„Dracula“der Lüfte
Der größte je gefundene Flugsaurier wird im Museum Altmühltal erstmals der Öffentlichkeit präsentiert
- Sie dominierten den Luftraum schon lange bevor es Vögel überhaupt gab. Ihre Flughäute entspannten sich bei großen Exemplaren zu gewaltigen Tragflächen. Manche von ihnen hatten lange, spitze Zähne, die sich wie Pfeile in Fisch und Fleisch bohrten. Flugsaurier waren Jäger und zählen zu den spektakulärsten Reptilien, die je die Erde bevölkert haben. Die frühsten Funde reichen 230 Millionen Jahre zurück. So weit, so beeindruckend. Dass an diesem Morgen vor einer großen Schar an Medienvertretern im Dinosaurier Museum Altmühltal die Worte „Sensation“und „Superlativ“immer wieder fallen, hat aber noch einen anderen Grund: „Dracula“. So haben die Paläontologen sinnigerweise den weltweit größten je entdeckten Flugsaurier getauft, liegt seine Fundstelle doch im rumänischen Transsilvanien, Heimat der blutsaugenden Romanfigur.
„Der Fund ist etwas sehr, sehr Außergewöhnliches“, sagt Gerhard Haszprunar, Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlung Bayerns. Außergewöhnlich, weil er alle bisher bekannten Dimensionen sprengt. „Wenn wir nicht die Funde hätten, würden wir sagen: Diese Größe ist unmöglich“, hieß es bei der Ausstellungseröffnung. So aber können die Forscher nicht nur Originalknochen präsentieren, sondern auch zwei lebensechte Nachbildungen von „Dracula“, die alle Superlative plastisch machen: Groß wie eine Giraffe steht der Saurier in der Museumshalle, die Knochen wuchtig wie von einem Elefanten, mit einem gewaltigen Schnabel und einem angsteinflößenden Kopfkamm. Alles flankiert von den ausladenden Flugwerkzeugen. „Die Spannweite dieses Flugsauriers kann bis zu 20 Meter betragen haben“, sagt Mark Norell, Leiter der Pa- läontologischen Abteilung am American Museum of Natural History in New York.
Aufarbeitung läuft noch
Auch der Paläontologe Mátyás Vremir, der den Saurier entdeckte, ist noch immer beeindruckt: „Allein der Handwurzelknochen ist größer als der eines Mammuts und sein Hals hat den Umfang eines ausgewachsenen Mannes.“Das Abenteuer begann allerdings nicht mit einem Handwur- zel-, sondern mit einem Wirbelknochen. Diesen fand Vremir im Jahr 2009 nahe der rumänischen Ortschaft Sebes – und wusste zunächst nicht wohin damit. Er rief seinen Freund, den Ausgräber und Geologen Raimund Albersdörfer an: „Raimund, du musst kommen, ich hab‘ da einen großen Knochen gefunden.“Albersdörfer kam und beide dachten zunächst, es handelt sich um einen Dinosaurierknochen. Doch das Duo drehte die Versteinerung, wendete sie, vermaß und verglich sie. „Abends saßen wir dann in der Küche, der Knochen auf dem Tisch, und wir wussten: Der muss von einem Flugsaurier sein.“Von einem, der in die Geschichte eingeht. Das Gefühl dabei? „Hysterie. Wie in einem Alptraum“, berichtet Vremir unter Gelächter.
Alptraum, weil: Ein solcher Fund wirft unendlich viele Fragen auf, die Antworten verlangen. Und: Die Arbeit sollte erst losgehen, befand sich die Fundstelle doch an einem 80 Grad steilen und 120 Meter tiefen Steilhang. An Bäumen befestigten die Forscher ihre Seile, ließen sich etwa 40 Meter herab und entrissen in den folgenden Jahren mit Hammer, Meißel und Spachtel dem roten Gestein die Millionen Jahre alten Knochen. Von verschiedenen und bisher unbekannten Gattungen, wie sie heute wissen.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung läuft noch, irgendwann bekommt „Dracula“auch einen Fachnamen. Sicher wissen die Forscher schon jetzt, dass die Funde etwas mehr als 66 Millionen Jahre alt sind. Das bedeutet: Zu dieser Zeit entwickelten sich schon die ersten Vogelarten – und das Ende der Dinosaurier wie auch der Flugsaurier war nah. „Dracula“gehörte somit zu der letzten Generation seiner Art.
Viele Fragen bleiben allerdings offen, etwa wie das – trotz hohler Knochen – eine halbe Tonne schwere Urtier fliegen konnte. „Das können wir nicht genau sagen“, räumt Haszprunar ein, der aber zwei Thesen liefert: Möglicherweise hat sich der Saurier den Steilhang runtergestürzt, um in Fluggeschwindigkeit zu kommen, das legt der Fundort nahe. „Oder er hat sich mit seiner großen Spannweite gegen den Wind gestellt und so Auftrieb erhalten.“Sicher ist sich der Experte: „,Dracula‘ war ein hervorragender Segler, der auch Entfernungen von 100 Kilometer zurücklegen konnte.“
In seinem Umfeld war er wahrscheinlich der größte Räuber und ohne Feinde. Unbeantwortet bleibt aber noch die Frage, von was genau sich der Flugsaurier ernährt hat. Fisch kam für das Landtier nur bisweilen infrage. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese neu entdeckte Gattung einen glatten Kiefer besaß, also die Beute verschlang. Anders gesagt: „Dracula“hatte keine Zähne.