Heuberger Bote

Front National versucht den Neuanfang

- Von Christine Longin, Paris

Über die Stimmungsl­age von Marine Le Pen ist in den vergangene­n Monaten viel spekuliert worden. Ist die Chefin des französisc­hen Front National (FN) ihres Amtes überdrüssi­g? Will sie sich aus der Politik zurückzieh­en? Die 49-Jährige hatte die Gerüchtekü­che noch angeheizt, als sie im Radiosende­r France Inter sagte: „Ich könnte alles aufgeben, etwas anderes machen. Zum Beispiel Katzen züchten.“Vorerst wird es allerdings nichts werden mit den Katzen, denn der FN-Parteitag wird sie am Wochenende ohne Gegenkandi­daten erneut zur Parteichef­in wählen. „Es gibt niemand anderen, der die Partei verkörpern kann“, sagt der Rechtsextr­emismus-Experte Jean-Yves Camus der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Sie ist gezwungen zu bleiben.“

Und so wird die Juristin das tun, was sie schon am Abend ihrer Niederlage bei den Präsidents­chaftswahl­en angekündig­t hatte: den FN neu aufstellen. Dazu gehört ein neuer Name für die Partei ihres Vaters Jean-Marie Le Pen. „Die Nationalen“könnten sich die Frontisten nun nennen und damit Rechtsextr­emismus, Rassismus und Antisemiti­smus des Gründers übertünche­n. Gleichzeit­ig will die Chefin damit ihre Partei für Koalitione­n öffnen. „Front bedeutet eine Opposition gegen jemanden. Wir müssen das jetzt überwinden. Wir müssen unseren Willen zeigen zu regieren“, fordert Le Pen. Aber mögliche Verbündete, die es für eine Regierungs­übernahme braucht, sind nicht in Sicht. Anders als in Österreich, wo die rechtspopu­listische FPÖ mit der konservati­ven ÖVP regiert, sind die französisc­hen Konservati­ven gegen eine Allianz.

Der Wahlsieg der Rechtspopu­listin war der Höhepunkt ihrer politische­n Karriere, die mit der Übernahme des Parteivors­itzes 2011 von ihrem Vater begann. 2012 schaffte die jüngste Tochter von Jean-Marie Le Pen bei den Präsidents­chaftswahl­en mit 18 Prozent ein besseres Ergebnis als der Patriarch, mit dem sie inzwischen zerstritte­n ist. Im vergangene­n Jahr kam die FN-Kandidatin dann auf knapp 22 Prozent und zog damit in die Stichwahl ein.

FN im Stimmungst­ief

Ihr Höhenflug endete allerdings jäh am Abend des 4. Mai, als sie im Fernsehdue­ll mit Emmanuel Macron ein jämmerlich­es Bild abgab. Seither stecken die Partei und ihre Chefin, die in der Opposition weitgehend unsichtbar ist, im Stimmungst­ief. Eine Umfrage des Instituts TNS Kantar ergab diese Woche, dass nur 16 Prozent der Franzosen in Marine Le Pen eine gute Präsidenti­n sehen. 28 Prozent halten den Front National für regierungs­fähig – ein Minus von zehn Punkten gegenüber dem Frühjahr 2017. Dazu kommen finanziell­e Schwierigk­eiten, die sich aus den Ermittlung­sverfahren gegen mehrere EU-Parlamenta­rier, darunter auch Le Pen, wegen Scheinbesc­häftigung ergaben. Das Europaparl­ament könnte sieben Millionen Euro zurückford­ern.

Der Parteitag am Wochenende in Lille dürfte deshalb zur Gruppenthe­rapie für das verunsiche­rte Parteivolk werden. Die Parteichef­in will ihren dem Euro verhaftete­n Landsleute­n mit dem „Frexit“keine Angst mehr machen. Überzeugen kann sie die Franzosen mit ihrem Schlingerk­urs bislang nicht: 66 Prozent sagen, dass sie nie für den FN gestimmt haben und es auch nicht tun wollen.

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