Mal zurück abgeschoben worden. Nachdem er bei Kabul erneut von Taliban mit dem Tod bedroht worden sei, sei er mit seiner Frau und zwei Kindern nach Deutschland geflohen.
In der ersten Sammelunterkunft habe man sich kennen gelernt, schilderte der Angegriffene später die Beziehung der Familien. Dann habe man nebeneinander in Spaichingen im Heim gelebt.
Alkohol im Spiel
Der Alkohol muss eine ziemliche Rolle gespielt haben. Er habe, so der Angeklagte, an jenem Nachmittag sechs Bier getrunken. Auf dem Marktplatz in Spaichingen habe er dann von seinem sechsjährigen Sohn erfahren, dieser sei nach einem Streit mit der Tochter des Opfers von diesem geschlagen worden. Außerdem sei seine Frau beschimpft worden.
Sein Freund aber habe ihm aber gesagt, die Frau habe im Gegenteil ihn beschimpft und er habe den Sohn nicht geschlagen. Daraufhin habe er sich entschuldigt und die Sache sei erledigt gewesen. Dann sei der Konsum einer Flasche Wodka zusammen mit zwei weiteren Freunden gefolgt.
Als ihm seine Frau zuhause aber versichert habe, dass der später Angegriffene sie beleidigt habe, habe er ihn in seinem Zimmer zur Rede stellen wollen und sei unvermittelt angegriffen worden. Aber erst als er – die heftige Schlägerei war eigentlich zuende - gesehen habe, dass seine Frau vom späteren Opfer geschlagen werde, habe er die Kontrolle verloren, sei in sein Zimmer gerannt, habe die Gabel gegriffen und auf das Opfer eingestochen. „Ich wollte ihn nicht töten, ich war nicht bei mir.“
Das Opfer schilderte die Schlägerei genau anders herum: Nicht er habe angegriffen, sondern der 28-Jährige.
Zwischenzeitlich wurde der Securitymitarbeiter geholt und in dessen Beisein folgte der fast tödliche Angriff. Dieser sei sehr gezielt gewesen, schilderte der Mitarbeiter die Situation.
Der Angegriffene suchte Schutz im nahen Polizeirevier. Der diensthabende Polizeibeamte sagte aus: „Es war alles voller Blut“, doch zunächst habe der Notarzt keine akute Lebensgefahr festgestellt. In dem Durcheinander sei später versäumt worden, eine Blutprobe des inzwischen verhafteten Angreifers zu nehmen, doch der Atemalkoholgehalt habe bei 0,96 Promille gelegen.
In ihrer Aussage betonte die 25jährige Frau des Angeklagten: Ihr Sohn habe weder die Tochter des 51Jährigen geschlagen, noch habe daraufhin der 51-Jährige dem Sohn lediglich übers Gesicht gestrichen statt geschlagen, wie dieser in seiner Vernehmung gesagt hatte.
Die Frau des Opfers bestätigte demgegenüber dessen Schilderung.
Der Prozess war mit Sicherheitsauflagen und polizeilichen Übrprüfungen angelaufen. Bis auf Presse, eine Schulklasse aus Oberndorf und ein Ausbildungskurs waren aber nur drei Zuhörer anwesend.