Fast wie Maschinen
Das 4:3 über Kanada beschert mindestens Silber – größter Erfolg des deutschen Eishockeys
- „Du hast keine Chance, aber nutze sie!“Nicht wenige dürften es mit dem Schriftsteller Herbert Achternbusch gehalten haben, als Deutschlands Eishockey-Nationalmannschaft am Freitag im Halbfinale des olympischen Turniers auf Kanada traf. Bei allem Respekt vor Marco Sturms Mannen, vor dem, was sie in Gangneung bisher geleistet und erreicht hatten, aber hier waren die Rollen doch klar verteilt. Und wer der Außenseiter war – logisch! Deutschlands EishockeyNationalmannschaft aber hielt es lieber mit Deutschlands Eishockey-Nationalmannschaft: Sie erkämpfte, erarbeitete, ja: erspielte sich ihre Chance. Und nutzte sie. 4:3 (1:0, 3:1, 0:2), olympisches Silber ist sicher seit dem 23. Februar 2018, 23.32 Uhr. Mindestens Silber. Südkorea erlebte den größten Moment in 131 Jahren deutscher Eishockey-Geschichte. Und der Bundestrainer staunte. Marco Sturm: „Man hätte ja denken können, die Jungs seien nervös. Aber die waren so abgeklärt ...“
Eine Qualität, die auch andere überraschte. Kanadas Auswahl aus bevorzugt in der Kontinental Hockey League, Schweden und der Schweiz unter Vertrag stehenden Akteuren tat sich schwer, in erfolgsversprechende Schusspositionen zu kommen. Vor dem Tor machte Deutschland die Räume eng, zwischen den Bullykreisen ließ man nichts zu. Das kann frustrieren. Selbst Kanadier – umso mehr, wenn der Gegner auch offensiv hohe Qualität besitzt, die Scheibe fein zirkulieren lässt und kalt-präzise im Abschluss ist. Eigenschaften übrigens, die vor Turnierbeginn wohl nicht nur die Achternbusch-Fraktion nicht zwingend als typisch Eishockeydeutsch herausgestellt hätte.
Auf die Chancen gewartet
Es muss sich etwas verändert haben vom 2:5 gegen Finnland im ersten Gruppenspiel hin zur 15. Halbfinalspielminute gegen Kanada. Wie sonst hätte Brooks Macek – in Winnipeg geboren – dieses 1:0 (14:43) zaubern können? Fünf-gegen-DreiÜberzahl, nur Sekunden dauerte es, bis Dominik Kahun ihn gefunden hatte. Was Brooks Macek dann machte, war höchst frech und nicht minder gekonnt: Torhüter Kevin Poulin ausgeguckt, fürs kurze Eck entschieden, Verteidiger Mat Robinson die Scheibe durch die Beine geschlenzt, David Wolf nahm die Sicht. Die Führung.
„Wir haben einfach auf unsere Chancen gewartet“, wird Matthias Plachta später sagen, „und dann können wir auch mal einen Pass gut spielen – so ist es ja nicht.“So aber war’s selten wie in Minute 23:21: Patrick Hager hatte sich rechtsaußen Richtung Bandeneck durchbeschleunigt, sein Zuspiel in Bedrängnis fand am langen Eck Matthias Plachta. 2:0. Und eine Einordnung hernach – vom Vorlagengeber: „Wir spielen fast wie Maschinen. Ein Zahnrad greift ins andere. Die Kanadier haben richtig Probleme bekommen, wenn wir nicht passiv spielen, sondern selber draufgehen.“Wie vor dem 3:0 (26:49): Scheibengewinn David Wolf, der setzt Marcel Goc in Szene. Der Kapitän spielt seine ganze Routine und Chay Genoway aus, legt quer für Frank Mauer. Zwischen den eigenen Beinen hindurch expediert der den Puck ins Netz. Im OlympiaHalbfinale. Gegen Kanada.
Das nun beginnt, nun erst beginnen kann, Kanada zu werden. Auslöser ist – neben der Unlust zum Debakel – ein Powerplay, das Gilbert Brulé (28:17) humorlos nutzt. Deutschlands Antwort: Matthias Plachtas Schlagschuss, Patrick Hagers abfälschendes Knie. Ebenfalls ein Powerplay-Tor (32:31), es steht 4:1. Kanadischer Frust entlädt sich danach in einem üblen Check Gilbert Brulés gegen David Wolf. Der Kanadier muss duschen, David Wolf kommt zum Schlussdrittel zurück. Erlebt Mat Robinsons 4:2 (42:42), leidet bei Dominik Kahuns vergebenem Penalty (43:21), tut nach Derek Roys 4:3 (49:42; Überzahl), was alle tun: blockt Schüsse, hält dagegen, nimmt Zeit von der Uhr. Den Rest besorgt Torhüter Danny aus den Birken, besorgt das Quäntchen Glück, das man sich bekanntlich verdienen muss.
Dann fliegen Handschuhe, Helme, Schläger. Im Endspiel am Sonntag (5.10 Uhr MEZ/Eurosport und ZDF) heißt der Gegner „Olympische Athleten aus Russland“, das Tschechien mit 3:0 (0:0, 2:0, 1:0) schlug. Die Russen stehen erstmals seit 20 Jahren wieder in einem Olympia-Finale. Zum letzten Mal Gold gewann der achtmalige Olympiasieger 1992.
Die Russen gelten als klare Favoriten. Ob nochmals wer Herbert Achternbusch bemühen wird?