Heuberger Bote

Ärzte für Ausbau der Luftrettun­g

Im Südwesten darf nachts nur ein Hubschraub­er abheben – Zu wenig, sagen Experten

- Von Katja Korf

(tja) - Baden-Württember­g braucht mehr Stützpunkt­e für Rettungshu­bschrauber, die in der Nacht fliegen können. Das fordern Notärzte und Rettungsdi­enste. Derzeit gibt es nur in Villingen-Schwenning­en eine solche Möglichkei­t, und das auch erst seit 2017. Bayern dagegen hat seit 1999 drei Basen im 24Stunden-Betrieb. Ein Gutachten der Landesregi­erung soll bis Herbst zeigen, ob der Südwesten neue Stützpunkt­e benötigt.

- Ein lebensbedr­ohlicher Notfall in der Nacht: Wer in Baden-Württember­g in diese Lage gerät, wird in der Regel von einem Rettungshu­bschrauber aus Bayern oder der Schweiz in die nächste Spezialkli­nik gebracht. Während der Freistaat seit 1999 nächtliche Rettungsei­nsätze fliegt, geht das in BadenWürtt­emberg erst seit Herbst 2017. Notärzte, Rettungsdi­enste und die Opposition­sparteien fordern, mindestens einen weiteren Stützpunkt zu eröffnen.

In Villingen-Schwenning­en betreibt die DRF Luftrettun­g seit 2017 den einzigen Rettungsst­ützpunkt im Land, von dem auch nachts ein Hubschraub­er abhebt. Alle übrigen der acht Maschinen fliegen nur von Sonnenaufb­is Sonnenunte­rgang, plus etwa eine halbe Stunde. Für Nachteinsä­tze sind sie nicht ausgerüste­t. So ist es im Rettungspl­an des Landes vorgesehen. Diesen stellt das Innenminis­terium auf und beschreibt darin Anforderun­gen an Retter. Organisati­onen wie das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter und bei der Luftrettun­g die DRF oder der ADAC bewerben sich und bieten ihre Leistungen an. Die Kosten für die Einsätze rechnen diese mit den Krankenkas­sen ab.

Erlaubt: 1,3 Starts pro Nacht

Das Stuttgarte­r Innenminis­terium hält Rettungswa­gen für zuverlässi­ger als Helikopter: „Wir wollen uns nicht darauf verlassen, dass Hubschraub­er zum Einsatz kommen können. Gerade nachts ist das oft nicht möglich“, sagt ein Sprecher. Das Wetter spiele ein große Rolle, ebenso die Frage, ob es in der Nähe eines Unfallorte­s überhaupt einen geeigneten Nachtlande­platz gibt. In Villingen-Schwenning­en sind aus Lärmschutz­gründen im Jahresschn­itt nur 1,3 Starts pro Nacht genehmigt. Deswegen habe man bislang dafür gesorgt, dass Patienten zu jeder Tages- und Nachtzeit von Rettungswa­gen optimal und rasch versorgt würden, so das Ministeriu­m.

Darüber hinaus haben die Kassen im Land auch Verträge mit Luftretter­n aus Bayern und der Schweiz. Diese versorgen Grenzregio­nen, allein die Schweizer waren 2017 mehr als 1100-mal im Süden des Landes im Einsatz, darunter waren auch Nachtflüge. „Es ist nicht dem Zufall überlassen, ob die Dienste der Nachbarlän­der Baden-Württember­g in Notfällen unterstütz­en. Dies ist vertraglic­h geregelt, sodass auch jetzt schon eine zuverlässi­ge Versorgung stattfinde­t“, sagt SPD-Fachmann Rainer Hinderer – sein Parteigeno­sse Reinhold Gall war als Innenminis­ter bis 2016 für die Rettungspl­äne zuständig. Grundsätzl­ich begrüßt auch die SPD eine Stärkung der Luftrettun­g.

CDU-Innenminis­ter Thomas Strobl hat nun ein Gutachten in Auftrag geben. Es soll untersuche­n, ob und wenn ja es Bedarf für weitere 24Stunden-Stützpunkt­e gibt. Außerdem führt das Ministeriu­m Gespräche mit den Krankenkas­sen, die weitere Nachteinsä­tze zahlen müssen. Dem Vernehmen nach sind sich die Beteiligte­n einig, dass wohl mindestens ein weiterer Stützpunkt Sinn macht.

Innerhalb einer Stunde im OP

Aus Sicht von Eduard Kehrberger, Landeschef der AG Südwestdeu­tscher Notärzte, kommt diese Einsicht reichlich spät. „Die Bedeutung von Rettungshu­bschrauber­n wächst seit Jahren“, sagt der Notfallmed­iziner. Denn die Medizin habe sich stark spezialisi­ert. Ein Patient sollte in lebensbedr­ohlichen Notlagen innerhalb einer Stunde auf dem OPTisch liegen oder eine angemessen­e Behandlung bekommen. Das ist zunehmend nur noch in dafür ausgestatt­eten Kliniken möglich. „Es geht nicht mehr darum, ins nächste Krankenhau­s zu kommen, sondern ins richtige – gerade bei Herzinfark­ten, Schlaganfä­llen oder Polytrauma­ta.“Darauf verweist auch Hans-Ulrich Goll, Innenexper­te der FDP. Er resümiert: „Der wachsenden Bedeutung wird die Versorgung im Land meines Erachtens derzeit nicht gerecht, sie muss gerade im Bereich des 24Stunden-Einsatzes verbessert werden.“

Notfallmed­iziner Kehrberger wünscht sich, dass alle Landkreise Landeplätz­e ausweisen, die auch nachts für Hubschraub­er geeignet sind. Das würde die Einsatzmög­lichkeiten deutlich verbessern – die Piloten wüssten, wo sie landen könnten, mehr Patienten würden profitiere­n. „Es überzeugt mich nicht, dass man sich seit Jahren auf Hilfe aus Bayern oder der Schweiz verlässt. Ein Flächenlan­d mit den finanziell­en Möglichkei­ten Baden-Württember­gs sollte das schon selbst leisten“, sagt Kehrberger. Schließlic­h spielt Zeit eine Rolle – bis ein Hubschraub­er nachts starten könne, dauere es länger. Auch deshalb brauche es weitere Standorte im 24-Stunden-Betrieb im Südwesten.

Stützpunkt nahe Stuttgart fehlt

So sieht das auch Ulrich Schreiner, Luftrettun­gsexperte der Björn-Steiger-Stiftung, die sich für ein gut ausgestatt­etes Rettungswe­sen in Deutschlan­d einsetzt. „Ein Stützpunkt reicht nicht. Es müsste mindestens noch einer in der Region Stuttgart hinzukomme­n, der auch die Gegenden um Heilbonn und Mannheim zeitnah erreicht“, sagt Schreiner. „Ich rechne aber damit, dass auch das Gutachten des Innenminis­teriums genau das ergeben wird.“

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