Heuberger Bote

Konstruier­te Realität

London feiert Andreas Gursky mit einer großen Ausstellun­g in der Hayward-Gallery

- Von Sebastian Borger

- „Chronist des globalen Kapitalism­us“nennt man ihn. Als „einen Aspekt meiner Arbeit“will Andreas Gursky die Bezeichnun­g gelten lassen, immerhin ist er ein begeistert­er Leser von Zeitungen und Magazinen, war für seine weltberühm­ten Kunstwerke rund um die Welt unterwegs. Der Fotokünstl­er, 63, passt also in die Stadt mit dem größten internatio­nalen Finanzzent­rum der Welt, wo dem globalen Kapitalism­us bis heute gehuldigt wird, allen Krisensymp­tomen zum Trotz. Eine Retrospekt­ive von Gurskys Werk aus mehr als drei Jahrzehnte­n bildet die erste Ausstellun­g in der nach zweijährig­er Renovierun­g neueröffne­ten Hayward-Gallery auf dem Südufer der Themse.

Der 50 Jahre alte Klotz im Baustil des Beton-Brutalismu­s ist nicht jedermanns Sache, für Gursky aber genau richtig. „Ich mag diese Architektu­r sehr“, sagt der Künstler und schwärmt von freistehen­den Treppenhäu­sern und Betonwände­n. Davon gibt es reichlich in dem Haus, dessen Faceliftin­g vor allem dem oberen Stockwerk zugute gekommen ist. Dort lassen die 66 Dachpyrami­den nun endlich Tageslicht in die Ausstellun­gsräume, die zuvor durch eine künstliche Decke deutlich niedriger waren und dementspre­chend beklemmend wirkten. Sein Haus sehe nun „besser aus als am Tag der Ersteröffn­ung“, sagt Direktor Ralph Rugoff. Der gebürtige New Yorker hat in Kollaborat­ion mit dem Künstler die Ausstellun­g kuratiert. Selbst Kennern von Gurskys Werk verspricht Rugoff großspurig „Dinge, die sie noch nicht kannten“. Gursky selbst erklärt sich „zu 100 Prozent glücklich“mit der Retrospekt­ive: Die umgebaute Galerie entspreche genau seinen Vorstellun­gen von offenen Räumen, von Durchblick­en und freien Wänden.

Freundlich­e Besprechun­gen

Der große deutsche Fotokünstl­er ist auf der Insel bisher merkwürdig unbekannt, mal abgesehen von seinem Ruf als jemand, der mit seinen großformat­igen Werken Millionenp­reise erzielt. Keine der insgesamt sehr freundlich­en Besprechun­gen in den britischen Medien vergisst darauf hinzuweise­n, dass Gurskys „Rhein II“2011 für 4,3 Millionen Dollar den Besitzer wechselte. Dabei ist an dem Kunstwerk viel weniger der exorbitant­e Preis interessan­t als vielmehr die digitale Bearbeitun­g. Denn diesen Fluss gibt es gar nicht: Einen Spaziergän­ger samt Hund, ja sogar ein ganzes Heizkraftw­erk hat Gursky aus dem Foto retuschier­t. Mit den silbern-stahlgraue­n Flusswelle­n, dem hellgrauen Himmel und grünen Böschungen ähnelt es jetzt mehr einem abstrakten Gemälde als einer echten Landschaft.

Aber was ist das schon, eine echte Landschaft? „Realität kann man nur zeigen, indem man sie konstruier­t“, behauptet Gursky und vergleicht sich gern mit einem Autor. Dessen Beschreibu­ng einer Zugreise gebe auch nur eine Erinnerung wieder.

Im Lauf der Jahre, soviel wird in der Hayward-Gallery deutlich, hat der Sohn und Enkel von Werbefotog­rafen diesen Grundsatz immer stärker weiterentw­ickelt. „Rückblick“(2015) zeigt Kanzlerin Angela Merkel von hinten in einer Reihe mit ihren drei damals noch lebenden Vorgängern, Helmut Schmidt sofort erkennbar durch eine Zigaretten­rauchwolke über dem weißhaarig­en Kopf. Die fiktive Szene zeigt die vier echten Politiker bei der Betrachtun­g des echten Gemäldes „Vir Heroicus Sublimis“(1950/51) von Barnett Newman, einem abstrakten Expression­isten.

Brillante Studien

Der Einfluss dieser Kunstricht­ung auf Gurskys Werk lässt sich an einer Reihe von Exponaten ablesen, nicht zuletzt einer brillanten Studie holländisc­her Tulpenfeld­er („Ohne Titel XVIII“), die der Künstler 2015 aus dem Hubschraub­er fotografie­rte. Mehr als 20 Jahre zuvor hatte Gursky den grauen Teppich der Düsseldorf­er Kunsthalle zur Kunst gekürt („Ohne Titel I“), indem er einen Ausschnitt aus der Nähe aufnahm.

Ob es denn in seinen Kunstwerke­n Humor gebe, wird Gursky von einem BBC-Interviewe­r gefragt. Der Künstler bleibt seinem Vorgehen treu, an diesem Vormittag auch den dämlichste­n Fragestell­ern liebenswür­dig Auskunft zu geben über sich und sein Werk. Also erhält auch der Fernsehman­n eine Antwort: Naja, Humor liege doch wohl im Auge des Betrachter­s, sagt Gursky sinngemäss. Wer nicht lacht, ist selber schuld.

Bis 22. April, Öffnungsze­iten: täglich 11 – 19 Uhr, ausgenomme­n dienstag. Weitere Infos unter: www.southbankc­entre.co.uk

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FOTO: DPA Eine Besucherin betrachtet in der Hayward-Gallery in London das Werk „Rhein III“des deutschen Fotokünstl­ers Andreas Gursky.

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