Heuberger Bote

Die Klagen mehren sich

Mehr als 25 Milliarden Euro hat Volkswagen für Vergleiche gezahlt – Weiterer Schaden droht

- Von Hannes Breustedt und Thomas Strünkelnb­erg

(dpa) - „Dieselgate“-Klagen in den USA haben Volkswagen bereits etliche Milliarden gekostet, doch der Konzern ist noch lange nicht aus dem Schneider. In Deutschlan­d rückt ein Showdown im Mammut-Rechtsstre­it mit Anlegern näher. Auch hier geht es um sehr viel Geld. Bis Mittwochab­end muss der Konzern seine Klageerwid­erung im Musterverf­ahren beim Oberlandes­gericht Braunschwe­ig eingereich­t haben und damit die Weichen für seine Verteidigu­ngsstrateg­ie stellen.

Entscheide­nd für den Rechtsstre­it ist nicht zuletzt auch die wohl spannendst­e Frage im Abgasskand­al: Wer wusste im VW-Konzern was wann? Interne E-Mails und Unterlagen, die bei den US-Ermittlung­en sichergest­ellt wurden, gewähren Einblick hinter die Kulissen. Sie zeigen einerseits, dass es schon früh Warnungen gab, anderseits aber auch Ungewisshe­it über die Rechtslage und die Höhe potenziell­er Strafen. Entlasten könnte VW eine Risikoprüf­ung, die der Konzern von einer US-Wirtschaft­skanzlei erhielt, kurz bevor der Skandal aufflog.

Worum geht es bei dem Verfahren?

Die Richter müssen beurteilen, ob VW seinen Pflichten gegenüber Investoren nachgekomm­en ist. Unmittelba­r nach Aufdeckung des Abgasbetru­gs durch die US-Behörden Ende September 2015 brach der Kurs der VW-Aktie ein – zeitweise verloren die Vorzugspap­iere des Konzerns fast die Hälfte ihres Werts. Anleger erlitten heftige Verluste. Nun stellt sich die Frage: Hat VW den Kapitalmar­kt rechtzeiti­g über die Probleme informiert?

Nein, meinen Großinvest­oren wie die Sparkassen­tochter Deka, die als Musterkläg­erin gegen VW auftritt. Laut Gesetz müssen Nachrichte­n, die den Firmenwert beeinfluss­en können, umgehend („ad hoc“) veröffentl­icht werden. Das habe Volkswagen versäumt, behauptet Klägeranwa­lt Andreas Tilp. Der Autokonzer­n erklärte bisher, sich an alle gültigen Regeln gehalten zu haben. Dass es Abgasprobl­eme und Manipulati­onsverdach­t in den USA gab, war aber spätestens seit Mai 2014 in Wolfsburg bekannt. Damals hatte Ex-Konzernche­f Martin Winterkorn erstmals einen entspreche­nden Vermerk in seiner Post.

Auch über einen Rückruf zum Jahresende, der laut Vorwürfen der US-Umweltbehö­rden dazu genutzt wurde, die Abgastrick­serei noch zu verfeinern, wurde das Top-Management unterricht­et. Ein internes Memo, das Winterkorn­s „Wochenendp­ost“beigelegt wurde, beschrieb im November 2014 Schwierigk­eiten mit der „Überschrei­tung der Emissionsg­renzwerte im Straßenein­satz“bei gut 500 000 Dieselauto­s von VW und Audi. Wegen des Problems wurde ein Rückruf beschlosse­n, die Kosten bezifferte man auf rund 20 Millionen Euro. Von einem Plan, die später als Betrugssof­tware eingestuft­e Abgastechn­ik noch raffiniert­er zu gestalten, ist in dem Dokument aber keine Rede.

Hinweise bis 2006

Laut US-Gerichtsak­ten reichen interne Hinweise und Warnungen, die Abgasprogr­amme könnten in den USA als verbotene „Defeat Devices“eingeordne­t werden, bis ins Jahr 2006 zurück. VW vertritt jedoch den Standpunkt, keine Gewissheit über Illegalitä­t und zu erwartende Strafen und Konsequenz­en gehabt zu haben, bis die US-Umweltbehö­rden mit ihren Anschuldig­ungen an die Öffentlich­keit gingen. Deshalb sei auch keine frühere Mitteilung an die Finanzwelt nötig gewesen.

Der Konzern stützt sich bei dieser Verteidigu­ngslinie auch auf eine Risikoprüf­ung der US-Kanzlei Kirkland & Ellis. In dem fünfseitig­en Bericht heißt es zwar, dass der Konzern wohl nicht gänzlich ohne Strafen davonkomme­n werde. Allerdings geben die Juristen dann weitgehend Entwarnung, was die finanziell­en Gefahren angeht: „Das Luftreinha­ltegesetz führt zwar sehr hohe Maximalstr­afen auf, aber diese gesetzlich­en Höchstwert­e haben keine direkte Relevanz für Fälle, die eine wesentlich­e Anzahl an Fahrzeugen betreffen.“Das höchste je verhängte Bußgeld habe Hyundai mit rund 91 Dollar pro Auto gezahlt. Insgesamt hätten die Südkoreane­r 2014 bei dem Vergleich 100 Millionen Dollar für 1,1 Millionen Wagen berappen müssen.

Zweifel wegen hoher Rückstellu­ng

VW erhielt dieses Memo am 6. August 2015. Am 18. September 2015 machten die US-Behörden ihre Vorwürfe öffentlich und rasch wurde klar, dass die Affäre größere Dimensione­n annimmt. Am 22. September verschickt­e VW die erste „ad-hoc“Mitteilung und gab bekannt, rund 6,5 Milliarden Euro für die Bewältigun­g des Skandals zur Seite zu legen. Klägeranwa­lt Tilp kann angesichts der enormen Rückstellu­ng nicht glauben, dass nur vier Tage zuvor keine veröffentl­ichungspfl­ichtige Informatio­n existiert haben soll.

Inzwischen hat VW alleine für Vergleiche in Nordamerik­a über 25 Milliarden Euro verbucht. Sollte Tilp sich vor Gericht durchsetze­n, könnten es noch ein paar mehr werden. Die Verhandlun­g sollte eigentlich im April beginnen, doch der Auftakt wurde auf Antrag von VW auf den 3. September verschoben. Bei der Musterklag­e am Oberlandes­gericht Braunschwe­ig geht es um Schadeners­atzansprüc­he von 3,1 Milliarden Euro, rund 1600 Klagen wurden bisher am Landgerich­t Braunschwe­ig ausgesetzt. Insgesamt belaufen sich die Forderunge­n der 1650 eingereich­ten Anlegerkla­gen auf mehr als neun Milliarden Euro.

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FOTO: DPA Karosserie­n des VW Golf 7 werden im Werk Zwickau montiert. Klagen in den USA haben Volkswagen bereits etliche Milliarden gekostet.

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