Musik ist die Rettung
Percussionistin Julia Diederich geht mit ihrem Projekt Latin-Jazz Sinfónica auf Tournee
- Julia Diederich ist eine Frau voller Energie. Die Musikerin, die aus Biberach stammt, geht mit einem Orchester auf eine Tournee durch Süddeutschland, bei der sie am 7. März auch in ihrer Heimatstadt Station macht.
Der Rücken ist gestreckt, der Kopf nach hinten geneigt, auf dem Gesicht liegt ein strahlendes Lachen. Das PRFoto von Julia Diederich im Programmheft vermittelt Energie und Lebensfreude. Die muschelbesetzte Chekere, die die Percussionistin in der Hand hält, macht Lust auf ferne Länder und vibrierende Rhythmen. „Latin-Jazz Sinfónica!“verspricht Intensität, Eleganz und Temperament. Ein Crossover-Programm zwischen Klassik, Latin und Jazz mit großer symphonischer Besetzung, profilierten Jazzmusikern und einer präsenten Rhythmusgruppe. Julia Diederich hat das Programm nicht nur initiiert, sondern auch in einem kleinen, aber starken Team Stücke dafür geschrieben, Arrangements gemacht, Musiker gesucht, Flüge gebucht, Konzerthallen gemietet und die ganze Tournee mit insgesamt acht Konzerten vorfinanziert. Woher nimmt diese Frau die Energie für solch ein Mammutprojekt? Warum nimmt jemand so viel Risiko auf sich?
Musikalisches Elternhaus
Hausbesuch am Dorfrand von Kirchhofen. Bis eben saß Julia Diederich noch am Computer und hat an Arrangements gefeilt. Ganze Nächte verbringt die 46-Jährige derzeit vor dem PC, um das Notenmaterial einzurichten. Wir sprechen über ihren Herzenswunsch, Latinjazz mit einem Symphonieorchester „mehr Tiefe und mehr Charakter zu geben. Die Streicher dürfen nicht zur Deko werden, sondern sind bei uns Teil der Rhythmusgruppe.“Es geht um einen Bolero, der nur von zwei Triangeln und Streichern begleitet wird. Mit leuchtenden Augen und schwäbischem Akzent schwärmt die Musikerin von treibenden Mambos und der Kunst, mit Percussion gerade in leisen Passagen Akzente zu setzen.
„Ich komme aus einem musikalischen Elternhaus und habe als Kind Violine und Klavier gelernt. Irgendjemand im Haus übte immer. Klassik und Jazz erklangen oft gleichzeitig. Meine Sehnsucht nach symphonischem Jazz hat vielleicht hier ihren Ursprung.“Erst mit 20 Jahren nimmt sie privaten Percussion-Unterricht in ihrer Heimatstadt Biberach an der Riß und absolviert drei Jahre später ein Studium in der Latin-Percussion School München. Nach musikalischen Weiterbildungen in Zürich und Rotterdam tourt sie mit Salsaund Fusionjazz-Orchestern, spielt als festes Mitglied in der badischen Soulband Fonk Zone und gründet und leitet in Freiburg die 20-köpfige „Afro-Cuban City Big Band“.
Diederich hat sich als Percussionistin in der harten Musikszene einen Namen gemacht. Als Frau ist sie eine Exotin in dieser Männerwelt, schleppt die schweren Congas und die vielen anderen Instrumente auf die Bühne und spielt sich die feinen Hände auch mal blutig.
Das Leben brummt – da bleibt es plötzlich stehen. Eine Myelographie an der Halswirbelsäule, bei der ein Kontrastmittel in den Wirbelkanal gespritzt wird, führt im Jahr 2007 zu Komplikationen. Die drastischen Folgen: Lähmungen, extreme Kopfschmerzen, Sprachstörungen, Arbeitsunfähigkeit, Verlust der Eigenständigkeit. Julia Diederich verbringt ein halbes Jahr im Bett, lernt wieder mühsam zu sprechen. Und das Schlimmste: Sie kann keine Musik mehr machen. Ihre Instrumente wirft sie bis auf eine Conga, die Triangel und die Caxixi in die Müllpresse und schaut zu, wie sie zermalmt werden. Sie kämpft sich ins Leben zurück, schreibt über Schmerz und über Samba, lässt sich zur Medientechnikerin ausbilden.
Dann der nächste Nackenschlag: 2013 wird bei ihr systemischer Lupus erythematodes (SLE) diagnostiziert. Eine Autoimmunerkrankung, die in Schüben verläuft und die Organe und Knochen angreift. Zwei Jahre später bricht sie auf der Straße wegen Herzversagens zusammen. „In diesem Schwebezustand zwischen Himmel und Erde habe ich meine Komposition gehört, die von einem Dirigenten mit großem Orchester interpretiert wurde. Das Stück war aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht geschrieben.“Musik an der Schwelle zum Tod – Musik als Lebensretter.
Ein Jahr später lernt sie den Berliner Dirigenten Andreas Schulz kennen, dem sie von dem Nahtod-Erlebnis erzählt und dem Wunsch, ihre Latin-Lieblingsstücke mit Orchester zu spielen. Schulz ist begeistert, wollte er doch seinerseits immer solch ein Projekt realisieren. Und stellt dafür sein junges Profiorchester Neue Philharmonie Berlin zur Verfügung. Diederich holt den Geiger und Komponisten Christoph König mit dazu, der das Rohmaterial orchestriert. Neben vielen anderen Jazzmusikern sind auch ihre Freiburger Freunde Rainer Lenz (Moderator und Gesang), Holger Rohn und Tom Timmler (Saxophon) dabei, „die sich um mich gekümmert haben, als mich alle schon aufgegeben hatten.“
Stücke mit persönlicher Note
Das Programm kombiniert Fusionstücke wie Pat Methenys „Heat Of The Day“mit Latinoklassikern wie „Friday Morning“von Paquito D’Rivera. Und trägt durch die Eigenkompositionen von Julia Diederich eine ganz persönliche Note.
„Skyflight To The Light“ist die lichtdurchflutete Ballade, die sie im Dämmerzustand nach dem Zusammenbruch gehört hat. Das treibende „Vioxx“trägt den Namen eines ihr verordneten Medikaments, das lebensgefährliche Nebenwirkungen hat. Die Komposition „Lupo“spielt die Musikerin im Tonstudio am Computer vor. Eine fließende, dichter werdende Swingnummer, die plötzlich in einem hohen Alarmton in den Streichern stehen bleibt, ehe das schneidende Blech einsetzt. „Hier schnappt der Wolf zu. Die Figur im Glockenspiel am Ende ist wie eine tickende Uhr, wie meine Lebenszeit.“
Depressive Stimmungen finden sich keine in den Stücken. Sie sind kraftvoll und elegant, sinnlich und raffiniert. Eigentlich hat ihr der Arzt verboten, Musik zu machen, aber das Projekt Latin-Jazz Sinfónica ist der passionierten Musikerin zu wichtig. Deshalb wird Diederich beim Konzert ein Stahlkorsett und eine Halskrause tragen. Deshalb ist ihr Physiotherapeut bei allen Konzerten dabei und achtet darauf, dass sie keine falschen Bewegungen macht. „Was ich durch meine Krankheitsgeschichte gelernt habe, ist Demut. Und eine tiefe Dankbarkeit für das Leben.“