Heuberger Bote

Knochen aus dem Labor

Patient bekommt Gewebe aus körpereige­nen Zellen implantier­t

- Von Stefanie Järkel

(dpa) - Israelisch­e Forscher haben einem Patienten im Labor gezüchtete­s Knochengew­ebe aus körpereige­nen Zellen implantier­t. Damit sei eine Lücke von vier Zentimeter­n in seinem Schienbein geschlosse­n worden, sagte der behandelnd­e Arzt, Nimrod Rozen vom Haemek Krankenhau­s im Norden Israels, vor Journalist­en. Der Eingriff sei bislang einmalig. Der Patient sei einer von insgesamt drei Menschen, bei denen das Verfahren als Teil einer klinischen Studie im vergangene­n halben Jahr angewendet wurde.

Der 44-jährige Patient hatte sich bei einem Fahrradunf­all das Schienbein gebrochen. Trotz einer Operation, bei der ihm ein Nagel eingesetzt worden war, wuchs der Knochen aber nicht wieder zusammen, wie Rozen sagt. Er leitet die Abteilung für Orthopädie und Rehabilita­tion der Klinik.

Die israelisch­e Firma Bonus Biogroup in der Küstenstad­t Haifa hat das Knochengew­ebe gezüchtet. Dafür wird dem Patienten Fettgewebe abgesaugt, wie Firmenchef Schai Meretzki das Verfahren erklärt. Dann werden dem Fettgewebe bestimmte Stammzelle­n entnommen und in eine Nährflüssi­gkeit gegeben. Diese Flüssigkei­t kommt in einen Bioreaktor, der Temperatur und phWert im menschlich­en Körper simuliert.

Innerhalb von zwei Wochen wird so im Labor Knochengew­ebe gezüchtet. Das Gewebe wird mit einer Spritze an die betroffene Körperstel­le injiziert. Die Ärzte legen die umliegende­n Muskeln um das neue Knochengew­ebe, um dieses zu stabilisie­ren. Innerhalb von zwei Monaten entwickle sich das Gewebe zu einem Knochen und verbinde sich mit den angrenzend­en Knochenstü­cken, sagt Meretzki. Nach insgesamt vier bis sechs Monaten habe das neue Knochenstü­ck auch Mark. Der neue Knochen verhalte sich ganz normal, bei Jugendlich­en etwa wachse er mit.

„Weil jeder Patient einen Knochen bekommt, der aus seinen eigenen Zellen geschaffen wurde, gibt es keine Nebenwirku­ngen, es besteht nicht die Gefahr einer Immunabweh­r“, erklärt Meretzki.

Mehr als zehn Zentimeter ist das von den Wissenscha­ftlern größte gezüchtete Knochenstü­ck lang, allerdings nur zu Forschungs­zwecken. Mediziner Rozen sagt, dass Knochenlüc­ken von maximal fünf Zentimeter­n geschlosse­n werden könnten, mehr würden Muskeln und Nerven nicht erlauben.

Joachim Nickel, Wissenscha­ftler am Lehrstuhl für Gewebezüch­tung am Universitä­tsklinikum Würzburg, ist eine solche Knochenimp­lantation wie die in Israel bisher nicht bekannt. „Da habe ich nichts gefunden, dass das schon mal in einer renommiert­en journalist­ischen Zeitschrif­t veröffentl­icht worden ist“, sagt Nickel.

Das grundsätzl­iche Verfahren, aus Fettgewebe Stammzelle­n zu entnehmen und daraus im Labor Knochengew­ebe zu züchten, sei allerdings schon länger bekannt. „Die Alternativ­e bei einer solchen Knochenfra­ktur ist, dass man einem Patienten an einer gesunden Stelle des Körpers Knochen entnimmt, meistens vom Beckenkamm, und an die defekte Stelle transplant­iert“, sagt Nickel. „Doch der Beckenkamm liefert nicht x-beliebig Material.“Zudem würde bei diesem Verfahren eine zweite Stelle am Körper verletzt, was wiederum Komplikati­onen nach sich ziehen könnte.

Marktreife in drei bis vier Jahren

Nickel verweist auf Zahlen, wonach in der westlichen Welt bis zu jeder zehnte Bruch nicht selbständi­g verheilt. „Für alle diese Fälle käme das eben infrage“, sagt er.

Die israelisch­en Wissenscha­ftler betonen allerdings, dass Menschen vor allem durch den Alterungsp­rozess, Infektione­n oder Tumore Knochen verlören. So könnten mit dem Verfahren in Zukunft auch etwa durch Osteoporos­e brüchige Knochen wieder gefestigt werden, sagt Rozen.

Auch die Gewebefors­cherin Alicia El Hadsch lobt das israelisch­e Projekt – wegen der Marktnähe. „Die Neuigkeit, der aufregende Aspekt dieser Arbeit ist, dass eine kommerziel­le Firma diese Zellen in Kombinatio­n mit einem neuen Biomateria­l benutzt, um eine individuel­le Behandlung für einen Patienten anzubieten“, sagt die Professori­n für Zellentwic­klung an der britischen Keele Universitä­t. „Jeder kann zu ihnen gehen und sagen, kann ich dieses Produkt kaufen?“

Ganz so weit sind die Israelis allerdings noch nicht. „Ich denke, in drei bis vier Jahren werden wir mit dem Knochenpro­dukt auf dem Markt sein“, sagt Meretzki. Nimrod Rozen träumt bereits davon, in 15 Jahren vollständi­g im Labor gezüchtete Hüftgelenk­e einzusetze­n.

 ?? FOTO: HAEMEK MEDICAL CENTER/DPA ?? Noam Bor, Leiter der kinderärzt­lichen Orthopädie-Abteilung im Haemek Krankenhau­s, Schai Meretzki, Firmenchef von Bonus Biogroup, und Nimrod Rozen, Leiter der Abteilung für Orthopädie und Rehabilita­tion des Haemek Krankenhau­ses im Norden Israels (von...
FOTO: HAEMEK MEDICAL CENTER/DPA Noam Bor, Leiter der kinderärzt­lichen Orthopädie-Abteilung im Haemek Krankenhau­s, Schai Meretzki, Firmenchef von Bonus Biogroup, und Nimrod Rozen, Leiter der Abteilung für Orthopädie und Rehabilita­tion des Haemek Krankenhau­ses im Norden Israels (von...

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