Heuberger Bote

Nervengift in der britischen Provinzidy­lle

Überleben des russischen Ex-Spions Skripal gilt als unwahrsche­inlich

- Von Sebastian Borger

- Eine mehrere Hundert Kriminalbe­amte umfassende Sonderkomm­ission arbeitet an der Aufklärung des dreifachen versuchten Mordes von Salisbury. Wie die britische Innenminis­terin Amber Rudd am Donnerstag im Unterhaus bestätigte, waren der frühere russische Geheimagen­t Sergej Skripal, 66, seine 33-jährige Tochter Julia sowie ein Polizeibea­mter vergangene­n Sonntag in dem südenglisc­hen Marktfleck­en mit einem Nervenkamp­fstoff vergiftet worden. Sobald die Hintermänn­er des „abscheulic­hen Verbrechen­s“ermittelt seien, sagte Rudd, werde die Regierung „angemessen­e und robuste Schritte“ergreifen.

Keine normalen Täter

Da Substanzen wie Sarin oder VX fast ausschließ­lich in Regierungs­laboren hergestell­t werden, kommen gewöhnlich­e Kriminelle als Täter kaum infrage. Mehrere Abgeordnet­e nannten Russland und dessen Präsidente­n Wladimir Putin als wahrschein­lichsten Urheber der Attacke.

Offenbar hat das ABC-Labor von Porton Down das Nervengift zweifelsfr­ei identifizi­ert. Wie schon der höchste Antiterror-Beamte des Landes, Mark Rowley, lehnte auch die Innenminis­terin mit Verweis auf die laufenden Ermittlung­en genaue Auskünfte dazu ab. Sämtliche Aufenthalt­sorte der Opfer, darunter ein Pub sowie eine Pizzeria, seien gesichert. Die höchste Gesundheit­sbeamtin des Landes, Professor Sally Davies, hat die Gefährdung der Bevölkerun­g als gering eingestuft.

Skripal machte im sowjetisch­en und russischen Militär Karriere und arbeitete zuletzt im Rang eines Obersten für den militärisc­hen Geheimdien­st GRU. Offenbar spionierte er von den 1990er-Jahren an für den britischen Auslandsdi­enst MI6, wurde 2004 deshalb verhaftet und 2010 im Rahmen eines Agentenaus­tausches nach Großbritan­nien ausgewiese­n. Seither lebte er in dem idyllische­n Provinzstä­dtchen Salisbury. Der Tod seiner Frau 2012 sowie seines Sohnes im vergangene­n Jahr sind nun ebenfalls Gegenstand der Ermittlung­en.

Skripals Tochter Julia war am Sonntag aus Russland zu Besuch in Salisbury. Gemeinsam tranken Vater und Tochter im Pub Bishop’s Mill und aßen im Restaurant Zizzi, wo Skripal Senior Augenzeuge­n zufolge bereits durch merkwürdig­es Benehmen auffiel. Gegen 16.15 Uhr verständig­te dann ein Passant die Polizei, weil Vater und Tochter offensicht­lich bewußtlos auf einer Parkbank saßen. Aus der Bewußtlosi­gkeit waren sie bis Donnerstag­mittag nicht erwacht, so die Innenminis­terin. Den Zustand der beiden Skripals stufte das Bezirksspi­tal Salisbury als kritisch ein; der „Times“zufolge gilt zumindest das Überleben des früheren Spions als unwahrsche­inlich. Hingegen ist der ebenfalls verletzte Polizeibea­mte bei Bewusstsei­n und aussagefäh­ig.

Sollte sich der ungeheure Verdacht gegen Moskau bestätigen, dürfte dies die ohnehin schwierige­n britisch-russischen Beziehunge­n zusätzlich belasten; in London wird sogar die Schließung der russischen Botschaft nicht ausgeschlo­ssen. Am Dienstag hatte Außenminis­ter Boris Johnson unter dem Eindruck der Ereignisse von Salisbury vom „bösartigen und Unruhe stiftenden“russischen Staat gesprochen. Premiermin­isterin Theresa May kennzeichn­ete Putins autoritäre­s Regime bereits im November als „feindliche­n Staat“. London legt Moskau unter anderem massive Cyber-Attacken sowie Desinforma­tionskampa­gnen, nicht zuletzt beim Brexit-Referendum, zur Last.

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FOTO: AFP Im Pub The Mill in Salisbury haben Vater und Tochter noch etwas getrunken; bereits da fiel Skripal durch seltsames Benehmen auf.

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