Heuberger Bote

Die Weine des heiligen Jupiter

Sangiovese, die Traube der Etrusker, bringt große, authentisc­he Toskana-Weine hervor

- Von Joachim Klink

Leonardo da Vinci, der in Vinci, einem kleinen Dorf nahe Florenz geboren wurde, sagte über die Bewohner der Toskana: „Ich glaube, dass Menschen, die in der Nähe guten Weines geboren werden, viel Glückselig­keit in sich tragen.“Was nicht verwundert. Die Quellen des Frohlocken­s hören auf klangvolle Namen wie Le Pergole Torte, Cepparello, Flaccianel­lo oder Fontalloro. Ihr aller Urvater ist der Chianti.

Der Wein aus dem Herzstück der Toskana zwischen Florenz und Siena blickt auf eine lange Tradition zurück. Sein Name kommt vom etruskisch­en clante, wie das Gebiet an den Flüssen Pesa und Arbia hieß, von den Römern später ager clantius genannt. Und da sich Mönche selten tollpatsch­ig angestellt haben, wenn es um die Kultivieru­ng weltlicher Genüsse ging, pflegten sie den Weinbau fort. Nach offizielle­r Lesart, um Messwein zu produziere­n. So wurde die Toskana im 14. Jahrhunder­t das führende Weinbaugeb­iet in Italien. Vom Chianti über V.d.T zum IGT Mit der Sangiovese-Traube, der seit Urzeiten im Lande der Etrusker heimischen und nach dem obersten römischen Gott Jupiter benannten Rebsorte (San Gioveto = heiliger Jupiter) konnte man von je her auf ein ganz besonderes Privileg der Natur setzen. Anno 1415 erklärte ein Florentine­r Statut die Gemeinden Radda, Gaiole und Castellina zum Kerngebiet des Chianti.

Dass Geschichte­n rund ums Federvieh nicht nur für die Witwe Bolte taugen („Jedes legt noch schnell ein Ei und dann kommt der Tod herbei“), zeigt eine Anekdote aus dem Jahre 1208, als die verfeindet­en Republiken Florenz und Siena eine Grenzneure­gelung austüftelt­en. Aus beiden Städten sollten beim ersten Hahnenschr­ei Reiter aufbrechen, am Treffpunkt würde man die neue Grenze ziehen. Daraufhin besorgten die listigen Florentine­r ihrem Reiter einen kleinen schwarzen Hahn, dem man zwei Tage lang das Futter vorenthalt­en hatte. Vom Hunger getrieben krähte dieser schon lange vor dem Morgengrau­en. Und so traf der „schnelle“Florentine­r auf seinen verschlafe­nen Kontrahent­en aus Siena, als er bereits kurz vor den Stadtmauer­n Sienas angelangt war. Noch heute verläuft die Provinzgre­nze nahe dieser Stelle. Seit 1924 ist der „Gallo Nero“Wappentier des Chianti Classico.

Der vom Baron und Staatsmini­ster Bettino Ricasoli 1872 verbindlic­h festgelegt­e Chianti-Mischsatz bestimmte, dass zu 50 bis 80 Prozent Sangiovese 10 bis 30 Prozent Canaiolo kamen, ferner war die Beifügung von 5 Prozent anderer regionaler Sorten, wie etwa Colorino, zugelassen. Dazuhin waren 10 bis 30 Prozent der weißen Malvasia und Trebbiano vorgeschri­eben, die, wie sich nach und nach herausstel­lte, der Lagerfähig­keit im Wege standen.

Dies war einer der Hauptpunkt­e der Kritik, die den Chianti gegen Ende der 1970er-, Anfang der 1980erJahr­e in Schräglage brachten. Dazuhin waren manche überzeugt, reinsortig ausgebaut könne man aus San- giovese weit bessere Weine vinifizier­en, andere machten sich dafür stark, auf Cabernet Sauvignon zu setzen, was zu teilweise frenetisch ausgetrage­nen Kontrovers­en führte. Authentizi­tät und Tradition versus internatio­nalen Anstrich und Innovation oder dem, was viele dafür hielten. Das Credo der einen war für die anderen Blasphemie.

Zum Anbau von Cabernet Sauvignon in der Toskana befragt, erklärte

Sergio Manetti, der Pionier des reinsortig ausgebaute­n Sangiovese, anlässlich eines Besuches auf seinem bei Radda gelegenen Bilderbuch­weingut Monteverti­ne vor nunmehr exakt drei Jahrzehnte­n in überzeugen­der Sachlichke­it: „Warum sollten wir in der Toskana Cabernet Sauvignon anbauen? Dies könnte zu erwägen sein, wenn man mit Sangiovese seit Jahrhunder­ten wissenscha­ftlich fundiert gearbeitet und experiment­iert hätte, jedoch vor schlechten Resultaten oder am Ende stünde. Das Gegenteil von alledem ist der Fall. In der Toskana wird Sangiovese seit erst etwa zehn bis 15 Jahren mit Sorgfalt und dem Bemühen um Ausschöpfu­ng aller Möglichkei­ten ausgebaut, wobei das Endziel noch lange nicht erreicht ist – und wir stehen vor Weinen wie Le Pergole Torte.“

Mit Weitsicht und unbeirrbar­em Glauben an das Potenzial dieser Rebsorte hat Sergio Manetti den großen Sangiovese-Weinen den Weg geebnet, die heute zu den besten Rotweinen der Welt zählen. Sie kamen als Vino da Tavola (V.d.T.) auf den Markt, weil der reinsortig­e Ausbau den DOC- beziehungs­weise seit 1984 DOCG-Richtlinie­n des Chianti nicht entsprach. Die großen Tafelweine der Toskana waren geboren. 1997 wurde die flexiblere Indicazion­e Geografica Tipica (IGT) geschaffen, mit der sie wieder regelkonfo­rm wurden. Die IGT entspricht als niedrigste Qualitätss­tufe einem Landwein. Das Kuriosum ist nur scheinbar beendet …

Heute lässt Martino Manetti zusammen mit dem Kellermeis­ter Bruno Bini und dem Önologen Paolo Salvi dem Le Pergole Torte dieselbe Sorgfalt angedeihen wie sein mittlerwei­le verstorben­er Vater, der ihn erstmals 1977 auf den Markt brachte. Der dicht gewobene, tief aromatisch­e Wein wird in slawonisch­en Eichenfude­rn und Allier-Barriques ausgebaut, er besticht durch fasziniere­nde Eleganz und Finesse, einzigarti­ge Komplexitä­t und geschmackl­iche Vielschich­tigkeit, die durch feine Veilchentö­ne, Himbeer- und Kirscharom­en, bei zunehmende­r Reifung Pflaume, einen Hauch Vanille und Zimt, zuweilen auch Tabak und mineralisc­he Nuancen bestimmt wird. Das Gerüst einer brillant gebändigte­n Säure und die feinkörnig­e Tanninstru­ktur sind Garant für die Lagerfähig­keit von gut zwei bis drei Jahrzehnte­n. Der Jahrgang 1990 präsentier­t sich noch heute in atemberaub­ender Verfassung.

Beinahe zur selben Zeit begann der diplomiert­e Önologe Paolo de

Marchi auf seinem Weingut Isole e Olena mit dem Ausbau des Cepparello aus 100 Prozent Sangiovese, dessen Erstlingsj­ahrgang 1980 er noch Borro Cepparello nannte. Der in französisc­hen Eichenbarr­iques ausgebaute, samtig-opulente, hochkonzen­trierte und famos dichte Wein wird von einer tiefen Brombeer- und Schwarzkir­schfrucht geprägt, seidige Tannine entfachen Noblesse und Anmut erster Güte. Das ist Verführung pur, Trinkplais­ir zum Niederknie­n. Mit diesem Ausnahmewe­in setzt Paolo de Marchi Maßstäbe für den gesamten Sangiovese-Anbau. Geschliffe­ner Flaccianel­lo Nicht weniger steht der Flaccianel­lo der Tenuta Fontodi in Panzano mit seinem Übermaß an Samt und Wärme verströmen­der Fruchtfüll­e, gezähmter Kraft, Nuancenrei­chtum, Eleganz und vorbildlic­hem Tanningefü­ge in allervorde­rster Reihe. Giovanni Manetti und der renommiert­e Önologe Franco Bernabei, der seit dem ersten Jahrgang 1981 beratend Pate steht, bauen den Flaccianel­lo

ausschließ­lich aus Sangiovese in Barriques aus Allier- und TroncaisEi­che aus. Bei aller Konzentrat­ion gelingt es Jahr für Jahr, dem Flaccianel­lo eine bewunderns­wert geschliffe­ne Struktur zu verleihen. Das Aromenspek­trum wird geprägt von einem Bündel dunkler, reifer Beeren, Herzkirsch­e und Schokolade, aber auch von Geräuchert­em und Süßholz. Eine Primadonna Assoluta des Toskana-Weinbaus.

Unter der Ägide von Franco Bernabei entstand mit dem erstmals 1983 abgefüllte­n Fontalloro der Fattoria di Felsina des Giuseppe Mazzocolin in Castelnuov­o Berardenga ein weiterer Klassenbes­ter, der zu den großen Kultweinen der Toskana zu zählen ist. Auch er wird zu 100 Prozent aus Sangiovese gekeltert und in französisc­hen Eichenbarr­iques ausgebaut. Brombeere, Heidelbeer­e und Zwetschge dominieren neben Kaffee- und Rumtopfaro­men die sensorisch­en Eindrücke, in die sich die Noten eines weit im Süden, nahe Montalcino gelegenen Terroir mischen. Dies mag auch die beachtlich­e Langlebigk­eit der Felsina-Weine beinahe zwingend vorgeben.

Weitere großartige, höchst empfehlens­werte Sangiovese-Weine der allererste­n Katagorie sind oben unter „Empfehlung­en und Bezugsquel­len“zu finden. San Gioveto lässt zu überirdisc­hen Genüssen bitten ….

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FOTOS: KLINK Die Toskana ist ein gesegneter Landstrich – auch was den Weinbau betrifft. Zwischen den Städten Siena (oben) und Florenz (unten) befindet sich das Zentrum des klassische­n Chianti.

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