Sammler & Despot
Buchheims Sohn schreibt über den berühmten Vater
Maler, Verleger, Fotograf, Autor, Sammler, Museumsgründer und noch viel mehr war Lothar-Günther Buchheim. Vor 100 Jahren, am 6. Februar 1918, wurde der vielseitig talentierte Dickschädel in Weimar geboren. Die Feierlichkeiten am Starnberger See sind jetzt allerdings etwas getrübt. Denn Sohn Yves (68) aus Buchheims erster Ehe mit der französischen Galeristin Gwen Militon hat ein Buch geschrieben, in dem Unangenehmes zur Sprache kommt. Von den Kunstankäufen des Vaters bis zu dessen Unlust, Steuern zu zahlen, von Geiz und bösen Worten. Christa Sigg hat den in der Schweiz lebenden Yves Buchheim in München getroffen.
Herr Buchheim, der Vater scheint Ihnen immer noch im Nacken zu sitzen.
Nein, ich habe mich schon lange von ihm befreit. Das Buch ist auch keine Abrechnung. Ich versuche nur, meinen Vater ins richtige Licht zu rücken. Er war ein Wunderkind und hatte irrsinnig viele Begabungen. Er war ja nicht nur ein guter Schriftsteller, sondern auch ein guter Maler, er hatte ein untrügliches Auge, und damit konnte er eine der tollsten Sammlungen zum deutschen Expressionismus aufbauen.
Man schluckt trotzdem beim Lesen, wenn er Sie einen Bastard nennt.
Und nicht nur das, ich war auch das Kuckucksei, das ihm ins Nest gelegt wurde. Er hat fürchterliche Sachen gesagt und war einfach auch ein bisschen durchgeknallt. Seine Mutter Charlotte Buchheim ist in der Psychiatrie gelandet. Und er selbst hat sich ein Leben lang auf diesem äußerst schmalen Grat zwischen höchster Intelligenz und totaler Verrücktheit bewegt.
Sie werfen Ihrem Vater vor, sein Leben aus Legenden aufgebaut zu haben.
Die Legenden sind nach dem Krieg entstanden – wie bei so vielen. Mein Vater war als Kriegsberichterstatter für Joseph Goebbels’ Propagandaministerium im Einsatz und nach 1945 plötzlich der große Nazi-Gegner. Er hat sich dann regelrecht in einen Hass gegen die alten Kameraden hineingesteigert. Doch wenn man sieht, wie er bei Karl Dönitz, dem „Führer der U-Boote“stramm steht oder in schicker Uniform und mit Offiziersdolch auf der Promenade von La Baule (Bretagne) wandelt, dann vermittelt das ein völlig anderes Bild.
Sind lästern darüber, dass Buchheim seine einzige U-Boot-Fahrt auf über 600 Seiten aufgeblasen hat.
Das ist doch eine einmalige schriftstellerische Leistung! U-Boot-Kommandant Heinrich Lehmann-Willenbrock, der das Vorbild für den „Alten“im Buch „Das Boot“war, hatte unzählige Fahrten hinter sich ge- bracht und sicher viel tollere Geschichten erlebt. Aber er konnte das nicht zu Papier bringen, das war der Unterschied.
Hat Ihr Vater mit Ihnen über die Vergangenheit gesprochen?
Leider nein. Auch in der Schule kamen der Erste und Zweite Weltkrieg schlicht nicht vor. Meine Lehrer waren alles alte Soldaten und Feldafing damals noch ziemlich braun. In den schönen jüdischen Villen hatten sich ja überall die Nazis etabliert.
Sie sind mit fünf von Paris an den Starnberger See gekommen.
Das war schlimm. Ich sprach ja kein Wort Deutsch, nur „Guten Tag“hatte man mir im Zug beigebracht. Und Feldafing war ein bigottes Kaff. Wir haben draußen am Wald gewohnt, da waren weit und breit keine Spielkameraden. Zuvor, in Paris, wurde ich von der französischen Großmutter dauernd umsorgt, die Eltern waren ja unterwegs. Und dann saß ich ganz allein in diesem Feldafing. Wenn ich übrigens in der Schule ein Wort auf Französisch gesagt habe, musste ich eine Stunde in der Ecke stehen.
Und dann das schreckliche Essen.
Jeden Tag Kartoffeln! Aber das war der pure Geiz. Bis zum Lebensende – und das mit so viel Geld, das mein Vater auf die Seite gebracht hat. Wenn er mit seiner Frau Diethild ins Gasthaus ging, haben sie sich ein Bier geteilt. Und was vom Schweinsbraten übrig blieb, wurde eingepackt fürs nächste Mittagessen. Für ihn war es überhaupt das größte Abenteuer, auf den Sperrmüll zu gehen. Egal ob ein Bilderrahmen oder ein Brett, alles wurde nach Hause geschleppt. Bloß kein Geld ausgeben, nicht einmal bei Ikea. Wenn früher Kisten ankamen, musste ich nach dem Öffnen die Nägel gerade klopfen, damit man sie wieder verwenden konnte. Wie Dagobert Duck hat Buchheim alles gehortet.
Auch das, was eigentlich an den Staat gehen sollte?
Mein Vater hat nie wie die anderen Steuern bezahlt. Und jetzt steckt dieses Geld in einer Stiftung, die über das Buchheim Museum wiederum vom Bayerischen Staat bezuschusst wird. Alle wussten ja, dass Gelder da sind, trotzdem wurden immer neue Zuschüsse fürs Museum angefordert, um den Verlust auszugleichen. Ein Museum kann sich doch nicht alleine tragen, oder?
Immerhin hat Ihre Stiefmutter Diethild Selbstanzeige erstattet und 23 Millionen Euro nachversteuert.
Aber nicht aus eigenen Stücken. Nach dem Tod meines Vaters hat ihr ein Steuerberater geraten, das Geld aus der Schweiz zurück zu holen. Damit hat man dann ganz lässig ein bisschen Steuer bezahlt.
Sie erwähnen auch Nachdrucke, die nicht so ganz korrekt sind.
Buchheim hatte ja ein paar echte Druckstöcke, etwa von Otto Mueller. Und ich sah ihn zweimal, wie er damit Drucke angefertigt hat. Das war also eine schöne Gelddruckmaschine. Die Blätter sind dann mit „OM“für Otto Müller signiert worden. Oder mit HC für Hors de Commerce (nicht für den Handel). Wer sie letzlich gekauft hat, weiß ich aber nicht.
Buchheim selbst wollte Kunst möglichst billig haben.
Seine Einkäufe in der DDR waren ein Coup. Er hatte gute Kontakte zu Tante Hilde und Vetter Kurt, die jeden Monat mit einem großen Carepaket bei Laune gehalten wurden. Und über die beiden kam er dann mehr als günstig an Bilder.
Wie lief das ab?
Über Annoncen. Die Menschen in der DDR waren himmelfroh, wenn sie an Devisen kamen. Für minimale Beträge gaben sie wertvolle Bilder.
Das hat niemanden interessiert?
Aber nein, die Bilder standen bei uns zu Hause und wurde nach und nach in die Sammlung integriert. Das Verrückte ist ja, dass bis heute niemand von der Buchheim Stiftung diese Zusammenhänge wirklich kennt.
Im Buchheim Museum wird inzwischen Provenienzforschung betrieben.
Und man darf sich gerne bei mir im Buch informieren. Ich gebe ja einige Beispiele an, und natürlich kenne ich viele weitere Quellen. Aber ich wurde nie gefragt, das ist doch seltsam, oder? Mein Vater hat später immer verhindert, dass die Sammlung wieder auf Reisen geht – aus konservatorischen Gründen. Vielleicht aber hätten Erben aufmerksam werden und Ansprüche stellen können.
Heute wird Ihr Vater in Bernried gefeiert. Wurden Sie eingeladen?
Natürlich nicht. Ich könnte ja die Feier stören. Wer viel weiß und viel erzählen kann, ist nicht gern gesehen. Und im Buch habe ich mich ja noch zurückgehalten.