Streit um Essener Tafel
Kritik und Verständnis für Ausschluss von Migranten
(dpa/epd/sz) - Die Entscheidung der Essener Tafel, vorerst keine neuen Migranten mehr als Bedürftige aufzunehmen, hat eine bundesweite Debatte ausgelöst. Die Essener Tafel hatte den vorläufigen Aufnahmestopp für Migranten unter anderem damit erklärt, dass deren Anteil zuletzt bis zu 75 Prozent betragen habe. Gerade Seniorinnen sowie alleinerziehende Mütter hätten sich angesichts der vielen fremdsprachigen jungen Männer in den Warteschlangen nicht mehr sicher gefühlt.
„Den Essener Weg können wir so nicht nachvollziehen“, sagte Jochen Brühl, der Vorsitzende des Dachverbands der Tafeln. Es zähle die Bedürftigkeit, nicht die Herkunft. Verständnis kam vom Moraltheologen Andreas Schockenhoff. „Es ist nicht optimal, aber wenn es tatsächlich so war, dass sich ältere Nutzer und alleinerziehende Mütter ausgeschlossen gefühlt haben, ist das auch nicht im Sinn einer Tafel“, sagte er und plädierte „im Zweifelsfall“für die Einrichtung eine zweiten Tafel.
- Trotz starker Kritik will die Essener Tafel an ihrem Aufnahmestopp für Ausländer vorerst festhalten. „Ich stehe dazu“, sagte der Vorsitzende Jörg Sartor am Freitag. Ältere Menschen oder Alleinerziehende hätten sich dort zuletzt nicht mehr wohlgefühlt und seien zunehmend von Flüchtlingen und Zuwanderern verdrängt worden.
„Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt“, sagte Sartor. Deshalb habe der Verein die Reißleine ziehen müssen. Die lautstarken Missbilligungen aus der Politik beeindruckten ihn nicht. „Wir wollen erreichen, dass der Weg in die Tafel wieder für alle offen ist.“
Der Anteil der Migranten unter den etwa 6000 Nutzern der Tafel sei bis Ende vergangenen Jahres auf 75 Prozent gestiegen, so Sartor. Gegenwärtig gehe er davon aus, dass der Ausländerstopp für Neukunden mindestens bis zum Sommer aufrechterhalten werde.
Tafel-Chef sieht „Nehmer-Gen“
Besonders unter den Syrern und Russlanddeutschen will der Essener Tafel-Chef „ein Nehmer-Gen“ausgemacht haben. Bei der Lebensmittelausgabe werde gedrängelt und geschubst, von „Anstellkultur“keine Spur. Viele Tafelkunden fühlten sich durch fremdsprachige junge Männer abgeschreckt. Diesen fehle es teils an „Respekt gegenüber Frauen“.
„Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennen grundsätzlich keine Staatsangehörigkeiten“, kritisierte der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) den Essener Aufnahmestopp. Er habe „persönlich Zweifel“, ob die Staatsangehörigkeit das richtige Kriterium sei, um die große Nachfrage bei den Tafeln reibungsloser organisieren zu können. Zugleich müsse aber auch klar sein, dass den Tafeln nur begrenzte Mittel zur Verfügung stünden, betonte Laumann. Für die Verteilung seien daher Kriterien notwendig. Dabei dürfe aber die Staatsangehörigkeit keine Rolle spielen. Auch SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen zeigten sich alarmiert.
Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) betonte: „Bedürftigkeit muss das Maß sein und nicht der Pass.“Der Landesverband der Tafeln in Baden-Württemberg kritisierte den Aufnahmestopp ebenfalls. „Das ist eine sehr unglückliche Entscheidung. Wir hätten das auch nicht so kommuniziert“, sagte ein Sprecher. „Die Tafeln suchen sich die Kunden nicht aus. Wir haben uns der Bedürftigkeit verschrieben.“Im Südwesten stellten die Tafeln seit Anfang des vergangenen Jahres eine Entspannung der Situation mit Flüchtlingen fest. Die Lage sei durchaus händelbar, hieß es. „Sprach- und Ablaufschwierigkeiten sind mittlerweile großteils gelaufen“, sagte der Tafelsprecher.
Der Vorsitzende des Dachverbands Tafel Deutschland, Jochen Brühl, beklagte indes eine Überforderung von Tafeln: „Wir sehen, dass hier eine Tafel an ihre absolute Belastungsgrenze gekommen ist. Die Tafeln sind aber angetreten, um ausnahmslos allen Menschen zu helfen, die in Not sind. “
Bundesweit liegt der Anteil der Tafel-Kunden mit Migrationshintergrund nach Angaben des Dachverbands „Deutsche Tafel e.V.“bei mehr als 60 Prozent. Insgesamt steige die Zahl der Bedürftigen immer weiter an.