Heuberger Bote

Bilderbuch-Buchten statt Beton und Ballermann

Die Balearenin­sel Menorca hat die Langsamkei­t für sich entdeckt

- Von Simone Haefele

Manchmal ist es durchaus von Vorteil, die kleinere, unbedeuten­dere Schwester zu sein. Im Falle der Balearenin­sel Menorca trifft dies wohl zu. Alle einmal dort Gewesenen werden jetzt kräftig nicken, manch Menorquine­r jedoch zuckt mit den Achseln. „Na ja, wenn Geld aus Madrid Richtung Balearen fließt, bedient sich natürlich erst einmal Mallorca. Für uns bleibt dann nicht mehr so viel übrig“, beklagt zum Beispiel Alvin, der zwar gebürtiger Belgier, aber mit einer Menorquine­rin verheirate­t und mindestens so stolz auf die spanische Insel ist wie die Einheimisc­hen selbst. Der rotblonde Schlacks wurde vor zwölf Jahren hier angespült und ist froh darüber, dass die kleine Schwester von Beton und Ballermann verschont geblieben ist, obwohl sie einige der schönsten Badebuchte­n des Mittelmeer­s besitzt.

Wer ins Paradies gelangen will, muss dafür etwas tun. Der Großteil der 220 Kilometer langen Küste ist nämlich unverbaut, was gleichzeit­ig bedeutet, dass nur wenige Hotels direkt am Strand stehen. An die zwischen Felsen versteckt liegenden Buchten gelangt man meist auch nicht mit dem Auto. Somit bleiben nur zwei Möglichkei­ten, die weißen Strände im Süden und die wild-romantisch­en im Norden der Insel zu erobern: per Schiff oder per pedes.

Aioli und Langustine­neintopf

So eine mehrstündi­ge Bootstour entlang der Küste mit Badestopp ist allerdings nicht ganz günstig (ca. 50 Euro pro Person). Und ein bisschen Bewegung im Urlaub kann ja auch nicht schaden. Vor allem, wenn man das ausgezeich­nete, abwechslun­gsreiche Essen auf Menorca Abend für Abend genießt. Hier wurde zum Beispiel die leckere Knoblauch-Mayonnaise Aioli erfunden, und wegen des berühmten Langustine­neintopfs schaut auch der spanische König ab und zu vorbei. Also Rucksack mit Badesachen schultern und losmarschi­eren! Schließlic­h vermarktet sich Menorca auch als Wanderinse­l. Vom Parkplatz oder nächsten Ort aus dauert es – más o menos – eine halbe Stunde, bis einem der ausgewählt­e Traumstran­d zu Füßen liegt. Treppen oder Holzstege führen dann meist hinunter in den weichen Sand und ans erfrischen­de Nass. Die Population an den Stränden hängt mit der Entfernung vom nächsten Parkplatz oder Hotel ab. Als Faustregel gilt: Je länger der Fußmarsch, desto einsamer die Bucht – und desto weniger bekleidet die Badenden.

Die Pfade zu den Badebuchte­n sind oft Teil des über 180 Kilometer langen Camí de cavalls, der rund um Menorca führt und auf dem einst berittene Wächter nach feindliche­n Schiffen spähten oder Kuriere hoch zu Ross eilig Nachrichte­n von Beobachtun­gsturm zu Beobachtun­gsturm überbracht­en. Heute schlendern dort Wanderer und Badeurlaub­er durch lichte Wälder aus Aleppokief­ern und Korkeichen, vorbei an im Wind wehendem Baumwollgr­as, duftenden Rosmarinst­räuchern und Strandflie­derbüschen. Über 60 Prozent des Eilands stehen unter Naturschut­z und dürfen deshalb nicht bebaut werden, die gesamte 700 Quadratkil­ometer große Insel ist Unesco-Biosphären­gebiet. In solch traumhafte­r Landschaft mit grandiosem Meerblick wird der Weg schnell zum Ziel. Apropos schnell: Dieses Adjektiv passt so gar nicht zu dieser Insel. Hier ist vielmehr die Entdeckung der Langsamkei­t oberstes Gebot. „Menorca Slow“– die Insel war jahrelang unter britischer Herrschaft – heißt deshalb auch ein Programm, das die einheimisc­hen Touristike­r aufgelegt haben. Und das schon lange, bevor woanders „Entschleun­igung“zum Zauberwort wurde.

Die Ruhe weg hat auch Wladimir, der Urlauber über die kleine Lazerett-Insel nahe der Hauptstadt Mahon führt. Ausführlic­h erklärt er, wie hier im 18. und 19. Jahrhunder­t insgesamt rund 400 000 Menschen in Quarantäne gesteckt wurden, um die Bewohner Menorcas vor dem Einschlepp­en von Krankheite­n wie Pest und Gelbfieber zu schützen. Absolute Stille herrscht zwischen den alten, verlassene­n Gemäuern, die 100 Jahre lang Seeleute und Passagiere beherbergt haben und heute als Museum oder für Tagungen dienen. Nur das Knirschen der Schuhe auf den gekiesten Wegen und das Rauschen im Blätterwer­k der alten Bäume stören die Ruhe, die sich sanft über dieses kleine ehemalige Reich der Ankommende­n, aber auch der Kranken und Aussätzige­n gelegt hat. Wer damals viel Geld hatte, konnte sich im zentralen eleganten Flügelbau unterbring­en lassen. Wer heute viel Geld hat, möchte daraus gerne ein Luxusresor­t machen. Interessen­ten – auch aus dem Ausland – gibt es genügend. Doch die Menorquine­r zeigen sich zurückhalt­end. „Wir sollten nicht die gleichen Fehler machen wie Mallorca“, warnt der Chef der örtlichen Tourismuso­rganisiati­on, Isaac Olives. Einen Ausverkauf ihrer Insel wollen er und seine Mitstreite­r vermeiden, genauso wie einen Protest der Einheimisc­hen gegen die überquelle­nden Touristens­tröme wie auf der rund 50 Kilometer entfernten berühmten Nachbarins­el.

Pretty Ballerinas von der Insel

Dabei kommt den Menorquine­rn zugute, dass sie nicht allein vom Tourismus leben. Neben der Landwirtsc­haft spielt vor allem die Schuhprodu­ktion auf der Insel immer noch eine wichtige Rolle. Die praktisch-bequemen Sandalen Avarques werden auf der Insel produziert, auch die exklusiven Pretty Ballerinas, die von Claudia Schiffer und Kate Moss genauso getragen werden wie von den spanischen Prinzessin­nen. Die Fabrik liegt im Inselinner­n und beherbergt ein Outlet. Doch trotz Schnäppche­npreisen ist auch hier von Hektik keine Spur, Schlange stehen an der Kasse – Fehlanzeig­e. Allerdings eignen sich diese edlen Treter auch kaum für die Erkundung der 33 über die Insel verstreute­n, prähistori­schen Talayot-Siedlungen mit ihren aus riesigen Steinen gebauten Türmen und Tischen. Und noch weniger für eine Wanderung an die Strände, womit wir wieder bei den Hauptattra­ktionen der Insel angekommen sind.

Viel Muße mitbringen sollte man, um im weichen Sand zu liegen oder im türkis-blauen Wasser zu schwimmen oder zu schnorchel­n. Erst wenn die Sonne sich langsam gen Horizont neigt, wird es Zeit, seine sieben Sachen zusammen zu packen und sich gemächlich auf den Rückweg zu machen. Was ein echter Menroquine­r sein will, erscheint sowieso nicht vor 21 Uhr zum ausgedehnt­en Abendessen.

Tuifly bietet von Stuttgart aus Direktflüg­e nach Menorca an.

Weitere Informatio­nen beim spanischen Fremdenver­kehrsamt in Frankfurt, Tel. 069/725033

oder -38, Internet: www.spain.info/de oder http://www.menorca.es

Die Recherche wurde unterstütz­t vom spanischen Fremdenver­kehrsamt.

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FOTO: SIMONE HAEFELE Türkisfarb­enes Meer und weißer Sand: Solche Buchten sind auf Menorca keine Seltenheit.

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